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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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2) Das geheime Verständniß.
Zwölstes Kapitel.
a) Die Gaunersprache.

Bei dem tiefen Geheimniß, auf welchem der ganze Organis-
mus des Gaunerthums begründet ist, sind die durch Jahrhunderte
hindurch zusammengetragenen, immer verbesserten Verständigungs-
mittel sehr zahlreich und mannichfaltig. Sie tragen alle Spuren
ihrer Schöpfung und Vervollkommung durch Convention an sich,
und geben sowol von der Verworfenheit, als auch von dem Scharf-
sinn und dem Uebermuth ihrer Erfinder Zeugniß. Vor allem
erkennt man in der wüsten und wirren Gaunersprache, die durch
alle Jahrhunderte hindurch wie ein trüber Bodensatz in beständi-
ger gährender Bewegung gehalten ist, den geistigen Ausdruck der
gemischten schmuzigen Volkselemente, welche diese Sprache zu-
sammentrugen und mit immer neuen Zusätzen bereicherten. Die
Gaunersprache ist daher nicht nur in linguistischer, sondern auch
in culturhistorischer Hinsicht eine Merkwürdigkeit, der leider bis-
her nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt ist. Nur in neuester Zeit
hat Hoffmann von Fallersleben im "Weimarischen Jahrbuch",
I, 328 fg., einige jedoch nur sehr dürftige Andeutungen gegeben,
welche keineswegs ein tieferes Eingehen in die Gaunersprache
verrathen. Was Maßmann in Berlin über die Gaunersprache
geschrieben hat, ist noch nicht zur Oeffentlichkeit gelangt, was um
so mehr zu bedauern ist, als nach brieflichen Mittheilungen zu
schließen, seine Anschauung und Behandlung geistvoll ist. Nur
Pott hat in seinem Werke über die Zigeuner, II, 1--60, sehr
interessante und zum Theil treffend gelungene Wortuntersuchungen
veröffentlicht, die zum weitern Nachforschen anregend sind. Alle
ältern Versuche sind kümmerlich und ungenügend, namentlich da
die tiefe sprachgeschichtliche Bedeutsamkeit des sogenannten Juden-

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zu leiten. Darüber wird ſpäter, Kap. 104, noch weiter geſpro-
chen werden.



2) Das geheime Verſtändniß.
Zwölſtes Kapitel.
a) Die Gaunerſprache.

Bei dem tiefen Geheimniß, auf welchem der ganze Organis-
mus des Gaunerthums begründet iſt, ſind die durch Jahrhunderte
hindurch zuſammengetragenen, immer verbeſſerten Verſtändigungs-
mittel ſehr zahlreich und mannichfaltig. Sie tragen alle Spuren
ihrer Schöpfung und Vervollkommung durch Convention an ſich,
und geben ſowol von der Verworfenheit, als auch von dem Scharf-
ſinn und dem Uebermuth ihrer Erfinder Zeugniß. Vor allem
erkennt man in der wüſten und wirren Gaunerſprache, die durch
alle Jahrhunderte hindurch wie ein trüber Bodenſatz in beſtändi-
ger gährender Bewegung gehalten iſt, den geiſtigen Ausdruck der
gemiſchten ſchmuzigen Volkselemente, welche dieſe Sprache zu-
ſammentrugen und mit immer neuen Zuſätzen bereicherten. Die
Gaunerſprache iſt daher nicht nur in linguiſtiſcher, ſondern auch
in culturhiſtoriſcher Hinſicht eine Merkwürdigkeit, der leider bis-
her nur wenig Aufmerkſamkeit geſchenkt iſt. Nur in neueſter Zeit
hat Hoffmann von Fallersleben im „Weimariſchen Jahrbuch“,
I, 328 fg., einige jedoch nur ſehr dürftige Andeutungen gegeben,
welche keineswegs ein tieferes Eingehen in die Gaunerſprache
verrathen. Was Maßmann in Berlin über die Gaunerſprache
geſchrieben hat, iſt noch nicht zur Oeffentlichkeit gelangt, was um
ſo mehr zu bedauern iſt, als nach brieflichen Mittheilungen zu
ſchließen, ſeine Anſchauung und Behandlung geiſtvoll iſt. Nur
Pott hat in ſeinem Werke über die Zigeuner, II, 1—60, ſehr
intereſſante und zum Theil treffend gelungene Wortunterſuchungen
veröffentlicht, die zum weitern Nachforſchen anregend ſind. Alle
ältern Verſuche ſind kümmerlich und ungenügend, namentlich da
die tiefe ſprachgeſchichtliche Bedeutſamkeit des ſogenannten Juden-

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[51/0063] zu leiten. Darüber wird ſpäter, Kap. 104, noch weiter geſpro- chen werden. 2) Das geheime Verſtändniß. Zwölſtes Kapitel. a) Die Gaunerſprache. Bei dem tiefen Geheimniß, auf welchem der ganze Organis- mus des Gaunerthums begründet iſt, ſind die durch Jahrhunderte hindurch zuſammengetragenen, immer verbeſſerten Verſtändigungs- mittel ſehr zahlreich und mannichfaltig. Sie tragen alle Spuren ihrer Schöpfung und Vervollkommung durch Convention an ſich, und geben ſowol von der Verworfenheit, als auch von dem Scharf- ſinn und dem Uebermuth ihrer Erfinder Zeugniß. Vor allem erkennt man in der wüſten und wirren Gaunerſprache, die durch alle Jahrhunderte hindurch wie ein trüber Bodenſatz in beſtändi- ger gährender Bewegung gehalten iſt, den geiſtigen Ausdruck der gemiſchten ſchmuzigen Volkselemente, welche dieſe Sprache zu- ſammentrugen und mit immer neuen Zuſätzen bereicherten. Die Gaunerſprache iſt daher nicht nur in linguiſtiſcher, ſondern auch in culturhiſtoriſcher Hinſicht eine Merkwürdigkeit, der leider bis- her nur wenig Aufmerkſamkeit geſchenkt iſt. Nur in neueſter Zeit hat Hoffmann von Fallersleben im „Weimariſchen Jahrbuch“, I, 328 fg., einige jedoch nur ſehr dürftige Andeutungen gegeben, welche keineswegs ein tieferes Eingehen in die Gaunerſprache verrathen. Was Maßmann in Berlin über die Gaunerſprache geſchrieben hat, iſt noch nicht zur Oeffentlichkeit gelangt, was um ſo mehr zu bedauern iſt, als nach brieflichen Mittheilungen zu ſchließen, ſeine Anſchauung und Behandlung geiſtvoll iſt. Nur Pott hat in ſeinem Werke über die Zigeuner, II, 1—60, ſehr intereſſante und zum Theil treffend gelungene Wortunterſuchungen veröffentlicht, die zum weitern Nachforſchen anregend ſind. Alle ältern Verſuche ſind kümmerlich und ungenügend, namentlich da die tiefe ſprachgeſchichtliche Bedeutſamkeit des ſogenannten Juden- 4*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/63>, abgerufen am 29.03.2024.