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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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der Rückzug gesichert werde. Man begreift, welche Geistesgegen-
wart und Verwegenheit dazu gehört, ein so plötzliches Dazukommen,
den Aufstoß, nicht nur zur Sicherheit der Gauner, sondern auch
zur Fortsetzung und Vollendung des Verbrechens zu paralysiren.
Gerade hierin enthält die Geschichte des Gaunerthums zahlreiche
Beispiele von erstaunlicher Geistesgegenwart und Frivolität. 1)
Vorzüglich fällt den Schmiren das Meistern zu, weshalb denn
auch die geübtesten Gauner zu Schmiren ausgestellt zu werden
pflegen. Außerhalb des Hauses ist es den Schmiren meistens
nicht sehr schwer, den in später Nacht vielleicht aus fröhlicher
Gesellschaft zurückkehrenden Freier durch Fragen, Bemerkungen
u. dgl. aufzuhalten. Auch läßt sich die Aufmerksamkeit der Nacht-
wächter leicht auf Nebendinge lenken, indem nach der Uhr gefragt
und ein Gespräch angefangen, in einiger Entfernung vielleicht
von einem andern Kameraden Geräusch als Vertuss gemacht wird,
um die Aufmerksamkeit der Wächter dorthin zu ziehen. 2) Es
sind neuere Fälle bekannt, daß mit einem aus dem Fenster blicken-
den Hausmädchen ein Liebesgespräch begonnen wurde, während
um die Ecke des Hauses der andere Dieb die Fensterscheibe aus-
schnitt. Jn einem andern Falle wurde bei einem Ständchen mit
Guitarrebegleitung im Nachbarhause eingestiegen, um dem das Rou-
leau aufziehenden Freier die Gegenwart zweier als Schmiren auf-
gestellter Personen auf der Straße zu motiviren. Sehr bedenklich
ist das Meistern beim Aufstoß im Hause, namentlich zur Nacht-

1) Als Lips Tullian nach dem großen Brande in Wurzen in die Dom-
kirche gebrochen war und die Wächter auf das Geräusch, welches beim Auf-
brechen der Sakristeithür entstand, herbeieilten, den im Fenster sitzenden Lips
Tullian jedoch nicht bemerkten, sich aber dem Fenster gegenüber unter einen
Baum setzten, trat Tullian's Kamerad Zimmermann, der Schmire gestanden
hatte, heran, spielte den schwer Betrunkenen und hockte dicht bei den Wächtern
nieder, indem er seine Nothdurft verrichtete, worauf sich die Wächter lachend
und murrend zurückzogen. Vgl. "Lips Tullian", I, S. 165 u. 166.
2) Die Rheinischen Banden hatten ein besonderes Geschick, die Aufmerk-
samkeit der Nachtwachen auf Stadttheile zu richten, welche gerade in entgegen-
gesetzter Richtung von den Stadttheilen lagen, wo der Massematten gehandelt
werden sollte.

der Rückzug geſichert werde. Man begreift, welche Geiſtesgegen-
wart und Verwegenheit dazu gehört, ein ſo plötzliches Dazukommen,
den Aufſtoß, nicht nur zur Sicherheit der Gauner, ſondern auch
zur Fortſetzung und Vollendung des Verbrechens zu paralyſiren.
Gerade hierin enthält die Geſchichte des Gaunerthums zahlreiche
Beiſpiele von erſtaunlicher Geiſtesgegenwart und Frivolität. 1)
Vorzüglich fällt den Schmiren das Meiſtern zu, weshalb denn
auch die geübteſten Gauner zu Schmiren ausgeſtellt zu werden
pflegen. Außerhalb des Hauſes iſt es den Schmiren meiſtens
nicht ſehr ſchwer, den in ſpäter Nacht vielleicht aus fröhlicher
Geſellſchaft zurückkehrenden Freier durch Fragen, Bemerkungen
u. dgl. aufzuhalten. Auch läßt ſich die Aufmerkſamkeit der Nacht-
wächter leicht auf Nebendinge lenken, indem nach der Uhr gefragt
und ein Geſpräch angefangen, in einiger Entfernung vielleicht
von einem andern Kameraden Geräuſch als Vertuſſ gemacht wird,
um die Aufmerkſamkeit der Wächter dorthin zu ziehen. 2) Es
ſind neuere Fälle bekannt, daß mit einem aus dem Fenſter blicken-
den Hausmädchen ein Liebesgeſpräch begonnen wurde, während
um die Ecke des Hauſes der andere Dieb die Fenſterſcheibe aus-
ſchnitt. Jn einem andern Falle wurde bei einem Ständchen mit
Guitarrebegleitung im Nachbarhauſe eingeſtiegen, um dem das Rou-
leau aufziehenden Freier die Gegenwart zweier als Schmiren auf-
geſtellter Perſonen auf der Straße zu motiviren. Sehr bedenklich
iſt das Meiſtern beim Aufſtoß im Hauſe, namentlich zur Nacht-

1) Als Lips Tullian nach dem großen Brande in Wurzen in die Dom-
kirche gebrochen war und die Wächter auf das Geräuſch, welches beim Auf-
brechen der Sakriſteithür entſtand, herbeieilten, den im Fenſter ſitzenden Lips
Tullian jedoch nicht bemerkten, ſich aber dem Fenſter gegenüber unter einen
Baum ſetzten, trat Tullian’s Kamerad Zimmermann, der Schmire geſtanden
hatte, heran, ſpielte den ſchwer Betrunkenen und hockte dicht bei den Wächtern
nieder, indem er ſeine Nothdurft verrichtete, worauf ſich die Wächter lachend
und murrend zurückzogen. Vgl. „Lips Tullian“, I, S. 165 u. 166.
2) Die Rheiniſchen Banden hatten ein beſonderes Geſchick, die Aufmerk-
ſamkeit der Nachtwachen auf Stadttheile zu richten, welche gerade in entgegen-
geſetzter Richtung von den Stadttheilen lagen, wo der Maſſematten gehandelt
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[77/0089] der Rückzug geſichert werde. Man begreift, welche Geiſtesgegen- wart und Verwegenheit dazu gehört, ein ſo plötzliches Dazukommen, den Aufſtoß, nicht nur zur Sicherheit der Gauner, ſondern auch zur Fortſetzung und Vollendung des Verbrechens zu paralyſiren. Gerade hierin enthält die Geſchichte des Gaunerthums zahlreiche Beiſpiele von erſtaunlicher Geiſtesgegenwart und Frivolität. 1) Vorzüglich fällt den Schmiren das Meiſtern zu, weshalb denn auch die geübteſten Gauner zu Schmiren ausgeſtellt zu werden pflegen. Außerhalb des Hauſes iſt es den Schmiren meiſtens nicht ſehr ſchwer, den in ſpäter Nacht vielleicht aus fröhlicher Geſellſchaft zurückkehrenden Freier durch Fragen, Bemerkungen u. dgl. aufzuhalten. Auch läßt ſich die Aufmerkſamkeit der Nacht- wächter leicht auf Nebendinge lenken, indem nach der Uhr gefragt und ein Geſpräch angefangen, in einiger Entfernung vielleicht von einem andern Kameraden Geräuſch als Vertuſſ gemacht wird, um die Aufmerkſamkeit der Wächter dorthin zu ziehen. 2) Es ſind neuere Fälle bekannt, daß mit einem aus dem Fenſter blicken- den Hausmädchen ein Liebesgeſpräch begonnen wurde, während um die Ecke des Hauſes der andere Dieb die Fenſterſcheibe aus- ſchnitt. Jn einem andern Falle wurde bei einem Ständchen mit Guitarrebegleitung im Nachbarhauſe eingeſtiegen, um dem das Rou- leau aufziehenden Freier die Gegenwart zweier als Schmiren auf- geſtellter Perſonen auf der Straße zu motiviren. Sehr bedenklich iſt das Meiſtern beim Aufſtoß im Hauſe, namentlich zur Nacht- 1) Als Lips Tullian nach dem großen Brande in Wurzen in die Dom- kirche gebrochen war und die Wächter auf das Geräuſch, welches beim Auf- brechen der Sakriſteithür entſtand, herbeieilten, den im Fenſter ſitzenden Lips Tullian jedoch nicht bemerkten, ſich aber dem Fenſter gegenüber unter einen Baum ſetzten, trat Tullian’s Kamerad Zimmermann, der Schmire geſtanden hatte, heran, ſpielte den ſchwer Betrunkenen und hockte dicht bei den Wächtern nieder, indem er ſeine Nothdurft verrichtete, worauf ſich die Wächter lachend und murrend zurückzogen. Vgl. „Lips Tullian“, I, S. 165 u. 166. 2) Die Rheiniſchen Banden hatten ein beſonderes Geſchick, die Aufmerk- ſamkeit der Nachtwachen auf Stadttheile zu richten, welche gerade in entgegen- geſetzter Richtung von den Stadttheilen lagen, wo der Maſſematten gehandelt werden ſollte.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/89>, abgerufen am 20.04.2024.