Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.miteinander in den ekelhaftesten Mischmasch ausschlug. So kam es, Jm Dreißigjährigen Kriege befand sich bei dem unermeßlichen Geschmack abgewonnen hatten, so behielten sie ihn auch noch lange Zeit nachher. Die von Martial d'Auvergne bekannt gemachten Arrets d'amour, eine Nach- ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand sich sogar ein berühmter Rechtsgelehrter, welcher sich die Mühe gab, sie durch das Ansehen der römischen Gesetze, durch die Entscheidungen der Kirchenväter und durch Citate aus griechischen und lateinischen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö- fischen Schriftsteller übten sich noch während des 16. und zum Theil des 17. Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Thesis des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Rest von jenem Geiste erotischer Spitzfindigkeiten. 1) Recht interessante Bemerkungen über die Verwilderung der deutschen Sprache zu dieser Zeit gibt nach Dionys Klein ("Kriegsinstitution", 1598, S. 288) der geistvolle G. Freitag, "Bilder aus der deutschen Vergangenheit" (Leipzig 1859), II, 78, obwol die parenthesirten Uebersetzungen der Gauner- wörter zum Theil nicht richtig sind, z. B. anstoßen ist nicht schätzen, sondern zum besten haben, hinters Licht führen, vom jüdischdeutschen Schtus, Unsinn, Narrheit, oder Schaute, Narr, wovon auch anstussen, anschtussen. Vgl. Thl. II, S. 192, vgl. mit S. 316. 2) Vgl. "Der Teutsche Palmbaum | das ist | Lobschrift | Von der Hoch-
miteinander in den ekelhafteſten Miſchmaſch ausſchlug. So kam es, Jm Dreißigjährigen Kriege befand ſich bei dem unermeßlichen Geſchmack abgewonnen hatten, ſo behielten ſie ihn auch noch lange Zeit nachher. Die von Martial d’Auvergne bekannt gemachten Arrêts d’amour, eine Nach- ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand ſich ſogar ein berühmter Rechtsgelehrter, welcher ſich die Mühe gab, ſie durch das Anſehen der römiſchen Geſetze, durch die Entſcheidungen der Kirchenväter und durch Citate aus griechiſchen und lateiniſchen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö- fiſchen Schriftſteller übten ſich noch während des 16. und zum Theil des 17. Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Theſis des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Reſt von jenem Geiſte erotiſcher Spitzfindigkeiten. 1) Recht intereſſante Bemerkungen über die Verwilderung der deutſchen Sprache zu dieſer Zeit gibt nach Dionys Klein („Kriegsinſtitution“, 1598, S. 288) der geiſtvolle G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“ (Leipzig 1859), II, 78, obwol die parentheſirten Ueberſetzungen der Gauner- wörter zum Theil nicht richtig ſind, z. B. anſtoßen iſt nicht ſchätzen, ſondern zum beſten haben, hinters Licht führen, vom jüdiſchdeutſchen Schtus, Unſinn, Narrheit, oder Schaute, Narr, wovon auch anſtuſſen, anſchtuſſen. Vgl. Thl. II, S. 192, vgl. mit S. 316. 2) Vgl. „Der Teutſche Palmbaum | das iſt | Lobſchrift | Von der Hoch-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0106" n="72"/> miteinander in den ekelhafteſten Miſchmaſch ausſchlug. So kam es,<lb/> daß die alſo überſüßte deutſche Sprache der Bildung aufs übelſte<lb/> verſetzt und getrübt wurde, ja ſelbſt in die Volksſprache nachtheilig<lb/> hineinwirkte, und daß ſogar das Gaunerthum aus dieſer Sprach-<lb/> hefe eine ziemliche Ausbeute machte und daß im Dreißigjährigen<lb/> Kriege das goldene Zeitalter der Gaunerſprache begann. <note place="foot" n="1)">Recht intereſſante Bemerkungen über die Verwilderung der deutſchen<lb/> Sprache zu dieſer Zeit gibt nach Dionys Klein („Kriegsinſtitution“, 1598,<lb/> S. 288) der geiſtvolle G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“<lb/> (Leipzig 1859), <hi rendition="#aq">II</hi>, 78, obwol die parentheſirten Ueberſetzungen der Gauner-<lb/> wörter zum Theil nicht richtig ſind, z. B. <hi rendition="#g">anſtoßen</hi> iſt nicht ſchätzen, ſondern<lb/> zum beſten haben, hinters Licht führen, vom jüdiſchdeutſchen <hi rendition="#g">Schtus,</hi> Unſinn,<lb/> Narrheit, oder <hi rendition="#g">Schaute,</hi> Narr, wovon auch <hi rendition="#g">anſtuſſen, anſchtuſſen</hi>. Vgl.<lb/> Thl. <hi rendition="#aq">II</hi>, S. 192, vgl. mit S. 316.</note> Das<lb/> von dem Gauner Andreas Hempel 1687 gegebene Verzeichniß<lb/> von Wörtern aus der „Spitzbubenſprache oder Wahlerei und<lb/> Rothwelſch“, ſowie das Waldheimer „Rothwelſche Lexikon“ von<lb/> 1726 ſind die erſten merkwürdigen lexikographiſchen Proben der<lb/> Gaunerlinguiſtik des Dreißigjährigen Kriegs und emancipiren ſich<lb/> durchaus von dem bis dahin als einzig daſtehenden Vocabular<lb/> des <hi rendition="#aq">Liber vagatorum.</hi></p><lb/> <p>Jm Dreißigjährigen Kriege befand ſich bei dem unermeßlichen<lb/> ſittlichen und materiellen Elend, welches derſelbe über Deutſch-<lb/> land brachte, auch die von exotiſchen Stoffen inficirte, dem Siech-<lb/> thum faſt erliegende deutſche Sprache in einer langen Kriſis, welche<lb/> durch die neubegründeten Sprachkliniken des „Teutſchen Palm-<lb/> baum“ <note xml:id="seg2pn_8_1" next="#seg2pn_8_2" place="foot" n="2)">Vgl. „Der Teutſche Palmbaum | das iſt | Lobſchrift | Von der Hoch-</note> und der nachfolgenden Sprachgeſellſchaften und Dichter-<lb/><note xml:id="seg2pn_7_3" prev="#seg2pn_7_2" place="foot" n="1)">Geſchmack abgewonnen hatten, ſo behielten ſie ihn auch noch lange Zeit nachher.<lb/> Die von Martial d’Auvergne bekannt gemachten <hi rendition="#aq">Arrêts d’amour</hi>, eine Nach-<lb/> ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand ſich ſogar ein<lb/> berühmter Rechtsgelehrter, welcher ſich die Mühe gab, ſie durch das Anſehen<lb/> der römiſchen Geſetze, durch die Entſcheidungen der Kirchenväter und durch<lb/> Citate aus griechiſchen und lateiniſchen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö-<lb/> fiſchen Schriftſteller übten ſich noch während des 16. und zum Theil des 17.<lb/> Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Theſis<lb/> des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Reſt von jenem Geiſte<lb/> erotiſcher Spitzfindigkeiten.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0106]
miteinander in den ekelhafteſten Miſchmaſch ausſchlug. So kam es,
daß die alſo überſüßte deutſche Sprache der Bildung aufs übelſte
verſetzt und getrübt wurde, ja ſelbſt in die Volksſprache nachtheilig
hineinwirkte, und daß ſogar das Gaunerthum aus dieſer Sprach-
hefe eine ziemliche Ausbeute machte und daß im Dreißigjährigen
Kriege das goldene Zeitalter der Gaunerſprache begann. 1) Das
von dem Gauner Andreas Hempel 1687 gegebene Verzeichniß
von Wörtern aus der „Spitzbubenſprache oder Wahlerei und
Rothwelſch“, ſowie das Waldheimer „Rothwelſche Lexikon“ von
1726 ſind die erſten merkwürdigen lexikographiſchen Proben der
Gaunerlinguiſtik des Dreißigjährigen Kriegs und emancipiren ſich
durchaus von dem bis dahin als einzig daſtehenden Vocabular
des Liber vagatorum.
Jm Dreißigjährigen Kriege befand ſich bei dem unermeßlichen
ſittlichen und materiellen Elend, welches derſelbe über Deutſch-
land brachte, auch die von exotiſchen Stoffen inficirte, dem Siech-
thum faſt erliegende deutſche Sprache in einer langen Kriſis, welche
durch die neubegründeten Sprachkliniken des „Teutſchen Palm-
baum“ 2) und der nachfolgenden Sprachgeſellſchaften und Dichter-
1)
1) Recht intereſſante Bemerkungen über die Verwilderung der deutſchen
Sprache zu dieſer Zeit gibt nach Dionys Klein („Kriegsinſtitution“, 1598,
S. 288) der geiſtvolle G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“
(Leipzig 1859), II, 78, obwol die parentheſirten Ueberſetzungen der Gauner-
wörter zum Theil nicht richtig ſind, z. B. anſtoßen iſt nicht ſchätzen, ſondern
zum beſten haben, hinters Licht führen, vom jüdiſchdeutſchen Schtus, Unſinn,
Narrheit, oder Schaute, Narr, wovon auch anſtuſſen, anſchtuſſen. Vgl.
Thl. II, S. 192, vgl. mit S. 316.
2) Vgl. „Der Teutſche Palmbaum | das iſt | Lobſchrift | Von der Hoch-
1) Geſchmack abgewonnen hatten, ſo behielten ſie ihn auch noch lange Zeit nachher.
Die von Martial d’Auvergne bekannt gemachten Arrêts d’amour, eine Nach-
ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand ſich ſogar ein
berühmter Rechtsgelehrter, welcher ſich die Mühe gab, ſie durch das Anſehen
der römiſchen Geſetze, durch die Entſcheidungen der Kirchenväter und durch
Citate aus griechiſchen und lateiniſchen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö-
fiſchen Schriftſteller übten ſich noch während des 16. und zum Theil des 17.
Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Theſis
des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Reſt von jenem Geiſte
erotiſcher Spitzfindigkeiten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |