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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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miteinander in den ekelhaftesten Mischmasch ausschlug. So kam es,
daß die also übersüßte deutsche Sprache der Bildung aufs übelste
versetzt und getrübt wurde, ja selbst in die Volkssprache nachtheilig
hineinwirkte, und daß sogar das Gaunerthum aus dieser Sprach-
hefe eine ziemliche Ausbeute machte und daß im Dreißigjährigen
Kriege das goldene Zeitalter der Gaunersprache begann. 1) Das
von dem Gauner Andreas Hempel 1687 gegebene Verzeichniß
von Wörtern aus der "Spitzbubensprache oder Wahlerei und
Rothwelsch", sowie das Waldheimer "Rothwelsche Lexikon" von
1726 sind die ersten merkwürdigen lexikographischen Proben der
Gaunerlinguistik des Dreißigjährigen Kriegs und emancipiren sich
durchaus von dem bis dahin als einzig dastehenden Vocabular
des Liber vagatorum.

Jm Dreißigjährigen Kriege befand sich bei dem unermeßlichen
sittlichen und materiellen Elend, welches derselbe über Deutsch-
land brachte, auch die von exotischen Stoffen inficirte, dem Siech-
thum fast erliegende deutsche Sprache in einer langen Krisis, welche
durch die neubegründeten Sprachkliniken des "Teutschen Palm-
baum" 2) und der nachfolgenden Sprachgesellschaften und Dichter-

Geschmack abgewonnen hatten, so behielten sie ihn auch noch lange Zeit nachher.
Die von Martial d'Auvergne bekannt gemachten Arrets d'amour, eine Nach-
ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand sich sogar ein
berühmter Rechtsgelehrter, welcher sich die Mühe gab, sie durch das Ansehen
der römischen Gesetze, durch die Entscheidungen der Kirchenväter und durch
Citate aus griechischen und lateinischen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö-
fischen Schriftsteller übten sich noch während des 16. und zum Theil des 17.
Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Thesis
des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Rest von jenem Geiste
erotischer Spitzfindigkeiten.
1) Recht interessante Bemerkungen über die Verwilderung der deutschen
Sprache zu dieser Zeit gibt nach Dionys Klein ("Kriegsinstitution", 1598,
S. 288) der geistvolle G. Freitag, "Bilder aus der deutschen Vergangenheit"
(Leipzig 1859), II, 78, obwol die parenthesirten Uebersetzungen der Gauner-
wörter zum Theil nicht richtig sind, z. B. anstoßen ist nicht schätzen, sondern
zum besten haben, hinters Licht führen, vom jüdischdeutschen Schtus, Unsinn,
Narrheit, oder Schaute, Narr, wovon auch anstussen, anschtussen. Vgl.
Thl. II, S. 192, vgl. mit S. 316.
2) Vgl. "Der Teutsche Palmbaum | das ist | Lobschrift | Von der Hoch-

miteinander in den ekelhafteſten Miſchmaſch ausſchlug. So kam es,
daß die alſo überſüßte deutſche Sprache der Bildung aufs übelſte
verſetzt und getrübt wurde, ja ſelbſt in die Volksſprache nachtheilig
hineinwirkte, und daß ſogar das Gaunerthum aus dieſer Sprach-
hefe eine ziemliche Ausbeute machte und daß im Dreißigjährigen
Kriege das goldene Zeitalter der Gaunerſprache begann. 1) Das
von dem Gauner Andreas Hempel 1687 gegebene Verzeichniß
von Wörtern aus der „Spitzbubenſprache oder Wahlerei und
Rothwelſch“, ſowie das Waldheimer „Rothwelſche Lexikon“ von
1726 ſind die erſten merkwürdigen lexikographiſchen Proben der
Gaunerlinguiſtik des Dreißigjährigen Kriegs und emancipiren ſich
durchaus von dem bis dahin als einzig daſtehenden Vocabular
des Liber vagatorum.

Jm Dreißigjährigen Kriege befand ſich bei dem unermeßlichen
ſittlichen und materiellen Elend, welches derſelbe über Deutſch-
land brachte, auch die von exotiſchen Stoffen inficirte, dem Siech-
thum faſt erliegende deutſche Sprache in einer langen Kriſis, welche
durch die neubegründeten Sprachkliniken des „Teutſchen Palm-
baum“ 2) und der nachfolgenden Sprachgeſellſchaften und Dichter-

Geſchmack abgewonnen hatten, ſo behielten ſie ihn auch noch lange Zeit nachher.
Die von Martial d’Auvergne bekannt gemachten Arrêts d’amour, eine Nach-
ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand ſich ſogar ein
berühmter Rechtsgelehrter, welcher ſich die Mühe gab, ſie durch das Anſehen
der römiſchen Geſetze, durch die Entſcheidungen der Kirchenväter und durch
Citate aus griechiſchen und lateiniſchen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö-
fiſchen Schriftſteller übten ſich noch während des 16. und zum Theil des 17.
Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Theſis
des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Reſt von jenem Geiſte
erotiſcher Spitzfindigkeiten.
1) Recht intereſſante Bemerkungen über die Verwilderung der deutſchen
Sprache zu dieſer Zeit gibt nach Dionys Klein („Kriegsinſtitution“, 1598,
S. 288) der geiſtvolle G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“
(Leipzig 1859), II, 78, obwol die parentheſirten Ueberſetzungen der Gauner-
wörter zum Theil nicht richtig ſind, z. B. anſtoßen iſt nicht ſchätzen, ſondern
zum beſten haben, hinters Licht führen, vom jüdiſchdeutſchen Schtus, Unſinn,
Narrheit, oder Schaute, Narr, wovon auch anſtuſſen, anſchtuſſen. Vgl.
Thl. II, S. 192, vgl. mit S. 316.
2) Vgl. „Der Teutſche Palmbaum | das iſt | Lobſchrift | Von der Hoch-
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[72/0106] miteinander in den ekelhafteſten Miſchmaſch ausſchlug. So kam es, daß die alſo überſüßte deutſche Sprache der Bildung aufs übelſte verſetzt und getrübt wurde, ja ſelbſt in die Volksſprache nachtheilig hineinwirkte, und daß ſogar das Gaunerthum aus dieſer Sprach- hefe eine ziemliche Ausbeute machte und daß im Dreißigjährigen Kriege das goldene Zeitalter der Gaunerſprache begann. 1) Das von dem Gauner Andreas Hempel 1687 gegebene Verzeichniß von Wörtern aus der „Spitzbubenſprache oder Wahlerei und Rothwelſch“, ſowie das Waldheimer „Rothwelſche Lexikon“ von 1726 ſind die erſten merkwürdigen lexikographiſchen Proben der Gaunerlinguiſtik des Dreißigjährigen Kriegs und emancipiren ſich durchaus von dem bis dahin als einzig daſtehenden Vocabular des Liber vagatorum. Jm Dreißigjährigen Kriege befand ſich bei dem unermeßlichen ſittlichen und materiellen Elend, welches derſelbe über Deutſch- land brachte, auch die von exotiſchen Stoffen inficirte, dem Siech- thum faſt erliegende deutſche Sprache in einer langen Kriſis, welche durch die neubegründeten Sprachkliniken des „Teutſchen Palm- baum“ 2) und der nachfolgenden Sprachgeſellſchaften und Dichter- 1) 1) Recht intereſſante Bemerkungen über die Verwilderung der deutſchen Sprache zu dieſer Zeit gibt nach Dionys Klein („Kriegsinſtitution“, 1598, S. 288) der geiſtvolle G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“ (Leipzig 1859), II, 78, obwol die parentheſirten Ueberſetzungen der Gauner- wörter zum Theil nicht richtig ſind, z. B. anſtoßen iſt nicht ſchätzen, ſondern zum beſten haben, hinters Licht führen, vom jüdiſchdeutſchen Schtus, Unſinn, Narrheit, oder Schaute, Narr, wovon auch anſtuſſen, anſchtuſſen. Vgl. Thl. II, S. 192, vgl. mit S. 316. 2) Vgl. „Der Teutſche Palmbaum | das iſt | Lobſchrift | Von der Hoch- 1) Geſchmack abgewonnen hatten, ſo behielten ſie ihn auch noch lange Zeit nachher. Die von Martial d’Auvergne bekannt gemachten Arrêts d’amour, eine Nach- ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand ſich ſogar ein berühmter Rechtsgelehrter, welcher ſich die Mühe gab, ſie durch das Anſehen der römiſchen Geſetze, durch die Entſcheidungen der Kirchenväter und durch Citate aus griechiſchen und lateiniſchen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö- fiſchen Schriftſteller übten ſich noch während des 16. und zum Theil des 17. Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Theſis des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Reſt von jenem Geiſte erotiſcher Spitzfindigkeiten.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/106>, abgerufen am 21.11.2024.