Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.die große Bedeutsamkeit und Geltung der Volkssprache hinwiesen, diese zum Theil recht werthvollen Jdiotiken zeugen von dem lebhaften Jnteresse, mit welchem man in das Volk und auf seine Sprache blickte. Und doch feierte Polizei und Justiz, die billig am ersten und genauesten darauf hätten blicken sollen! Wie begreiflich ist der ungeheuere Aufstand des Räuberthums, als Picard 1790 an der Spitze der brabantischen Bande hervorbrach! 1) Das Buch ist äußerst selten und so gut wie verschollen. Nicht einmal
der genaue Titel ist mir vorgekommen, bis ich ihn zuerst vollständig bei Fran- cisque-Michel, a. a. O., S. 447, fand. Nach langjährigem Suchen gelang es endlich 1858, das Buch antiquarisch zu erwerben. Schäffer erwähnt es in der Note S. 294 seines "Abrisses" nur ganz obenhin mit der nicht motivirten Be- merkung, "daß es hin und wieder an Richtigkeit und Genauigkeit fehle". die große Bedeutſamkeit und Geltung der Volksſprache hinwieſen, dieſe zum Theil recht werthvollen Jdiotiken zeugen von dem lebhaften Jntereſſe, mit welchem man in das Volk und auf ſeine Sprache blickte. Und doch feierte Polizei und Juſtiz, die billig am erſten und genaueſten darauf hätten blicken ſollen! Wie begreiflich iſt der ungeheuere Aufſtand des Räuberthums, als Picard 1790 an der Spitze der brabantiſchen Bande hervorbrach! 1) Das Buch iſt äußerſt ſelten und ſo gut wie verſchollen. Nicht einmal
der genaue Titel iſt mir vorgekommen, bis ich ihn zuerſt vollſtändig bei Fran- cisque-Michel, a. a. O., S. 447, fand. Nach langjährigem Suchen gelang es endlich 1858, das Buch antiquariſch zu erwerben. Schäffer erwähnt es in der Note S. 294 ſeines „Abriſſes“ nur ganz obenhin mit der nicht motivirten Be- merkung, „daß es hin und wieder an Richtigkeit und Genauigkeit fehle“. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0177" n="165"/> die große Bedeutſamkeit und Geltung der Volksſprache hinwieſen,<lb/> deren Studium auch nothwendig zu einer Offenbarung der Gau-<lb/> nerſprache hätte führen müſſen. Da tauchte unmittelbar nachdem<lb/> Schäffer ſeine „Schwäbiſche Jauners-Geſchichte vom Conſtanzer<lb/> Hans“ herausgegeben hatte, eine literariſche Erſcheinung auf,<lb/> welche man gewiß als die originellſte auf dem Gebiete der Lin-<lb/> guiſtik überhaupt bezeichnen darf und welche ihrer verbürgten Ori-<lb/> ginalität und Echtheit wegen von hohem Werthe iſt: das vom<lb/> größten Gauner ſeiner Zeit, dem conſtanzer Hans (Johann Bap-<lb/> tiſta Herrenberger) verfaßte Wörterbuch, welches den Titel führt:<lb/> „Wahrhafte Entdeckung der Jauner- oder Jeniſchen-Sprache, von<lb/> dem ehemals berüchtigten Jauner Koſtanzer Hanß. Auf Begeh-<lb/> ren von Jhme ſelbſt aufgeſetzt und zum Druck befördert. Sulz<lb/> am Neccar 1791“. <note place="foot" n="1)">Das Buch iſt äußerſt ſelten und ſo gut wie verſchollen. Nicht einmal<lb/> der genaue Titel iſt mir vorgekommen, bis ich ihn zuerſt vollſtändig bei Fran-<lb/> cisque-Michel, a. a. O., S. 447, fand. Nach langjährigem Suchen gelang es<lb/> endlich 1858, das Buch antiquariſch zu erwerben. Schäffer erwähnt es in der<lb/> Note S. 294 ſeines „Abriſſes“ nur ganz obenhin mit der nicht motivirten Be-<lb/> merkung, „daß es hin und wieder an Richtigkeit und Genauigkeit fehle“.</note> Das kleine Buch iſt in Octav ſehr ſauber<lb/> mit ſchönen großen Lettern gedruckt, enthält S. 3—6 die Vorrede<lb/> des Autors, S. 7—16 159 Gaunervocabeln, S. 16—30 „Schmu-<lb/> ſereien oder Geſpräche“, und S. 31 zwei Fragmente aus Gauner-<lb/> liedern, von denen das letzte, obgleich echt gauneriſcher Form, in<lb/> Gedanken und Diction von gefälliger Leichtigkeit und Naivetät iſt.<lb/> So unbefangen der Verfaſſer in der Vorrede über ſein früheres<lb/> verbrecheriſches Leben und über die Motive zur Herausgabe ſeines<lb/> merkwürdigen Buchs ſich ausſpricht, ſo einfach und anſpruchslos<lb/> gibt er auch die Vocabeln und Geſpräche. Der ſchwäbiſche und<lb/> ſchweizeriſche Dialekt tritt überall ſtark hervor, ohne jedoch die<lb/> bunte Geſammtfärbung der Gaunerſprache zu verwiſchen. Alle<lb/><note xml:id="seg2pn_9_2" prev="#seg2pn_9_1" place="foot" n="1)">dieſe zum Theil recht werthvollen Jdiotiken zeugen von dem lebhaften Jntereſſe,<lb/> mit welchem man in das Volk und auf ſeine Sprache blickte. Und doch feierte<lb/> Polizei und Juſtiz, die billig am erſten und genaueſten darauf hätten blicken<lb/> ſollen! Wie begreiflich iſt der ungeheuere Aufſtand des Räuberthums, als Picard<lb/> 1790 an der Spitze der brabantiſchen Bande hervorbrach!</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [165/0177]
die große Bedeutſamkeit und Geltung der Volksſprache hinwieſen,
deren Studium auch nothwendig zu einer Offenbarung der Gau-
nerſprache hätte führen müſſen. Da tauchte unmittelbar nachdem
Schäffer ſeine „Schwäbiſche Jauners-Geſchichte vom Conſtanzer
Hans“ herausgegeben hatte, eine literariſche Erſcheinung auf,
welche man gewiß als die originellſte auf dem Gebiete der Lin-
guiſtik überhaupt bezeichnen darf und welche ihrer verbürgten Ori-
ginalität und Echtheit wegen von hohem Werthe iſt: das vom
größten Gauner ſeiner Zeit, dem conſtanzer Hans (Johann Bap-
tiſta Herrenberger) verfaßte Wörterbuch, welches den Titel führt:
„Wahrhafte Entdeckung der Jauner- oder Jeniſchen-Sprache, von
dem ehemals berüchtigten Jauner Koſtanzer Hanß. Auf Begeh-
ren von Jhme ſelbſt aufgeſetzt und zum Druck befördert. Sulz
am Neccar 1791“. 1) Das kleine Buch iſt in Octav ſehr ſauber
mit ſchönen großen Lettern gedruckt, enthält S. 3—6 die Vorrede
des Autors, S. 7—16 159 Gaunervocabeln, S. 16—30 „Schmu-
ſereien oder Geſpräche“, und S. 31 zwei Fragmente aus Gauner-
liedern, von denen das letzte, obgleich echt gauneriſcher Form, in
Gedanken und Diction von gefälliger Leichtigkeit und Naivetät iſt.
So unbefangen der Verfaſſer in der Vorrede über ſein früheres
verbrecheriſches Leben und über die Motive zur Herausgabe ſeines
merkwürdigen Buchs ſich ausſpricht, ſo einfach und anſpruchslos
gibt er auch die Vocabeln und Geſpräche. Der ſchwäbiſche und
ſchweizeriſche Dialekt tritt überall ſtark hervor, ohne jedoch die
bunte Geſammtfärbung der Gaunerſprache zu verwiſchen. Alle
1)
1) Das Buch iſt äußerſt ſelten und ſo gut wie verſchollen. Nicht einmal
der genaue Titel iſt mir vorgekommen, bis ich ihn zuerſt vollſtändig bei Fran-
cisque-Michel, a. a. O., S. 447, fand. Nach langjährigem Suchen gelang es
endlich 1858, das Buch antiquariſch zu erwerben. Schäffer erwähnt es in der
Note S. 294 ſeines „Abriſſes“ nur ganz obenhin mit der nicht motivirten Be-
merkung, „daß es hin und wieder an Richtigkeit und Genauigkeit fehle“.
1) dieſe zum Theil recht werthvollen Jdiotiken zeugen von dem lebhaften Jntereſſe,
mit welchem man in das Volk und auf ſeine Sprache blickte. Und doch feierte
Polizei und Juſtiz, die billig am erſten und genaueſten darauf hätten blicken
ſollen! Wie begreiflich iſt der ungeheuere Aufſtand des Räuberthums, als Picard
1790 an der Spitze der brabantiſchen Bande hervorbrach!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |