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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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die große Bedeutsamkeit und Geltung der Volkssprache hinwiesen,
deren Studium auch nothwendig zu einer Offenbarung der Gau-
nersprache hätte führen müssen. Da tauchte unmittelbar nachdem
Schäffer seine "Schwäbische Jauners-Geschichte vom Constanzer
Hans" herausgegeben hatte, eine literarische Erscheinung auf,
welche man gewiß als die originellste auf dem Gebiete der Lin-
guistik überhaupt bezeichnen darf und welche ihrer verbürgten Ori-
ginalität und Echtheit wegen von hohem Werthe ist: das vom
größten Gauner seiner Zeit, dem constanzer Hans (Johann Bap-
tista Herrenberger) verfaßte Wörterbuch, welches den Titel führt:
"Wahrhafte Entdeckung der Jauner- oder Jenischen-Sprache, von
dem ehemals berüchtigten Jauner Kostanzer Hanß. Auf Begeh-
ren von Jhme selbst aufgesetzt und zum Druck befördert. Sulz
am Neccar 1791". 1) Das kleine Buch ist in Octav sehr sauber
mit schönen großen Lettern gedruckt, enthält S. 3--6 die Vorrede
des Autors, S. 7--16 159 Gaunervocabeln, S. 16--30 "Schmu-
sereien oder Gespräche", und S. 31 zwei Fragmente aus Gauner-
liedern, von denen das letzte, obgleich echt gaunerischer Form, in
Gedanken und Diction von gefälliger Leichtigkeit und Naivetät ist.
So unbefangen der Verfasser in der Vorrede über sein früheres
verbrecherisches Leben und über die Motive zur Herausgabe seines
merkwürdigen Buchs sich ausspricht, so einfach und anspruchslos
gibt er auch die Vocabeln und Gespräche. Der schwäbische und
schweizerische Dialekt tritt überall stark hervor, ohne jedoch die
bunte Gesammtfärbung der Gaunersprache zu verwischen. Alle

diese zum Theil recht werthvollen Jdiotiken zeugen von dem lebhaften Jnteresse,
mit welchem man in das Volk und auf seine Sprache blickte. Und doch feierte
Polizei und Justiz, die billig am ersten und genauesten darauf hätten blicken
sollen! Wie begreiflich ist der ungeheuere Aufstand des Räuberthums, als Picard
1790 an der Spitze der brabantischen Bande hervorbrach!
1) Das Buch ist äußerst selten und so gut wie verschollen. Nicht einmal
der genaue Titel ist mir vorgekommen, bis ich ihn zuerst vollständig bei Fran-
cisque-Michel, a. a. O., S. 447, fand. Nach langjährigem Suchen gelang es
endlich 1858, das Buch antiquarisch zu erwerben. Schäffer erwähnt es in der
Note S. 294 seines "Abrisses" nur ganz obenhin mit der nicht motivirten Be-
merkung, "daß es hin und wieder an Richtigkeit und Genauigkeit fehle".

die große Bedeutſamkeit und Geltung der Volksſprache hinwieſen,
deren Studium auch nothwendig zu einer Offenbarung der Gau-
nerſprache hätte führen müſſen. Da tauchte unmittelbar nachdem
Schäffer ſeine „Schwäbiſche Jauners-Geſchichte vom Conſtanzer
Hans“ herausgegeben hatte, eine literariſche Erſcheinung auf,
welche man gewiß als die originellſte auf dem Gebiete der Lin-
guiſtik überhaupt bezeichnen darf und welche ihrer verbürgten Ori-
ginalität und Echtheit wegen von hohem Werthe iſt: das vom
größten Gauner ſeiner Zeit, dem conſtanzer Hans (Johann Bap-
tiſta Herrenberger) verfaßte Wörterbuch, welches den Titel führt:
„Wahrhafte Entdeckung der Jauner- oder Jeniſchen-Sprache, von
dem ehemals berüchtigten Jauner Koſtanzer Hanß. Auf Begeh-
ren von Jhme ſelbſt aufgeſetzt und zum Druck befördert. Sulz
am Neccar 1791“. 1) Das kleine Buch iſt in Octav ſehr ſauber
mit ſchönen großen Lettern gedruckt, enthält S. 3—6 die Vorrede
des Autors, S. 7—16 159 Gaunervocabeln, S. 16—30 „Schmu-
ſereien oder Geſpräche“, und S. 31 zwei Fragmente aus Gauner-
liedern, von denen das letzte, obgleich echt gauneriſcher Form, in
Gedanken und Diction von gefälliger Leichtigkeit und Naivetät iſt.
So unbefangen der Verfaſſer in der Vorrede über ſein früheres
verbrecheriſches Leben und über die Motive zur Herausgabe ſeines
merkwürdigen Buchs ſich ausſpricht, ſo einfach und anſpruchslos
gibt er auch die Vocabeln und Geſpräche. Der ſchwäbiſche und
ſchweizeriſche Dialekt tritt überall ſtark hervor, ohne jedoch die
bunte Geſammtfärbung der Gaunerſprache zu verwiſchen. Alle

dieſe zum Theil recht werthvollen Jdiotiken zeugen von dem lebhaften Jntereſſe,
mit welchem man in das Volk und auf ſeine Sprache blickte. Und doch feierte
Polizei und Juſtiz, die billig am erſten und genaueſten darauf hätten blicken
ſollen! Wie begreiflich iſt der ungeheuere Aufſtand des Räuberthums, als Picard
1790 an der Spitze der brabantiſchen Bande hervorbrach!
1) Das Buch iſt äußerſt ſelten und ſo gut wie verſchollen. Nicht einmal
der genaue Titel iſt mir vorgekommen, bis ich ihn zuerſt vollſtändig bei Fran-
cisque-Michel, a. a. O., S. 447, fand. Nach langjährigem Suchen gelang es
endlich 1858, das Buch antiquariſch zu erwerben. Schäffer erwähnt es in der
Note S. 294 ſeines „Abriſſes“ nur ganz obenhin mit der nicht motivirten Be-
merkung, „daß es hin und wieder an Richtigkeit und Genauigkeit fehle“.
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[165/0177] die große Bedeutſamkeit und Geltung der Volksſprache hinwieſen, deren Studium auch nothwendig zu einer Offenbarung der Gau- nerſprache hätte führen müſſen. Da tauchte unmittelbar nachdem Schäffer ſeine „Schwäbiſche Jauners-Geſchichte vom Conſtanzer Hans“ herausgegeben hatte, eine literariſche Erſcheinung auf, welche man gewiß als die originellſte auf dem Gebiete der Lin- guiſtik überhaupt bezeichnen darf und welche ihrer verbürgten Ori- ginalität und Echtheit wegen von hohem Werthe iſt: das vom größten Gauner ſeiner Zeit, dem conſtanzer Hans (Johann Bap- tiſta Herrenberger) verfaßte Wörterbuch, welches den Titel führt: „Wahrhafte Entdeckung der Jauner- oder Jeniſchen-Sprache, von dem ehemals berüchtigten Jauner Koſtanzer Hanß. Auf Begeh- ren von Jhme ſelbſt aufgeſetzt und zum Druck befördert. Sulz am Neccar 1791“. 1) Das kleine Buch iſt in Octav ſehr ſauber mit ſchönen großen Lettern gedruckt, enthält S. 3—6 die Vorrede des Autors, S. 7—16 159 Gaunervocabeln, S. 16—30 „Schmu- ſereien oder Geſpräche“, und S. 31 zwei Fragmente aus Gauner- liedern, von denen das letzte, obgleich echt gauneriſcher Form, in Gedanken und Diction von gefälliger Leichtigkeit und Naivetät iſt. So unbefangen der Verfaſſer in der Vorrede über ſein früheres verbrecheriſches Leben und über die Motive zur Herausgabe ſeines merkwürdigen Buchs ſich ausſpricht, ſo einfach und anſpruchslos gibt er auch die Vocabeln und Geſpräche. Der ſchwäbiſche und ſchweizeriſche Dialekt tritt überall ſtark hervor, ohne jedoch die bunte Geſammtfärbung der Gaunerſprache zu verwiſchen. Alle 1) 1) Das Buch iſt äußerſt ſelten und ſo gut wie verſchollen. Nicht einmal der genaue Titel iſt mir vorgekommen, bis ich ihn zuerſt vollſtändig bei Fran- cisque-Michel, a. a. O., S. 447, fand. Nach langjährigem Suchen gelang es endlich 1858, das Buch antiquariſch zu erwerben. Schäffer erwähnt es in der Note S. 294 ſeines „Abriſſes“ nur ganz obenhin mit der nicht motivirten Be- merkung, „daß es hin und wieder an Richtigkeit und Genauigkeit fehle“. 1) dieſe zum Theil recht werthvollen Jdiotiken zeugen von dem lebhaften Jntereſſe, mit welchem man in das Volk und auf ſeine Sprache blickte. Und doch feierte Polizei und Juſtiz, die billig am erſten und genaueſten darauf hätten blicken ſollen! Wie begreiflich iſt der ungeheuere Aufſtand des Räuberthums, als Picard 1790 an der Spitze der brabantiſchen Bande hervorbrach!

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/177>, abgerufen am 21.11.2024.