die so weitläuftige 1) Untersuchung gegen die dort inhaftirten Räu- ber und Vagabonden verschafft haben muß, brachte mich anfangs auf die Jdee, ob die Sprache der hier (in Kiel) einsitzenden Räu- ber vielleicht nur das gewöhnliche Judendeutsch sei. Jch legte da- her andern unverdächtigen Juden mehrere dieser Ausdrücke vor. Diese haben indeß erklärt, daß diese Sprache nicht das sogenannte Judendeutsch, vielmehr ihnen völlig unbekannt wäre. Wenn ich nun in Erwägung ziehe, daß andere hier verhaftete sehr berüchtigte Räuber Christlicher Religion, wie z. B. der im Gefängniß erhenkte Schmidt oder Hamburger Fuchs, und der von hier entflohene Köster diese Sprache ganz geläufig sprachen und daß nach Ver- sicherung der übrigen Gefangenen nur diese unter den Räubern gesprochen wird, so halte ich es der Mühe werth zur bessern Ver- gleichung beider Sprachen einige der darin vorkommenden Aus- drücke neben einander zu setzen, und so zur Kunde des Publicums zu bringen."
Das ist die Geschichte dieser sehr interessanten Synonymik, welche ein frappanter Beleg zu der schon aufgestellten Behauptung ist, wie viel bei der Kritik von Gaunersprachvocabeln auf die Per- son des Sammlers ankommt. Sie charakterisirt aber auch zugleich einen Mann, der grundehrlich gegen sich und gegen andere war und gerade dadurch seinem Wörterbuch den Charakter vollkomme- ner Echtheit und Zuverlässigkeit verlieh. Jedenfalls hat Christen- sen's Wörterbuch classischen Werth, wenn auch in Hinsicht auf Verständniß und Redaction mitunter Verstöße vorkommen. Bei dem wüsten Schwall der rotwelschen und Pfister'schen Epigonen- literatur ist es kaum über Norddeutschland hinaus bekannt, nie- mals aber nach seinem bedeutenden Werthe gewürdigt worden. Es verdient jedoch seinen Platz in erster Reihe der Gaunerwörter- bücher. Es folgt hier ganz in seiner originellen Fassung mit den
1) Das ist offenbare Jronie. Denn am 1. Mai 1811 fiel der Raubmord bei Laudenbach vor, welcher Anlaß zu der von Pfister dargestellten Untersuchung gab, und schon fünf Monate später, im October 1811, schrieb Pfister die Vor- rede seines Buchs, welches auch das erste Gaunerwörterverzeichniß enthielt.
die ſo weitläuftige 1) Unterſuchung gegen die dort inhaftirten Räu- ber und Vagabonden verſchafft haben muß, brachte mich anfangs auf die Jdee, ob die Sprache der hier (in Kiel) einſitzenden Räu- ber vielleicht nur das gewöhnliche Judendeutſch ſei. Jch legte da- her andern unverdächtigen Juden mehrere dieſer Ausdrücke vor. Dieſe haben indeß erklärt, daß dieſe Sprache nicht das ſogenannte Judendeutſch, vielmehr ihnen völlig unbekannt wäre. Wenn ich nun in Erwägung ziehe, daß andere hier verhaftete ſehr berüchtigte Räuber Chriſtlicher Religion, wie z. B. der im Gefängniß erhenkte Schmidt oder Hamburger Fuchs, und der von hier entflohene Köſter dieſe Sprache ganz geläufig ſprachen und daß nach Ver- ſicherung der übrigen Gefangenen nur dieſe unter den Räubern geſprochen wird, ſo halte ich es der Mühe werth zur beſſern Ver- gleichung beider Sprachen einige der darin vorkommenden Aus- drücke neben einander zu ſetzen, und ſo zur Kunde des Publicums zu bringen.“
Das iſt die Geſchichte dieſer ſehr intereſſanten Synonymik, welche ein frappanter Beleg zu der ſchon aufgeſtellten Behauptung iſt, wie viel bei der Kritik von Gaunerſprachvocabeln auf die Per- ſon des Sammlers ankommt. Sie charakteriſirt aber auch zugleich einen Mann, der grundehrlich gegen ſich und gegen andere war und gerade dadurch ſeinem Wörterbuch den Charakter vollkomme- ner Echtheit und Zuverläſſigkeit verlieh. Jedenfalls hat Chriſten- ſen’s Wörterbuch claſſiſchen Werth, wenn auch in Hinſicht auf Verſtändniß und Redaction mitunter Verſtöße vorkommen. Bei dem wüſten Schwall der rotwelſchen und Pfiſter’ſchen Epigonen- literatur iſt es kaum über Norddeutſchland hinaus bekannt, nie- mals aber nach ſeinem bedeutenden Werthe gewürdigt worden. Es verdient jedoch ſeinen Platz in erſter Reihe der Gaunerwörter- bücher. Es folgt hier ganz in ſeiner originellen Faſſung mit den
1) Das iſt offenbare Jronie. Denn am 1. Mai 1811 fiel der Raubmord bei Laudenbach vor, welcher Anlaß zu der von Pfiſter dargeſtellten Unterſuchung gab, und ſchon fünf Monate ſpäter, im October 1811, ſchrieb Pfiſter die Vor- rede ſeines Buchs, welches auch das erſte Gaunerwörterverzeichniß enthielt.
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[198/0210]
die ſo weitläuftige 1) Unterſuchung gegen die dort inhaftirten Räu-
ber und Vagabonden verſchafft haben muß, brachte mich anfangs
auf die Jdee, ob die Sprache der hier (in Kiel) einſitzenden Räu-
ber vielleicht nur das gewöhnliche Judendeutſch ſei. Jch legte da-
her andern unverdächtigen Juden mehrere dieſer Ausdrücke vor.
Dieſe haben indeß erklärt, daß dieſe Sprache nicht das ſogenannte
Judendeutſch, vielmehr ihnen völlig unbekannt wäre. Wenn ich
nun in Erwägung ziehe, daß andere hier verhaftete ſehr berüchtigte
Räuber Chriſtlicher Religion, wie z. B. der im Gefängniß erhenkte
Schmidt oder Hamburger Fuchs, und der von hier entflohene
Köſter dieſe Sprache ganz geläufig ſprachen und daß nach Ver-
ſicherung der übrigen Gefangenen nur dieſe unter den Räubern
geſprochen wird, ſo halte ich es der Mühe werth zur beſſern Ver-
gleichung beider Sprachen einige der darin vorkommenden Aus-
drücke neben einander zu ſetzen, und ſo zur Kunde des Publicums
zu bringen.“
Das iſt die Geſchichte dieſer ſehr intereſſanten Synonymik,
welche ein frappanter Beleg zu der ſchon aufgeſtellten Behauptung
iſt, wie viel bei der Kritik von Gaunerſprachvocabeln auf die Per-
ſon des Sammlers ankommt. Sie charakteriſirt aber auch zugleich
einen Mann, der grundehrlich gegen ſich und gegen andere war
und gerade dadurch ſeinem Wörterbuch den Charakter vollkomme-
ner Echtheit und Zuverläſſigkeit verlieh. Jedenfalls hat Chriſten-
ſen’s Wörterbuch claſſiſchen Werth, wenn auch in Hinſicht auf
Verſtändniß und Redaction mitunter Verſtöße vorkommen. Bei
dem wüſten Schwall der rotwelſchen und Pfiſter’ſchen Epigonen-
literatur iſt es kaum über Norddeutſchland hinaus bekannt, nie-
mals aber nach ſeinem bedeutenden Werthe gewürdigt worden.
Es verdient jedoch ſeinen Platz in erſter Reihe der Gaunerwörter-
bücher. Es folgt hier ganz in ſeiner originellen Faſſung mit den
1) Das iſt offenbare Jronie. Denn am 1. Mai 1811 fiel der Raubmord
bei Laudenbach vor, welcher Anlaß zu der von Pfiſter dargeſtellten Unterſuchung
gab, und ſchon fünf Monate ſpäter, im October 1811, ſchrieb Pfiſter die Vor-
rede ſeines Buchs, welches auch das erſte Gaunerwörterverzeichniß enthielt.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/210>, abgerufen am 21.11.2024.
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