des Hühnchens ist, wenn auch nicht kurz, dennoch ihrer ursprünglichen Bestim- mung gemäss gedrängt und beschränkt sich nur auf das, was zur Darstellung der Vorgänge gehört, ohne vollständige Rücksicht auf die Leistungen meiner Vorgän- ger zu nehmen. An einigen Stellen, wo mir eigene Beobachtungen fehlten, und ich doch wichtige Verhältnisse nicht übergehen wollte, wie das Maass des Gewichts- verlustes und die Weiterbildung der an der Lunge hängenden Blasen zu Luftsäcken, habe ich die benutzten Auctoritäten genannt. Alles übrige bitte ich als den Be- richt über eigene Untersuchungen anzusehen. So ist, was ich über die Blutbil- dung zweifelnd anführe, auch nicht als Widerspruch gegen Deine oder Wolff's Darstellung zu betrachten, sondern soll nur genau angeben, wie weit ich selbst ge- langt bin. Das erste Strömen im dunklen Theile der Keimhaut aufzufinden, scheint mir so unendlich schwierig, dass ich darauf aufmerksam zu machen nicht für über- flüssig hielt, da man jetzt in Inaugural-Dissertationen die Sache so darstellt, als ob sie nach Eröffnung von ein Paar Dutzend Eiern Jedem entgegenträte. Dass es C. Fr. Wolff und Dir gelungen ist, die erste Bewegung zu erkennen, wenn Ihr Euer Augenmerk anhaltend auf diesen Gegenstand gerichtet habt, bestimmt läug- nen zu wollen, war meine Absicht nicht. Auch bin ich vollkommen davon über- zeugt, dass erst durch die Bewegung des Blutes die Gefässwand sich bildet, aber zwischen dem Mangel einer festen Gefässwand und der Bewegung ohne vorgebil- dete Bahn, sind noch viele Zwischenstufen, welche wohl in Embryonen kaltblü- tiger Thiere, die lange unter dem Microscope leben, sich auffinden lassen. Im Hühnchen wird man die erste Bewegung kaum in tausend Fällen einmal treffen können, vielleicht nie. Dieses näher aus einander zu setzen, würde mich hier zu weit führen.
Die Zahl der von mir geöffneten Eier mag sich auch, wie bei der Würzbur- ger Untersuchung, auf ein Paar Tausend belaufen. Du weisst aber sehr wohl, dass solche Zahlen den Erfolg eben nicht ausmachen, und dass es vielmehr darauf an- kommt, die Embryonen in den am meisten belehrenden Momenten zu erhalten,
des Hühnchens ist, wenn auch nicht kurz, dennoch ihrer ursprünglichen Bestim- mung gemäſs gedrängt und beschränkt sich nur auf das, was zur Darstellung der Vorgänge gehört, ohne vollständige Rücksicht auf die Leistungen meiner Vorgän- ger zu nehmen. An einigen Stellen, wo mir eigene Beobachtungen fehlten, und ich doch wichtige Verhältnisse nicht übergehen wollte, wie das Maaſs des Gewichts- verlustes und die Weiterbildung der an der Lunge hängenden Blasen zu Luftsäcken, habe ich die benutzten Auctoritäten genannt. Alles übrige bitte ich als den Be- richt über eigene Untersuchungen anzusehen. So ist, was ich über die Blutbil- dung zweifelnd anführe, auch nicht als Widerspruch gegen Deine oder Wolff’s Darstellung zu betrachten, sondern soll nur genau angeben, wie weit ich selbst ge- langt bin. Das erste Strömen im dunklen Theile der Keimhaut aufzufinden, scheint mir so unendlich schwierig, daſs ich darauf aufmerksam zu machen nicht für über- flüssig hielt, da man jetzt in Inaugural-Dissertationen die Sache so darstellt, als ob sie nach Eröffnung von ein Paar Dutzend Eiern Jedem entgegenträte. Daſs es C. Fr. Wolff und Dir gelungen ist, die erste Bewegung zu erkennen, wenn Ihr Euer Augenmerk anhaltend auf diesen Gegenstand gerichtet habt, bestimmt läug- nen zu wollen, war meine Absicht nicht. Auch bin ich vollkommen davon über- zeugt, daſs erst durch die Bewegung des Blutes die Gefäſswand sich bildet, aber zwischen dem Mangel einer festen Gefäſswand und der Bewegung ohne vorgebil- dete Bahn, sind noch viele Zwischenstufen, welche wohl in Embryonen kaltblü- tiger Thiere, die lange unter dem Microscope leben, sich auffinden lassen. Im Hühnchen wird man die erste Bewegung kaum in tausend Fällen einmal treffen können, vielleicht nie. Dieses näher aus einander zu setzen, würde mich hier zu weit führen.
Die Zahl der von mir geöffneten Eier mag sich auch, wie bei der Würzbur- ger Untersuchung, auf ein Paar Tausend belaufen. Du weiſst aber sehr wohl, daſs solche Zahlen den Erfolg eben nicht ausmachen, und daſs es vielmehr darauf an- kommt, die Embryonen in den am meisten belehrenden Momenten zu erhalten,
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[XIV/0020]
des Hühnchens ist, wenn auch nicht kurz, dennoch ihrer ursprünglichen Bestim-
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Vorgänge gehört, ohne vollständige Rücksicht auf die Leistungen meiner Vorgän-
ger zu nehmen. An einigen Stellen, wo mir eigene Beobachtungen fehlten, und
ich doch wichtige Verhältnisse nicht übergehen wollte, wie das Maaſs des Gewichts-
verlustes und die Weiterbildung der an der Lunge hängenden Blasen zu Luftsäcken,
habe ich die benutzten Auctoritäten genannt. Alles übrige bitte ich als den Be-
richt über eigene Untersuchungen anzusehen. So ist, was ich über die Blutbil-
dung zweifelnd anführe, auch nicht als Widerspruch gegen Deine oder Wolff’s
Darstellung zu betrachten, sondern soll nur genau angeben, wie weit ich selbst ge-
langt bin. Das erste Strömen im dunklen Theile der Keimhaut aufzufinden, scheint
mir so unendlich schwierig, daſs ich darauf aufmerksam zu machen nicht für über-
flüssig hielt, da man jetzt in Inaugural-Dissertationen die Sache so darstellt, als
ob sie nach Eröffnung von ein Paar Dutzend Eiern Jedem entgegenträte. Daſs es
C. Fr. Wolff und Dir gelungen ist, die erste Bewegung zu erkennen, wenn Ihr
Euer Augenmerk anhaltend auf diesen Gegenstand gerichtet habt, bestimmt läug-
nen zu wollen, war meine Absicht nicht. Auch bin ich vollkommen davon über-
zeugt, daſs erst durch die Bewegung des Blutes die Gefäſswand sich bildet, aber
zwischen dem Mangel einer festen Gefäſswand und der Bewegung ohne vorgebil-
dete Bahn, sind noch viele Zwischenstufen, welche wohl in Embryonen kaltblü-
tiger Thiere, die lange unter dem Microscope leben, sich auffinden lassen. Im
Hühnchen wird man die erste Bewegung kaum in tausend Fällen einmal treffen
können, vielleicht nie. Dieses näher aus einander zu setzen, würde mich hier
zu weit führen.
Die Zahl der von mir geöffneten Eier mag sich auch, wie bei der Würzbur-
ger Untersuchung, auf ein Paar Tausend belaufen. Du weiſst aber sehr wohl, daſs
solche Zahlen den Erfolg eben nicht ausmachen, und daſs es vielmehr darauf an-
kommt, die Embryonen in den am meisten belehrenden Momenten zu erhalten,
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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