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Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

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Fidelis. Da Sie sich selbst für diesen Verein interessie-
ren --
Kuno. Was der Verein anstrebt, scheint mir aber
nicht genug. Ich habe ferner auch Bedenken gegen die Me-
thode. Man beweist den Leuten, daß der Alkohol, das
Fleischessen und so weiter schädlich ist. Ich weiß aber
nicht, ob sich da nicht mancher sagt: Auf das bißchen Ar-
terienverkalkung und dergleichen kommt's schon nicht mehr
an, mir geht's innerlich so schlecht, daß mir alles andere
gleich ist, solange nicht meiner Seele geholfen wird.
Fidelis (leichthin). Glauben Sie, daß viele Menschen
ein so besonderes Gewicht auf ihre Seele legen?
Kuno. Ich glaube. Die meisten wissen es nur selbst
gar nicht. Sie wissen bloß, daß ihnen elend ist. Zunächst
also: mehr Geld verdienen. Zu ihrer Verwunderung wird
ihnen aber dadurch nicht weniger elend. Dann kommt
Lahmann, Luftkuren, Abstinenz, Fasten und zuletzt die ra-
dikale Skepsis. Und wirklich: dem ganzen Leben entsa-
gen, bloß um nicht die Gicht zu kriegen?
Fidelis (achselzuckend). Zur Abschreckung.
Kuno. Ich glaube nicht daran. Man überschätzt heute
den Eigennutz des Menschen ebenso wie man sein Ehrge-
fühl unterschätzt. Ich würde den Leuten nicht sagen:
Hütet euch vor dem Alkohol, er schadet! Sondern: Es
ist gemein, sich künstlich zu begeistern, schämt euch! --
Nun wird man sagen, daß ich auch Ihren Verein wieder
zu meiner theosophischen Propaganda mißbrauchen will.
Ich kann Ihnen aber nur versichern, ich mache keine. Im
Gegenteil, ich rede mit den Neugierigen, die sich bei mir
melden, fast wie der Räuberhauptmann Moor mit dem
6*
Fidelis. Da Sie ſich ſelbſt für dieſen Verein intereſſie-
ren —
Kuno. Was der Verein anſtrebt, ſcheint mir aber
nicht genug. Ich habe ferner auch Bedenken gegen die Me-
thode. Man beweiſt den Leuten, daß der Alkohol, das
Fleiſcheſſen und ſo weiter ſchädlich iſt. Ich weiß aber
nicht, ob ſich da nicht mancher ſagt: Auf das bißchen Ar-
terienverkalkung und dergleichen kommt's ſchon nicht mehr
an, mir geht's innerlich ſo ſchlecht, daß mir alles andere
gleich iſt, ſolange nicht meiner Seele geholfen wird.
Fidelis (leichthin). Glauben Sie, daß viele Menſchen
ein ſo beſonderes Gewicht auf ihre Seele legen?
Kuno. Ich glaube. Die meiſten wiſſen es nur ſelbſt
gar nicht. Sie wiſſen bloß, daß ihnen elend iſt. Zunächſt
alſo: mehr Geld verdienen. Zu ihrer Verwunderung wird
ihnen aber dadurch nicht weniger elend. Dann kommt
Lahmann, Luftkuren, Abſtinenz, Faſten und zuletzt die ra-
dikale Skepſis. Und wirklich: dem ganzen Leben entſa-
gen, bloß um nicht die Gicht zu kriegen?
Fidelis (achſelzuckend). Zur Abſchreckung.
Kuno. Ich glaube nicht daran. Man überſchätzt heute
den Eigennutz des Menſchen ebenſo wie man ſein Ehrge-
fühl unterſchätzt. Ich würde den Leuten nicht ſagen:
Hütet euch vor dem Alkohol, er ſchadet! Sondern: Es
iſt gemein, ſich künſtlich zu begeiſtern, ſchämt euch! —
Nun wird man ſagen, daß ich auch Ihren Verein wieder
zu meiner theoſophiſchen Propaganda mißbrauchen will.
Ich kann Ihnen aber nur verſichern, ich mache keine. Im
Gegenteil, ich rede mit den Neugierigen, die ſich bei mir
melden, faſt wie der Räuberhauptmann Moor mit dem
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[83/0089] Fidelis. Da Sie ſich ſelbſt für dieſen Verein intereſſie- ren — Kuno. Was der Verein anſtrebt, ſcheint mir aber nicht genug. Ich habe ferner auch Bedenken gegen die Me- thode. Man beweiſt den Leuten, daß der Alkohol, das Fleiſcheſſen und ſo weiter ſchädlich iſt. Ich weiß aber nicht, ob ſich da nicht mancher ſagt: Auf das bißchen Ar- terienverkalkung und dergleichen kommt's ſchon nicht mehr an, mir geht's innerlich ſo ſchlecht, daß mir alles andere gleich iſt, ſolange nicht meiner Seele geholfen wird. Fidelis (leichthin). Glauben Sie, daß viele Menſchen ein ſo beſonderes Gewicht auf ihre Seele legen? Kuno. Ich glaube. Die meiſten wiſſen es nur ſelbſt gar nicht. Sie wiſſen bloß, daß ihnen elend iſt. Zunächſt alſo: mehr Geld verdienen. Zu ihrer Verwunderung wird ihnen aber dadurch nicht weniger elend. Dann kommt Lahmann, Luftkuren, Abſtinenz, Faſten und zuletzt die ra- dikale Skepſis. Und wirklich: dem ganzen Leben entſa- gen, bloß um nicht die Gicht zu kriegen? Fidelis (achſelzuckend). Zur Abſchreckung. Kuno. Ich glaube nicht daran. Man überſchätzt heute den Eigennutz des Menſchen ebenſo wie man ſein Ehrge- fühl unterſchätzt. Ich würde den Leuten nicht ſagen: Hütet euch vor dem Alkohol, er ſchadet! Sondern: Es iſt gemein, ſich künſtlich zu begeiſtern, ſchämt euch! — Nun wird man ſagen, daß ich auch Ihren Verein wieder zu meiner theoſophiſchen Propaganda mißbrauchen will. Ich kann Ihnen aber nur verſichern, ich mache keine. Im Gegenteil, ich rede mit den Neugierigen, die ſich bei mir melden, faſt wie der Räuberhauptmann Moor mit dem 6*

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Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/89>, abgerufen am 27.11.2024.