Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

Endlich einer, der etwas tat, gleichviel mit welchem Erfolg;
der seinen Kopf bei den Augen hatte. Endlich einer, der
aufzuräumen gewillt war mit Schlendrian, Phrase, Bombast
und Faszikel. Endlich ein Tiger, wenn er auch peitschte
und Zähne zeigte. Ein Temperament, nach Pedanten und
Tölpeln, Adepten und Träumern.

Noch Lessing spricht von den Preussen zuweilen wie
von einem halbwilden Volke, doch stellt er verwundert
fest, denen sei "der Heldenmut so angeboren wie den
Spartanern". Die Schlacht bei Rossbach gewann die schon
vorher "fritzisch Gesinnten" wie Goethe. Und wenn es
nach Treitschke den Helden des deutschen Gedankens auch
lange Zeit noch schwer fiel, "den einzig lebenskräftigen
Staat unseres Volkes zu verstehen" 113), so trat doch in
Friedrich die "uralte Waffenherrlichkeit der deutschen Nation"
wieder zutage, und der "Idealismus" tat das Seine, den
Gegensatz allgemach auszugleichen. Den Abfall der prote-
stantisch feudalen Niederlande vom Reich hatten Goethe und
Schiller mit Versen und Prosa freudig gefeiert. Die Rebellion
Preussens im Norden, Friedrichs II. Vasallenaufstand 114) entsprach ihrem Liberalismus nicht ganz, doch galt es,
sich abzufinden 115).

Was waren die Gründe, die unsere Urgrossväter jen-
seits des Maines, wenn auch mit Sträuben und Zagen, zu
preussischen Royalisten machten? Das heilige römische
Reich lag in Agonie und bestand eigentlich schon seit
Luther nicht mehr. Die Gelehrtenrepublik bot gewisse
Unabhängigkeitsgarantien, wenn auch sehr provisorischer
Art. Man spintisierte nach Lust und Belieben; jeder für
sich, Gott für uns alle. Keine Aufwiegelei, keine Sentiments
für die "Canaille", alles in Ruhe und Frieden! Von der
Sympathie bis zur Einführung preussischer Korporalstöcke
im Reich ist ein gutes Stück Weg. Dann würde auch Oester-
reich wohl noch zu reden haben.

Eines aber verband Dichter, Denker und preussische

Endlich einer, der etwas tat, gleichviel mit welchem Erfolg;
der seinen Kopf bei den Augen hatte. Endlich einer, der
aufzuräumen gewillt war mit Schlendrian, Phrase, Bombast
und Faszikel. Endlich ein Tiger, wenn er auch peitschte
und Zähne zeigte. Ein Temperament, nach Pedanten und
Tölpeln, Adepten und Träumern.

Noch Lessing spricht von den Preussen zuweilen wie
von einem halbwilden Volke, doch stellt er verwundert
fest, denen sei „der Heldenmut so angeboren wie den
Spartanern“. Die Schlacht bei Rossbach gewann die schon
vorher „fritzisch Gesinnten“ wie Goethe. Und wenn es
nach Treitschke den Helden des deutschen Gedankens auch
lange Zeit noch schwer fiel, „den einzig lebenskräftigen
Staat unseres Volkes zu verstehen“ 113), so trat doch in
Friedrich die „uralte Waffenherrlichkeit der deutschen Nation“
wieder zutage, und der „Idealismus“ tat das Seine, den
Gegensatz allgemach auszugleichen. Den Abfall der prote-
stantisch feudalen Niederlande vom Reich hatten Goethe und
Schiller mit Versen und Prosa freudig gefeiert. Die Rebellion
Preussens im Norden, Friedrichs II. Vasallenaufstand 114) entsprach ihrem Liberalismus nicht ganz, doch galt es,
sich abzufinden 115).

Was waren die Gründe, die unsere Urgrossväter jen-
seits des Maines, wenn auch mit Sträuben und Zagen, zu
preussischen Royalisten machten? Das heilige römische
Reich lag in Agonie und bestand eigentlich schon seit
Luther nicht mehr. Die Gelehrtenrepublik bot gewisse
Unabhängigkeitsgarantien, wenn auch sehr provisorischer
Art. Man spintisierte nach Lust und Belieben; jeder für
sich, Gott für uns alle. Keine Aufwiegelei, keine Sentiments
für die „Canaille“, alles in Ruhe und Frieden! Von der
Sympathie bis zur Einführung preussischer Korporalstöcke
im Reich ist ein gutes Stück Weg. Dann würde auch Oester-
reich wohl noch zu reden haben.

Eines aber verband Dichter, Denker und preussische

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0103" n="95"/>
Endlich einer, der etwas tat, gleichviel mit welchem Erfolg;<lb/>
der seinen Kopf bei den Augen hatte. Endlich einer, der<lb/>
aufzuräumen gewillt war mit Schlendrian, Phrase, Bombast<lb/>
und Faszikel. Endlich ein Tiger, wenn er auch peitschte<lb/>
und Zähne zeigte. Ein Temperament, nach Pedanten und<lb/>
Tölpeln, Adepten und Träumern.</p><lb/>
          <p>Noch Lessing spricht von den Preussen zuweilen wie<lb/>
von einem halbwilden Volke, doch stellt er verwundert<lb/>
fest, denen sei &#x201E;der Heldenmut so angeboren wie den<lb/>
Spartanern&#x201C;. Die Schlacht bei Rossbach gewann die schon<lb/>
vorher &#x201E;fritzisch Gesinnten&#x201C; wie Goethe. Und wenn es<lb/>
nach Treitschke den Helden des deutschen Gedankens auch<lb/>
lange Zeit noch schwer fiel, &#x201E;den einzig lebenskräftigen<lb/>
Staat unseres Volkes zu verstehen&#x201C; <note xml:id="id113b" next="id113b113b" place="end" n="113)"/>, so trat doch in<lb/>
Friedrich die &#x201E;uralte Waffenherrlichkeit der deutschen Nation&#x201C;<lb/>
wieder zutage, und der &#x201E;Idealismus&#x201C; tat das Seine, den<lb/>
Gegensatz allgemach auszugleichen. Den Abfall der prote-<lb/>
stantisch feudalen Niederlande vom Reich hatten Goethe und<lb/>
Schiller mit Versen und Prosa freudig gefeiert. Die Rebellion<lb/>
Preussens im Norden, Friedrichs II. Vasallenaufstand <note xml:id="id114b" next="id114b114b" place="end" n="114)"/><lb/>
entsprach ihrem Liberalismus nicht ganz, doch galt es,<lb/>
sich abzufinden <note xml:id="id115b" next="id115b115b" place="end" n="115)"/>.</p><lb/>
          <p>Was waren die Gründe, die unsere Urgrossväter jen-<lb/>
seits des Maines, wenn auch mit Sträuben und Zagen, zu<lb/>
preussischen Royalisten machten? Das heilige römische<lb/>
Reich lag in Agonie und bestand eigentlich schon seit<lb/>
Luther nicht mehr. Die Gelehrtenrepublik bot gewisse<lb/>
Unabhängigkeitsgarantien, wenn auch sehr provisorischer<lb/>
Art. Man spintisierte nach Lust und Belieben; jeder für<lb/>
sich, Gott für uns alle. Keine Aufwiegelei, keine Sentiments<lb/>
für die &#x201E;Canaille&#x201C;, alles in Ruhe und Frieden! Von der<lb/>
Sympathie bis zur Einführung preussischer Korporalstöcke<lb/>
im Reich ist ein gutes Stück Weg. Dann würde auch Oester-<lb/>
reich wohl noch zu reden haben.</p><lb/>
          <p>Eines aber verband Dichter, Denker und preussische<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0103] Endlich einer, der etwas tat, gleichviel mit welchem Erfolg; der seinen Kopf bei den Augen hatte. Endlich einer, der aufzuräumen gewillt war mit Schlendrian, Phrase, Bombast und Faszikel. Endlich ein Tiger, wenn er auch peitschte und Zähne zeigte. Ein Temperament, nach Pedanten und Tölpeln, Adepten und Träumern. Noch Lessing spricht von den Preussen zuweilen wie von einem halbwilden Volke, doch stellt er verwundert fest, denen sei „der Heldenmut so angeboren wie den Spartanern“. Die Schlacht bei Rossbach gewann die schon vorher „fritzisch Gesinnten“ wie Goethe. Und wenn es nach Treitschke den Helden des deutschen Gedankens auch lange Zeit noch schwer fiel, „den einzig lebenskräftigen Staat unseres Volkes zu verstehen“ ¹¹³⁾ , so trat doch in Friedrich die „uralte Waffenherrlichkeit der deutschen Nation“ wieder zutage, und der „Idealismus“ tat das Seine, den Gegensatz allgemach auszugleichen. Den Abfall der prote- stantisch feudalen Niederlande vom Reich hatten Goethe und Schiller mit Versen und Prosa freudig gefeiert. Die Rebellion Preussens im Norden, Friedrichs II. Vasallenaufstand ¹¹⁴⁾ entsprach ihrem Liberalismus nicht ganz, doch galt es, sich abzufinden ¹¹⁵⁾ . Was waren die Gründe, die unsere Urgrossväter jen- seits des Maines, wenn auch mit Sträuben und Zagen, zu preussischen Royalisten machten? Das heilige römische Reich lag in Agonie und bestand eigentlich schon seit Luther nicht mehr. Die Gelehrtenrepublik bot gewisse Unabhängigkeitsgarantien, wenn auch sehr provisorischer Art. Man spintisierte nach Lust und Belieben; jeder für sich, Gott für uns alle. Keine Aufwiegelei, keine Sentiments für die „Canaille“, alles in Ruhe und Frieden! Von der Sympathie bis zur Einführung preussischer Korporalstöcke im Reich ist ein gutes Stück Weg. Dann würde auch Oester- reich wohl noch zu reden haben. Eines aber verband Dichter, Denker und preussische

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/103
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/103>, abgerufen am 23.11.2024.