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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Herrscher, und das konnte schon damals bedenklich scheinen:
die protestantische Ideologie. Als Friedrich entdeckte: "Ich
bin gewissermassen der Papst der Lutheraner und das
kirchliche Oberhaupt der Reformierten" 116), da stand im
Grunde auch der Durchführung seiner deutschen Aspirationen
nichts mehr im Wege. Kants Philosophie gewann Schiller,
Wilhelm von Humboldt und Kleist, die protestantische
Staatsidee Fichte und Hegel. Der siebenjährige Krieg hatte
Goethe gewonnen. Raubkrieg hin, Raubkrieg her: die
Nation, von Klassizismus und Lutheranismus zugleich ver-
dorben, gewann einen dankbaren Stoff zur Poetisierung.
"Da griff ich ungestüm die goldenen Harfe, darein zu
stürmen Friedrichs Lob" 117). Hatte Friedrich nicht Gedanken-
freiheit gegeben? Das verband Schiller (siehe Marquis Posa).
Hatte er nicht den "grossen praktischen Verstand", den
Goethe an den Engländern lobte? Und wenn Friedrich
auch französisch schrieb und sich mit Voltaire und den
Enzyklopädisten besser verstand als mit Weimar und Jena:
wo sonst als bei Preussen und seinem Heer war Rettung
vor dem radikal Bösen der schrecklichen Ungeheuer-Revolte
von Paris?

Der Jammer und die Misere, worin die habsburgische
Theokratie, aufgebaut auf einem toten Gotte, Deutschland
konservierte, lassen den Entschluss begreiflich erscheinen,
den unsere Altvordern fassten. Sie konnten nicht ahnen,
was folgen würde. Heute aber, da wir die Ungeheuer in
unserer Mitte haben, da Preussen sinnlos und eine Land-
plage geworden ist, -- was hindert uns noch, der Sol-
dateska den Abschied, der Republik aber ihren Advent zu
bereiten?

Als Herrscher war Friedrich nicht ohne Bedenken.
Der Einfluss der Henriade ging tiefer, als er sich eingestand.
"Die Gier nach immer mehr", schrieb er im Antimacchiavell,
"ist nur das Merkmal ganz niedrig gearteter Seelen". Und:
"Ein Verlangen, sich vom Raub des Nächsten zu vergrössern,

Herrscher, und das konnte schon damals bedenklich scheinen:
die protestantische Ideologie. Als Friedrich entdeckte: „Ich
bin gewissermassen der Papst der Lutheraner und das
kirchliche Oberhaupt der Reformierten“ 116), da stand im
Grunde auch der Durchführung seiner deutschen Aspirationen
nichts mehr im Wege. Kants Philosophie gewann Schiller,
Wilhelm von Humboldt und Kleist, die protestantische
Staatsidee Fichte und Hegel. Der siebenjährige Krieg hatte
Goethe gewonnen. Raubkrieg hin, Raubkrieg her: die
Nation, von Klassizismus und Lutheranismus zugleich ver-
dorben, gewann einen dankbaren Stoff zur Poetisierung.
„Da griff ich ungestüm die goldenen Harfe, darein zu
stürmen Friedrichs Lob“ 117). Hatte Friedrich nicht Gedanken-
freiheit gegeben? Das verband Schiller (siehe Marquis Posa).
Hatte er nicht den „grossen praktischen Verstand“, den
Goethe an den Engländern lobte? Und wenn Friedrich
auch französisch schrieb und sich mit Voltaire und den
Enzyklopädisten besser verstand als mit Weimar und Jena:
wo sonst als bei Preussen und seinem Heer war Rettung
vor dem radikal Bösen der schrecklichen Ungeheuer-Revolte
von Paris?

Der Jammer und die Misere, worin die habsburgische
Theokratie, aufgebaut auf einem toten Gotte, Deutschland
konservierte, lassen den Entschluss begreiflich erscheinen,
den unsere Altvordern fassten. Sie konnten nicht ahnen,
was folgen würde. Heute aber, da wir die Ungeheuer in
unserer Mitte haben, da Preussen sinnlos und eine Land-
plage geworden ist, — was hindert uns noch, der Sol-
dateska den Abschied, der Republik aber ihren Advent zu
bereiten?

Als Herrscher war Friedrich nicht ohne Bedenken.
Der Einfluss der Henriade ging tiefer, als er sich eingestand.
„Die Gier nach immer mehr“, schrieb er im Antimacchiavell,
„ist nur das Merkmal ganz niedrig gearteter Seelen“. Und:
„Ein Verlangen, sich vom Raub des Nächsten zu vergrössern,

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[96/0104] Herrscher, und das konnte schon damals bedenklich scheinen: die protestantische Ideologie. Als Friedrich entdeckte: „Ich bin gewissermassen der Papst der Lutheraner und das kirchliche Oberhaupt der Reformierten“ ¹¹⁶⁾ , da stand im Grunde auch der Durchführung seiner deutschen Aspirationen nichts mehr im Wege. Kants Philosophie gewann Schiller, Wilhelm von Humboldt und Kleist, die protestantische Staatsidee Fichte und Hegel. Der siebenjährige Krieg hatte Goethe gewonnen. Raubkrieg hin, Raubkrieg her: die Nation, von Klassizismus und Lutheranismus zugleich ver- dorben, gewann einen dankbaren Stoff zur Poetisierung. „Da griff ich ungestüm die goldenen Harfe, darein zu stürmen Friedrichs Lob“ ¹¹⁷⁾ . Hatte Friedrich nicht Gedanken- freiheit gegeben? Das verband Schiller (siehe Marquis Posa). Hatte er nicht den „grossen praktischen Verstand“, den Goethe an den Engländern lobte? Und wenn Friedrich auch französisch schrieb und sich mit Voltaire und den Enzyklopädisten besser verstand als mit Weimar und Jena: wo sonst als bei Preussen und seinem Heer war Rettung vor dem radikal Bösen der schrecklichen Ungeheuer-Revolte von Paris? Der Jammer und die Misere, worin die habsburgische Theokratie, aufgebaut auf einem toten Gotte, Deutschland konservierte, lassen den Entschluss begreiflich erscheinen, den unsere Altvordern fassten. Sie konnten nicht ahnen, was folgen würde. Heute aber, da wir die Ungeheuer in unserer Mitte haben, da Preussen sinnlos und eine Land- plage geworden ist, — was hindert uns noch, der Sol- dateska den Abschied, der Republik aber ihren Advent zu bereiten? Als Herrscher war Friedrich nicht ohne Bedenken. Der Einfluss der Henriade ging tiefer, als er sich eingestand. „Die Gier nach immer mehr“, schrieb er im Antimacchiavell, „ist nur das Merkmal ganz niedrig gearteter Seelen“. Und: „Ein Verlangen, sich vom Raub des Nächsten zu vergrössern,

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/104>, abgerufen am 27.11.2024.