discours de Malines (du Cardinal Mercier). Il est ardent comme le langage de Saint-Paul, pur comme celui de Pascal; il est sublime et modeste, sacre et profane, orthodoxe et rationnel, pieux et heroique, europeen et universel, aussi bon pour la beguine de Bruges que pour l'esprit cultive" 5). Die Geister, die im 20. Jahrhundert gegen einander streiten, heissen Napoleon und Christus, und der Napoleonismus als Leitmotiv bezeichnet die intellektuelle Entwicklung Deutschlands. "Mehr noch als das Europa von 1800 bis 1801, das im Sieger von Marengo den Muhamed einer neuen Epoche sah, den Vorläufer eines neuen Glaubens, studiert das heutige Deutschland den "Napoleonismus" in den Werken Treitschkes und Nietzsches. Der Korse hat den Galiläer besiegt" 6).
Wogegen nachzuweisen ist, dass Russland, Frankreich und Italien, ja auch England und Amerika in ihren Quäkern und Pazifisten, indem sie die Emanzipation des Christen- tums aus der Orthodoxie vollzogen und das christliche Ideal in einem von Kirche und Dogma unabhängigen Sinne restituierten, sich tiefer von Deutschland trennten, als alle nationalen und politischen Unterschiede die Völker je trennen konnten.
Borgese wies auf den Nutzen hin, den in diesem Sinne noch heute die Lektüre von Tolstois "Krieg und Frieden" bietet. "Man sieht darin", schreibt er, "wie ein Russe, der weder Konstrukteur eitler Ideensysteme, noch Chauvinist und Nationalist war, die Mission des russischen Volkes während der napoleonischen Kriege auffasst, ins- besondere während des Krieges von 1812, der das Scheitern des vielbewunderten Antichrist brachte". Anna Pawlowna nennt Bonaparte von der ersten Seite des Buches an einen Antichristen. "Seht diese heidnischen Bestien!" schreit die wütende Menge, als die Franzosen Moskau räumen und sich an einem Leichnam vergreifen. Dem Idol der Gewalt und Energie in der Gestalt Napoleons stellt Tolstoi seinen
discours de Malines (du Cardinal Mercier). Il est ardent comme le langage de Saint-Paul, pur comme celui de Pascal; il est sublime et modeste, sacré et profane, orthodoxe et rationnel, pieux et héroïque, européen et universel, aussi bon pour la béguine de Bruges que pour l'esprit cultivé“ 5). Die Geister, die im 20. Jahrhundert gegen einander streiten, heissen Napoleon und Christus, und der Napoleonismus als Leitmotiv bezeichnet die intellektuelle Entwicklung Deutschlands. „Mehr noch als das Europa von 1800 bis 1801, das im Sieger von Marengo den Muhamed einer neuen Epoche sah, den Vorläufer eines neuen Glaubens, studiert das heutige Deutschland den „Napoleonismus“ in den Werken Treitschkes und Nietzsches. Der Korse hat den Galiläer besiegt“ 6).
Wogegen nachzuweisen ist, dass Russland, Frankreich und Italien, ja auch England und Amerika in ihren Quäkern und Pazifisten, indem sie die Emanzipation des Christen- tums aus der Orthodoxie vollzogen und das christliche Ideal in einem von Kirche und Dogma unabhängigen Sinne restituierten, sich tiefer von Deutschland trennten, als alle nationalen und politischen Unterschiede die Völker je trennen konnten.
Borgese wies auf den Nutzen hin, den in diesem Sinne noch heute die Lektüre von Tolstois „Krieg und Frieden“ bietet. „Man sieht darin“, schreibt er, „wie ein Russe, der weder Konstrukteur eitler Ideensysteme, noch Chauvinist und Nationalist war, die Mission des russischen Volkes während der napoleonischen Kriege auffasst, ins- besondere während des Krieges von 1812, der das Scheitern des vielbewunderten Antichrist brachte“. Anna Pawlowna nennt Bonaparte von der ersten Seite des Buches an einen Antichristen. „Seht diese heidnischen Bestien!“ schreit die wütende Menge, als die Franzosen Moskau räumen und sich an einem Leichnam vergreifen. Dem Idol der Gewalt und Energie in der Gestalt Napoleons stellt Tolstoi seinen
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discours de Malines (du Cardinal Mercier). Il est ardent
comme le langage de Saint-Paul, pur comme celui de Pascal;
il est sublime et modeste, sacré et profane, orthodoxe et
rationnel, pieux et héroïque, européen et universel, aussi bon
pour la béguine de Bruges que pour l'esprit cultivé“
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Geister, die im 20. Jahrhundert gegen einander streiten,
heissen Napoleon und Christus, und der Napoleonismus
als Leitmotiv bezeichnet die intellektuelle Entwicklung
Deutschlands. „Mehr noch als das Europa von 1800 bis
1801, das im Sieger von Marengo den Muhamed einer
neuen Epoche sah, den Vorläufer eines neuen Glaubens,
studiert das heutige Deutschland den „Napoleonismus“ in
den Werken Treitschkes und Nietzsches. Der Korse hat
den Galiläer besiegt“
⁶⁾
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Wogegen nachzuweisen ist, dass Russland, Frankreich
und Italien, ja auch England und Amerika in ihren Quäkern
und Pazifisten, indem sie die Emanzipation des Christen-
tums aus der Orthodoxie vollzogen und das christliche
Ideal in einem von Kirche und Dogma unabhängigen
Sinne restituierten, sich tiefer von Deutschland trennten,
als alle nationalen und politischen Unterschiede die Völker
je trennen konnten.
Borgese wies auf den Nutzen hin, den in diesem
Sinne noch heute die Lektüre von Tolstois „Krieg und
Frieden“ bietet. „Man sieht darin“, schreibt er, „wie ein
Russe, der weder Konstrukteur eitler Ideensysteme, noch
Chauvinist und Nationalist war, die Mission des russischen
Volkes während der napoleonischen Kriege auffasst, ins-
besondere während des Krieges von 1812, der das Scheitern
des vielbewunderten Antichrist brachte“. Anna Pawlowna
nennt Bonaparte von der ersten Seite des Buches an einen
Antichristen. „Seht diese heidnischen Bestien!“ schreit die
wütende Menge, als die Franzosen Moskau räumen und
sich an einem Leichnam vergreifen. Dem Idol der Gewalt
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/140>, abgerufen am 27.11.2024.
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