die französische und englische Parallele ertragen konnte. Philosophien und Systeme haben selbst heute noch im deutschen Volk gar keine Wurzel. Anzunehmen also wie Marx, die Theorie der Philosophie werde die Massen er- greifen und dadurch Macht gewinnen 26), hiess leere Ver- sprechungen machen oder sich täuschen.
Aufschlussreicher als die Stellung zur Nation und zur Philosophie ist die Stellung des jungen Marx zur Religion. Sie führt ihn in einer Polemik mit Bauer zum jüdischen Problem und zwingt ihn, seine innersten Ueberzeugungen zu formulieren. Ein Aufsatz "Zur Judenfrage" in den "Deutsch-französischen Jahrbüchern" ist für die Beurteilung Marxens von der grössten Wichtigkeit. Bauer hatte in seiner "Kritik der evangelischen Geschichte" (1841) hervorgehoben, dass der Weltherr in Rom, der alle Rechte repräsentiere, der Leben und Tod auf seinen Lippen trage, an dem Herrn der evangelischen Geschichte, der mit einem Hauch seines Mundes den Widerstand der Natur bezwinge oder seine Feinde niederschlage; der sich schon auf Erden als den Weltherrn und Weltrichter ankündige, einen feindlichen Bruder zwar, aber einen Bruder habe 27). Bauers Kritik streifte bereits bedenklich den alttestamentarischen Obrig- keitsgott Jehova, den rächenden, strafenden Judengott. Ludwig Feuerbach vollends analysierte im "Wesen des Christentums" (1841) die jüdische Religion als die Religion des selbstischen Interesses. "Die Juden haben sich in ihrer religiösen Eigentümlichkeit bis heute erhalten. Ihr Prinzip, ihr Gott ist das praktischste Prinzip der Welt --, der Egoismus, und zwar der Egoismus in der Form der Reli- gion. Der Egoismus ist der Gott, der seinen Diener nicht zu schanden werden lässt. Der Egoismus ist wesentlich monotheistisch, denn er hat nur eines, nur sich zum Zwecke. Der Egoismus sammelt, konzentriert den Menschen auf sich, aber er macht ihn theoretisch borniert, weil gleich- gültig gegen alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des
die französische und englische Parallele ertragen konnte. Philosophien und Systeme haben selbst heute noch im deutschen Volk gar keine Wurzel. Anzunehmen also wie Marx, die Theorie der Philosophie werde die Massen er- greifen und dadurch Macht gewinnen 26), hiess leere Ver- sprechungen machen oder sich täuschen.
Aufschlussreicher als die Stellung zur Nation und zur Philosophie ist die Stellung des jungen Marx zur Religion. Sie führt ihn in einer Polemik mit Bauer zum jüdischen Problem und zwingt ihn, seine innersten Ueberzeugungen zu formulieren. Ein Aufsatz „Zur Judenfrage“ in den „Deutsch-französischen Jahrbüchern“ ist für die Beurteilung Marxens von der grössten Wichtigkeit. Bauer hatte in seiner „Kritik der evangelischen Geschichte“ (1841) hervorgehoben, dass der Weltherr in Rom, der alle Rechte repräsentiere, der Leben und Tod auf seinen Lippen trage, an dem Herrn der evangelischen Geschichte, der mit einem Hauch seines Mundes den Widerstand der Natur bezwinge oder seine Feinde niederschlage; der sich schon auf Erden als den Weltherrn und Weltrichter ankündige, einen feindlichen Bruder zwar, aber einen Bruder habe 27). Bauers Kritik streifte bereits bedenklich den alttestamentarischen Obrig- keitsgott Jehova, den rächenden, strafenden Judengott. Ludwig Feuerbach vollends analysierte im „Wesen des Christentums“ (1841) die jüdische Religion als die Religion des selbstischen Interesses. „Die Juden haben sich in ihrer religiösen Eigentümlichkeit bis heute erhalten. Ihr Prinzip, ihr Gott ist das praktischste Prinzip der Welt —, der Egoismus, und zwar der Egoismus in der Form der Reli- gion. Der Egoismus ist der Gott, der seinen Diener nicht zu schanden werden lässt. Der Egoismus ist wesentlich monotheistisch, denn er hat nur eines, nur sich zum Zwecke. Der Egoismus sammelt, konzentriert den Menschen auf sich, aber er macht ihn theoretisch borniert, weil gleich- gültig gegen alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des
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die französische und englische Parallele ertragen konnte.
Philosophien und Systeme haben selbst heute noch im
deutschen Volk gar keine Wurzel. Anzunehmen also wie
Marx, die Theorie der Philosophie werde die Massen er-
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sprechungen machen oder sich täuschen.
Aufschlussreicher als die Stellung zur Nation und zur
Philosophie ist die Stellung des jungen Marx zur Religion.
Sie führt ihn in einer Polemik mit Bauer zum jüdischen
Problem und zwingt ihn, seine innersten Ueberzeugungen
zu formulieren. Ein Aufsatz „Zur Judenfrage“ in den
„Deutsch-französischen Jahrbüchern“ ist für die Beurteilung
Marxens von der grössten Wichtigkeit. Bauer hatte in seiner
„Kritik der evangelischen Geschichte“ (1841) hervorgehoben,
dass der Weltherr in Rom, der alle Rechte repräsentiere,
der Leben und Tod auf seinen Lippen trage, an dem Herrn
der evangelischen Geschichte, der mit einem Hauch seines
Mundes den Widerstand der Natur bezwinge oder seine
Feinde niederschlage; der sich schon auf Erden als den
Weltherrn und Weltrichter ankündige, einen feindlichen
Bruder zwar, aber einen Bruder habe
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. Bauers Kritik
streifte bereits bedenklich den alttestamentarischen Obrig-
keitsgott Jehova, den rächenden, strafenden Judengott.
Ludwig Feuerbach vollends analysierte im „Wesen des
Christentums“ (1841) die jüdische Religion als die Religion
des selbstischen Interesses. „Die Juden haben sich in ihrer
religiösen Eigentümlichkeit bis heute erhalten. Ihr Prinzip,
ihr Gott ist das praktischste Prinzip der Welt —, der
Egoismus, und zwar der Egoismus in der Form der Reli-
gion. Der Egoismus ist der Gott, der seinen Diener nicht
zu schanden werden lässt. Der Egoismus ist wesentlich
monotheistisch, denn er hat nur eines, nur sich zum Zwecke.
Der Egoismus sammelt, konzentriert den Menschen auf
sich, aber er macht ihn theoretisch borniert, weil gleich-
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/191>, abgerufen am 21.11.2024.
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