in der proletarischen Gesellschaft; nach Beseitigung der beiden stärksten Hindernisse, der "bürgerlichen" Ideologie (alias Moral) und der staatlich geschützten Religion (alias Christentum). Wozu aber den Staat selbst bekämpfen, der in Deutschland wie nirgends sonst eine Zwangsmacht dar- stellt? Wozu auch nur die Monarchie angreifen, die vor- erst den Juden schützt, später aber von selbst verschwindet? Ist sie doch nur eine zufällige Verwaltungsform! Trägt sie doch dazu bei, die Masse gefügig zu machen, sie zum willigen Instrument abzurichten, dem jede Autorität, auch die eines Gelehrten, gebieten kann, wenn er versteht, mit dem Anschein profundester Rebellion die Geste des Men- schenfreundes zu verbinden!
Marx bekämpfte das Kapital, aber innerhalb einer ge- schonten Monarchie, deren Willkürregiment ihn trotz eines Korrespondenten wie Lassalle nicht weiter beunruhigt. 64) Ja, er sympathisiert mit den offiziellen Erfolgen des Junker- staates. Beförderten sie doch den Zentralismus, den Marx für seine Verelendungstheorie braucht, trugen sie doch dazu bei, das Schwergewicht der Arbeiterbewegung allmählich nach Deutschland zu verlegen. Und darin konspirierte er mit Lassalle, der ja ebenfalls vom preussischen Geiste sich allerhand Nutzen für die Organisation der "revolutionären" Arbeitermassen versprach. Als aber die Revolution nicht hielt, was sie erst versprochen hatte -- erlebte man nicht, dass Hermann Cohen 1915 in seiner zitierten Schrift gerade die Staatstreue der Marx und Lassalle der antisemitischen Auto- kratie in Rechnung stellte?
Es ist interessant genug, die historische Entwicklung des politischen Marxismus zu verfolgen. Im "kommunisti- schen Manifest" von 1847 kämpft "die kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt", noch "gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Mo- narchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei" 65). 1848 aber, als es Ernst wird mit der deutschen Revolution,
in der proletarischen Gesellschaft; nach Beseitigung der beiden stärksten Hindernisse, der „bürgerlichen“ Ideologie (alias Moral) und der staatlich geschützten Religion (alias Christentum). Wozu aber den Staat selbst bekämpfen, der in Deutschland wie nirgends sonst eine Zwangsmacht dar- stellt? Wozu auch nur die Monarchie angreifen, die vor- erst den Juden schützt, später aber von selbst verschwindet? Ist sie doch nur eine zufällige Verwaltungsform! Trägt sie doch dazu bei, die Masse gefügig zu machen, sie zum willigen Instrument abzurichten, dem jede Autorität, auch die eines Gelehrten, gebieten kann, wenn er versteht, mit dem Anschein profundester Rebellion die Geste des Men- schenfreundes zu verbinden!
Marx bekämpfte das Kapital, aber innerhalb einer ge- schonten Monarchie, deren Willkürregiment ihn trotz eines Korrespondenten wie Lassalle nicht weiter beunruhigt. 64) Ja, er sympathisiert mit den offiziellen Erfolgen des Junker- staates. Beförderten sie doch den Zentralismus, den Marx für seine Verelendungstheorie braucht, trugen sie doch dazu bei, das Schwergewicht der Arbeiterbewegung allmählich nach Deutschland zu verlegen. Und darin konspirierte er mit Lassalle, der ja ebenfalls vom preussischen Geiste sich allerhand Nutzen für die Organisation der „revolutionären“ Arbeitermassen versprach. Als aber die Revolution nicht hielt, was sie erst versprochen hatte — erlebte man nicht, dass Hermann Cohen 1915 in seiner zitierten Schrift gerade die Staatstreue der Marx und Lassalle der antisemitischen Auto- kratie in Rechnung stellte?
Es ist interessant genug, die historische Entwicklung des politischen Marxismus zu verfolgen. Im „kommunisti- schen Manifest“ von 1847 kämpft „die kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt“, noch „gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Mo- narchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei“ 65). 1848 aber, als es Ernst wird mit der deutschen Revolution,
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in der proletarischen Gesellschaft; nach Beseitigung der
beiden stärksten Hindernisse, der „bürgerlichen“ Ideologie
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Christentum). Wozu aber den Staat selbst bekämpfen, der
in Deutschland wie nirgends sonst eine Zwangsmacht dar-
stellt? Wozu auch nur die Monarchie angreifen, die vor-
erst den Juden schützt, später aber von selbst verschwindet?
Ist sie doch nur eine zufällige Verwaltungsform! Trägt sie
doch dazu bei, die Masse gefügig zu machen, sie zum
willigen Instrument abzurichten, dem jede Autorität, auch
die eines Gelehrten, gebieten kann, wenn er versteht, mit
dem Anschein profundester Rebellion die Geste des Men-
schenfreundes zu verbinden!
Marx bekämpfte das Kapital, aber innerhalb einer ge-
schonten Monarchie, deren Willkürregiment ihn trotz eines
Korrespondenten wie Lassalle nicht weiter beunruhigt.
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Ja, er sympathisiert mit den offiziellen Erfolgen des Junker-
staates. Beförderten sie doch den Zentralismus, den Marx
für seine Verelendungstheorie braucht, trugen sie doch dazu
bei, das Schwergewicht der Arbeiterbewegung allmählich
nach Deutschland zu verlegen. Und darin konspirierte er
mit Lassalle, der ja ebenfalls vom preussischen Geiste sich
allerhand Nutzen für die Organisation der „revolutionären“
Arbeitermassen versprach. Als aber die Revolution nicht hielt,
was sie erst versprochen hatte — erlebte man nicht, dass
Hermann Cohen 1915 in seiner zitierten Schrift gerade die
Staatstreue der Marx und Lassalle der antisemitischen Auto-
kratie in Rechnung stellte?
Es ist interessant genug, die historische Entwicklung
des politischen Marxismus zu verfolgen. Im „kommunisti-
schen Manifest“ von 1847 kämpft „die kommunistische
Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt“, noch
„gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Mo-
narchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei“
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/204>, abgerufen am 22.11.2024.
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