Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.vertraut und verklärungswürdig: feiste Magistratsherren und spinöse oder sinnig aufgetane Bürgerinnen. Das unterscheidet überhaupt den religiösen vom zynischen Geist: ob er den Menschen in Gott oder Gott in den Menschen auflöst. Der einzig heroische Künstler seiner Zeit war Matthias Grünewald. 25) In einem Fragment "Wir Philologen" (Werke, Bd. X) wies Nietzsche darauf hin, dass ein Renaissance-Ideal die aktiv gegen die Kirche gerichtete Philologie als der Inbegriff der weltlichen Kenntnisse war. Er glaubte, der Kirche sei es im ganzen gelungen, den aggressiven Philologen in den Gelehrten- Amateur umzuwandeln. Aber der ganze Protestantismus ist aggres- sive Philologie in diesem Sinne. Nietzsche ist nur der letzte Ausläufer der bereits von Luther mit soviel Ernst repräsentierten weltlichen Poeten-Philologie der Renaissancezeit. 26) Melanchthon redigierte auch die Augsburgische Kon- fession, dieses Schanddokument deutscher Gewissensversklavung. Mit der Augsburgischen Konfession verzichteten Luther und Melanchthon vor Kaiser und Fürsten feierlich auf die individuelle Gewissensfreiheit, die das ursprüngliche Evangelium Luthers gewesen war. Die Confessio Augustana konstituierte eine neue (protestantische) Kirche, die in ihrem Verhältnis zur weltlichen Macht nur mit der byzantinischen Kirche zu vergleichen ist, sanktionierte im Namen Gottes den Absolutismus und setzte durch Verleihung der höchsten geistlichen Würde an den Landesvater soviele protestantische Päpste ein, als es protestantische Fürsten gab. Die Augsburgische Konfession steht noch heute in Deutsch- land in voller Kraft. Einer der wichtigsten Programmpunkte einer deutschen republikanischen Partei ist deshalb ihre Beseitigung im Interesse der Gewissensfreiheit. 27) Walter Rathenau, "Von kommenden Dingen", S. Fischer, Verlag, Berlin 1917, S. 227. 28) Entscheidend auf Luthers Stellung zum Papsttum wirkte der Nachweis des Laurentius Valla, dass die konstantinische Schenkungsurkunde an den römischen Bischof auf einer Reihe von Urkundenfälschungen beruhte, die das Papsttum in seine Dekretalien aufgenommen hatte. 29) Hier einige Sätze Nietzsches über die Verbindung der jüdischen mit der deutschen Moral: "Dieses gekreuzte Christen- tum hat im Katholizismus eine Form gefunden, bei der das römische Element zum Uebergewicht gekommen ist, und im Protestantismus eine andere, in der das jüdische Element vor- herrscht" (Werke, Bd. XI). "Es hat vielleicht in nichts Europa vertraut und verklärungswürdig: feiste Magistratsherren und spinöse oder sinnig aufgetane Bürgerinnen. Das unterscheidet überhaupt den religiösen vom zynischen Geist: ob er den Menschen in Gott oder Gott in den Menschen auflöst. Der einzig heroische Künstler seiner Zeit war Matthias Grünewald. 25) In einem Fragment „Wir Philologen“ (Werke, Bd. X) wies Nietzsche darauf hin, dass ein Renaissance-Ideal die aktiv gegen die Kirche gerichtete Philologie als der Inbegriff der weltlichen Kenntnisse war. Er glaubte, der Kirche sei es im ganzen gelungen, den aggressiven Philologen in den Gelehrten- Amateur umzuwandeln. Aber der ganze Protestantismus ist aggres- sive Philologie in diesem Sinne. Nietzsche ist nur der letzte Ausläufer der bereits von Luther mit soviel Ernst repräsentierten weltlichen Poeten-Philologie der Renaissancezeit. 26) Melanchthon redigierte auch die Augsburgische Kon- fession, dieses Schanddokument deutscher Gewissensversklavung. Mit der Augsburgischen Konfession verzichteten Luther und Melanchthon vor Kaiser und Fürsten feierlich auf die individuelle Gewissensfreiheit, die das ursprüngliche Evangelium Luthers gewesen war. Die Confessio Augustana konstituierte eine neue (protestantische) Kirche, die in ihrem Verhältnis zur weltlichen Macht nur mit der byzantinischen Kirche zu vergleichen ist, sanktionierte im Namen Gottes den Absolutismus und setzte durch Verleihung der höchsten geistlichen Würde an den Landesvater soviele protestantische Päpste ein, als es protestantische Fürsten gab. Die Augsburgische Konfession steht noch heute in Deutsch- land in voller Kraft. Einer der wichtigsten Programmpunkte einer deutschen republikanischen Partei ist deshalb ihre Beseitigung im Interesse der Gewissensfreiheit. 27) Walter Rathenau, „Von kommenden Dingen“, S. Fischer, Verlag, Berlin 1917, S. 227. 28) Entscheidend auf Luthers Stellung zum Papsttum wirkte der Nachweis des Laurentius Valla, dass die konstantinische Schenkungsurkunde an den römischen Bischof auf einer Reihe von Urkundenfälschungen beruhte, die das Papsttum in seine Dekretalien aufgenommen hatte. 29) Hier einige Sätze Nietzsches über die Verbindung der jüdischen mit der deutschen Moral: „Dieses gekreuzte Christen- tum hat im Katholizismus eine Form gefunden, bei der das römische Element zum Uebergewicht gekommen ist, und im Protestantismus eine andere, in der das jüdische Element vor- herrscht“ (Werke, Bd. XI). „Es hat vielleicht in nichts Europa <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <note xml:id="id24a24a" prev="id24a" place="end" n="24)"><pb facs="#f0253" n="245"/> vertraut und verklärungswürdig: feiste Magistratsherren und spinöse<lb/> oder sinnig aufgetane Bürgerinnen. 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²⁴⁾ vertraut und verklärungswürdig: feiste Magistratsherren und spinöse
oder sinnig aufgetane Bürgerinnen. Das unterscheidet überhaupt
den religiösen vom zynischen Geist: ob er den Menschen in Gott
oder Gott in den Menschen auflöst. Der einzig heroische Künstler
seiner Zeit war Matthias Grünewald.
²⁵⁾ In einem Fragment „Wir Philologen“ (Werke, Bd. X)
wies Nietzsche darauf hin, dass ein Renaissance-Ideal die aktiv
gegen die Kirche gerichtete Philologie als der Inbegriff der
weltlichen Kenntnisse war. Er glaubte, der Kirche sei es im
ganzen gelungen, den aggressiven Philologen in den Gelehrten-
Amateur umzuwandeln. Aber der ganze Protestantismus ist aggres-
sive Philologie in diesem Sinne. Nietzsche ist nur der letzte
Ausläufer der bereits von Luther mit soviel Ernst repräsentierten
weltlichen Poeten-Philologie der Renaissancezeit.
²⁶⁾ Melanchthon redigierte auch die Augsburgische Kon-
fession, dieses Schanddokument deutscher Gewissensversklavung.
Mit der Augsburgischen Konfession verzichteten Luther und
Melanchthon vor Kaiser und Fürsten feierlich auf die individuelle
Gewissensfreiheit, die das ursprüngliche Evangelium Luthers
gewesen war. Die Confessio Augustana konstituierte eine neue
(protestantische) Kirche, die in ihrem Verhältnis zur weltlichen
Macht nur mit der byzantinischen Kirche zu vergleichen ist,
sanktionierte im Namen Gottes den Absolutismus und setzte durch
Verleihung der höchsten geistlichen Würde an den Landesvater
soviele protestantische Päpste ein, als es protestantische Fürsten
gab. Die Augsburgische Konfession steht noch heute in Deutsch-
land in voller Kraft. Einer der wichtigsten Programmpunkte einer
deutschen republikanischen Partei ist deshalb ihre Beseitigung im
Interesse der Gewissensfreiheit.
²⁷⁾ Walter Rathenau, „Von kommenden Dingen“, S. Fischer,
Verlag, Berlin 1917, S. 227.
²⁸⁾ Entscheidend auf Luthers Stellung zum Papsttum wirkte
der Nachweis des Laurentius Valla, dass die konstantinische
Schenkungsurkunde an den römischen Bischof auf einer Reihe
von Urkundenfälschungen beruhte, die das Papsttum in seine
Dekretalien aufgenommen hatte.
²⁹⁾ Hier einige Sätze Nietzsches über die Verbindung der
jüdischen mit der deutschen Moral: „Dieses gekreuzte Christen-
tum hat im Katholizismus eine Form gefunden, bei der das
römische Element zum Uebergewicht gekommen ist, und im
Protestantismus eine andere, in der das jüdische Element vor-
herrscht“ (Werke, Bd. XI). „Es hat vielleicht in nichts Europa
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