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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Dekorations-Katholizismus, der die alte strenge Tradition ver-
lassen hat, mag den Brüdern Schlegel in ihren späteren Jahren
entsprochen haben. Er war nicht das geistige Reich der Baader,
Novalis und Beethoven. Von Sophie Kühn sagte Novalis: "Ich
habe zu Sophie Religion, nicht Liebe", und von Beethoven weiss
man, dass er Mozart des Don Juan wegen verachtete. Die Pro-
fanation der Liebe war beiden Profanation des Genies. Was
Beethoven und Novalis bewegt, ist keineswegs "heidnischer
Katholizismus", auch nicht die "Gottesverehrung durch die Gott-
beleidigung in der Sünde", die Blei als die Moralität (!) Barbey
d'Aurevillys und Baudelaires bezeichnet (S. 116). Es ist vielmehr
die leidende Spiritualität Christi, die Zauberbrücke zum Jenseits,
die Auflösung aller Natur und des Menschen im leidenden Gotte,
der jubeln möchte. Vergl. auch Beethoven, "Gespräche 1819-20":
"Sokrates und Jesus sind meine Vorbilder gewesen".
142) Franz Blei "Novalis", S. 109. Der Aphorismus beginnt
"Die religiöse Aufgabe: Mitleid mit der Gottheit zu haben".
143) Gustav Landauer, "Friedrich Hölderlin in seinen Ge-
dichten", Juni-Nummer der "Weissen Blätter", 1916.
144) Ebendort, S. 201. "Brauchen wir Helden", schreibt
Landauer, "die nicht zerstören und wettern, sondern bauen, ordnen
und segnen, brauchen wir Helden der Liebe, so ist Hölderlin
unserer Zukunft, unserer Gegenwart ein führender Geist" (S. 211).
145) "Hyperion oder der Eremit in Griechenland", Reclam-
Verlag.
146) "Es ist ein hartes Wort", heisst es im "Hyperion",
"und dennoch sag ich's, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk
mir denken, das zerrissener wäre wie die Deutschen. Handwerker
siehst du, aber keine Menschen; Denker, aber keine Menschen;
Priester, aber keine Menschen; Herren und Knechte, junge und
gesetzte Leute, aber keine Menschen. Ist das nicht wie ein Schlacht-
feld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt unter
einander liegen, indessen das vergossene Lebensblut im Sande
zerrinnt?" Hölderlin ist einer der ersten, der die geistige Ein-
heit der Nation, wenn auch nur hymnisch, wiederherzustellen
suchte. Die ganze Romantik ist eine Literatur und Musik gegen
Luther und Kant, gegen die individualistische und aufgeklärte
Charakterbildung und Philosophie. Eine Konspiration, wenn man
will, eine Freimaurerei. Franz von Baader und Goethe tragen
die religiöse Ureinheit des Mittelalters und seine Symbolik des
Abgrunds herein in die Neuzeit. Schopenhauer bleibt mächtiger
Hort des Sturzes der Intellektualphilosophie und verflachenden
Dekorations-Katholizismus, der die alte strenge Tradition ver-
lassen hat, mag den Brüdern Schlegel in ihren späteren Jahren
entsprochen haben. Er war nicht das geistige Reich der Baader,
Novalis und Beethoven. Von Sophie Kühn sagte Novalis: „Ich
habe zu Sophie Religion, nicht Liebe“, und von Beethoven weiss
man, dass er Mozart des Don Juan wegen verachtete. Die Pro-
fanation der Liebe war beiden Profanation des Genies. Was
Beethoven und Novalis bewegt, ist keineswegs „heidnischer
Katholizismus“, auch nicht die „Gottesverehrung durch die Gott-
beleidigung in der Sünde“, die Blei als die Moralität (!) Barbey
d'Aurevillys und Baudelaires bezeichnet (S. 116). Es ist vielmehr
die leidende Spiritualität Christi, die Zauberbrücke zum Jenseits,
die Auflösung aller Natur und des Menschen im leidenden Gotte,
der jubeln möchte. Vergl. auch Beethoven, „Gespräche 1819-20“:
„Sokrates und Jesus sind meine Vorbilder gewesen“.
142) Franz Blei „Novalis“, S. 109. Der Aphorismus beginnt
„Die religiöse Aufgabe: Mitleid mit der Gottheit zu haben“.
143) Gustav Landauer, „Friedrich Hölderlin in seinen Ge-
dichten“, Juni-Nummer der „Weissen Blätter“, 1916.
144) Ebendort, S. 201. „Brauchen wir Helden“, schreibt
Landauer, „die nicht zerstören und wettern, sondern bauen, ordnen
und segnen, brauchen wir Helden der Liebe, so ist Hölderlin
unserer Zukunft, unserer Gegenwart ein führender Geist“ (S. 211).
145) „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“, Reclam-
Verlag.
146) „Es ist ein hartes Wort“, heisst es im «Hyperion»,
„und dennoch sag ich's, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk
mir denken, das zerrissener wäre wie die Deutschen. Handwerker
siehst du, aber keine Menschen; Denker, aber keine Menschen;
Priester, aber keine Menschen; Herren und Knechte, junge und
gesetzte Leute, aber keine Menschen. Ist das nicht wie ein Schlacht-
feld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt unter
einander liegen, indessen das vergossene Lebensblut im Sande
zerrinnt?“ Hölderlin ist einer der ersten, der die geistige Ein-
heit der Nation, wenn auch nur hymnisch, wiederherzustellen
suchte. Die ganze Romantik ist eine Literatur und Musik gegen
Luther und Kant, gegen die individualistische und aufgeklärte
Charakterbildung und Philosophie. Eine Konspiration, wenn man
will, eine Freimaurerei. Franz von Baader und Goethe tragen
die religiöse Ureinheit des Mittelalters und seine Symbolik des
Abgrunds herein in die Neuzeit. Schopenhauer bleibt mächtiger
Hort des Sturzes der Intellektualphilosophie und verflachenden
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[262/0270] ¹⁴¹⁾ Dekorations-Katholizismus, der die alte strenge Tradition ver- lassen hat, mag den Brüdern Schlegel in ihren späteren Jahren entsprochen haben. Er war nicht das geistige Reich der Baader, Novalis und Beethoven. Von Sophie Kühn sagte Novalis: „Ich habe zu Sophie Religion, nicht Liebe“, und von Beethoven weiss man, dass er Mozart des Don Juan wegen verachtete. Die Pro- fanation der Liebe war beiden Profanation des Genies. Was Beethoven und Novalis bewegt, ist keineswegs „heidnischer Katholizismus“, auch nicht die „Gottesverehrung durch die Gott- beleidigung in der Sünde“, die Blei als die Moralität (!) Barbey d'Aurevillys und Baudelaires bezeichnet (S. 116). Es ist vielmehr die leidende Spiritualität Christi, die Zauberbrücke zum Jenseits, die Auflösung aller Natur und des Menschen im leidenden Gotte, der jubeln möchte. Vergl. auch Beethoven, „Gespräche 1819-20“: „Sokrates und Jesus sind meine Vorbilder gewesen“. ¹⁴²⁾ Franz Blei „Novalis“, S. 109. Der Aphorismus beginnt „Die religiöse Aufgabe: Mitleid mit der Gottheit zu haben“. ¹⁴³⁾ Gustav Landauer, „Friedrich Hölderlin in seinen Ge- dichten“, Juni-Nummer der „Weissen Blätter“, 1916. ¹⁴⁴⁾ Ebendort, S. 201. „Brauchen wir Helden“, schreibt Landauer, „die nicht zerstören und wettern, sondern bauen, ordnen und segnen, brauchen wir Helden der Liebe, so ist Hölderlin unserer Zukunft, unserer Gegenwart ein führender Geist“ (S. 211). ¹⁴⁵⁾ „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“, Reclam- Verlag. ¹⁴⁶⁾ „Es ist ein hartes Wort“, heisst es im «Hyperion», „und dennoch sag ich's, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissener wäre wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen; Denker, aber keine Menschen; Priester, aber keine Menschen; Herren und Knechte, junge und gesetzte Leute, aber keine Menschen. Ist das nicht wie ein Schlacht- feld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt unter einander liegen, indessen das vergossene Lebensblut im Sande zerrinnt?“ Hölderlin ist einer der ersten, der die geistige Ein- heit der Nation, wenn auch nur hymnisch, wiederherzustellen suchte. Die ganze Romantik ist eine Literatur und Musik gegen Luther und Kant, gegen die individualistische und aufgeklärte Charakterbildung und Philosophie. Eine Konspiration, wenn man will, eine Freimaurerei. Franz von Baader und Goethe tragen die religiöse Ureinheit des Mittelalters und seine Symbolik des Abgrunds herein in die Neuzeit. Schopenhauer bleibt mächtiger Hort des Sturzes der Intellektualphilosophie und verflachenden

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/270>, abgerufen am 22.11.2024.