Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite
kein weiteres Bekümmern erlaubt) durcheinander geworfen werden mögen,
weil sie als lebendige ihren eigenen Mund und Stimme besitzen, den ihnen
zukommenden Platz anzuzeigen, lebendige Beinchen auch, sich selbst dahin
zu stellen, wenn ihre Zeit gekommen ist. In den inductiven Wissenschaften
haben wir auf die Lehren der Natur zu warten, die, wenn das Sammeln
ohne Falsch und ehrlich war, nicht ausbleiben können, und dann zuver-
lässigere Resultate ergeben, als die voreilig mit der Weisheitsbrille aus-
gespäheten. Mit solcher erhalten wir allzuleicht in loser Verbindung gewaltsam
zusammengezwängter Elementargruppen derartige Detonationsstoffe, wie
sie in den Explosionen der Modetheorien verpuffen, während es erst viel-
facher Analysen und Prüfungen bedarf, um im Gang der Untersuchungen
für die Elemente die richtigen Aequivalente ihrer Verwandtschaftsverhält-
nisse festzustellen, um dauernde Verbindungen zu schaffen. Was objectiv
aus der Gesetzlichkeit gewonnen, wird dann durch diese selbst verbürgt.
Es mag passiren (sofern Jean Paul nicht scherzt), dass man "ein Buch
nicht einmal recensiren, geschweige denn lesen" kann, wenn aber recensirt,
lassen sich die Weherufe über Einführung des Sammelprincips in die
Völkerkunde mit der Betrachtung ersparen, dass sie auf einer Principien-
frage abprallen müsse, mit welcher das Ganze steht oder fällt. Wer im
Uebrigen die Waffe zu kreuzen wünscht, dem liegt der Handschuh auf
dem Gebiet der Völkergedanken für die naturwissenschaftliche Durchbildung
der Psychologie und im Laufe eines Vierteljahrhunderts ziemlich, seit den
ersten meiner Schriften (und alle folgenden hindurch) haben sich aus dem
"Rohmaterial" objectiv damit eingeführte (und so factisch gegebene), Verar-
beitungen desselben bereits genugsam aufgespeichert, um im Für oder Wider
zu dienen. Und im letztern besonders, im Wechselaustausch streitender
Ansichten, könnten die Complicationen der Zeitaufgabe weitere Klärung
gewinnen. Das Zusammenschleppen wird schwer genug, wenn das Tem-
perament zur euorgesia und ruhiger Verarbeitung in der Studierstube neigt.
Statt also mit Vorwürfen, dass die Rohmaterialien schon allgemeiner Mit-
benutzung überlassen sind, die Zeit zu verlieren, thäte man besser, eine
Hand zu leihen, denn jede Minute ist kostbar.
7) Die Phytotomie begann deutlicher aufzuhellen, als Moldenhawer, statt
der Dicotyledonen, für seine Beobachtung die einfacheren Monocotyledonen
wählte, und der Fortschritt in der Zoologie beschleunigte sich mit der auf
die Wirbellosen hingelenkten, und stets verschärften Aufmerksamkeit. Und
dieser Fortschritt wird, durch die Induction gesichert, ein stetiger, im
Gegensatz zu Sprüngen und Gesprühe der Geniestreiche. C'est le privilege
du vrai genie et surtout du genie, qui ouvre une carriere, de faire des
grandes fautes (s. Voltaire). Gewiss, ohne das wird es nicht bleiben, aber
wenn möglich, nicht mehr als nöthig, und wenigstens kein Patent darauf
nehmen.
kein weiteres Bekümmern erlaubt) durcheinander geworfen werden mögen,
weil sie als lebendige ihren eigenen Mund und Stimme besitzen, den ihnen
zukommenden Platz anzuzeigen, lebendige Beinchen auch, sich selbst dahin
zu stellen, wenn ihre Zeit gekommen ist. In den inductiven Wissenschaften
haben wir auf die Lehren der Natur zu warten, die, wenn das Sammeln
ohne Falsch und ehrlich war, nicht ausbleiben können, und dann zuver-
lässigere Resultate ergeben, als die voreilig mit der Weisheitsbrille aus-
gespäheten. Mit solcher erhalten wir allzuleicht in loser Verbindung gewaltsam
zusammengezwängter Elementargruppen derartige Detonationsstoffe, wie
sie in den Explosionen der Modetheorien verpuffen, während es erst viel-
facher Analysen und Prüfungen bedarf, um im Gang der Untersuchungen
für die Elemente die richtigen Aequivalente ihrer Verwandtschaftsverhält-
nisse festzustellen, um dauernde Verbindungen zu schaffen. Was objectiv
aus der Gesetzlichkeit gewonnen, wird dann durch diese selbst verbürgt.
Es mag passiren (sofern Jean Paul nicht scherzt), dass man „ein Buch
nicht einmal recensiren, geschweige denn lesen“ kann, wenn aber recensirt,
lassen sich die Weherufe über Einführung des Sammelprincips in die
Völkerkunde mit der Betrachtung ersparen, dass sie auf einer Principien-
frage abprallen müsse, mit welcher das Ganze steht oder fällt. Wer im
Uebrigen die Waffe zu kreuzen wünscht, dem liegt der Handschuh auf
dem Gebiet der Völkergedanken für die naturwissenschaftliche Durchbildung
der Psychologie und im Laufe eines Vierteljahrhunderts ziemlich, seit den
ersten meiner Schriften (und alle folgenden hindurch) haben sich aus dem
„Rohmaterial“ objectiv damit eingeführte (und so factisch gegebene), Verar-
beitungen desselben bereits genugsam aufgespeichert, um im Für oder Wider
zu dienen. Und im letztern besonders, im Wechselaustausch streitender
Ansichten, könnten die Complicationen der Zeitaufgabe weitere Klärung
gewinnen. Das Zusammenschleppen wird schwer genug, wenn das Tem-
perament zur εὐοργησία und ruhiger Verarbeitung in der Studierstube neigt.
Statt also mit Vorwürfen, dass die Rohmaterialien schon allgemeiner Mit-
benutzung überlassen sind, die Zeit zu verlieren, thäte man besser, eine
Hand zu leihen, denn jede Minute ist kostbar.
7) Die Phytotomie begann deutlicher aufzuhellen, als Moldenhawer, statt
der Dicotyledonen, für seine Beobachtung die einfacheren Monocotyledonen
wählte, und der Fortschritt in der Zoologie beschleunigte sich mit der auf
die Wirbellosen hingelenkten, und stets verschärften Aufmerksamkeit. Und
dieser Fortschritt wird, durch die Induction gesichert, ein stetiger, im
Gegensatz zu Sprüngen und Gesprühe der Geniestreiche. C’est le privilege
du vrai génie et surtout du génie, qui ouvre une carrière, de faire des
grandes fautes (s. Voltaire). Gewiss, ohne das wird es nicht bleiben, aber
wenn möglich, nicht mehr als nöthig, und wenigstens kein Patent darauf
nehmen.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <note xml:id="note-6" prev="#note-n-6" place="end" n="6)"><pb facs="#f0027" n="XXI"/>
kein weiteres Bekümmern erlaubt) durcheinander geworfen werden mögen,<lb/>
weil sie als lebendige ihren eigenen Mund und Stimme besitzen, den ihnen<lb/>
zukommenden Platz anzuzeigen, lebendige Beinchen auch, sich selbst dahin<lb/>
zu stellen, wenn ihre Zeit gekommen ist. In den inductiven Wissenschaften<lb/>
haben wir auf die Lehren der Natur zu warten, die, wenn das Sammeln<lb/>
ohne Falsch und ehrlich war, nicht ausbleiben können, und dann zuver-<lb/>
lässigere Resultate ergeben, als die voreilig mit der Weisheitsbrille aus-<lb/>
gespäheten. Mit solcher erhalten wir allzuleicht in loser Verbindung gewaltsam<lb/>
zusammengezwängter Elementargruppen derartige Detonationsstoffe, wie<lb/>
sie in den Explosionen der Modetheorien verpuffen, während es erst viel-<lb/>
facher Analysen und Prüfungen bedarf, um im Gang der Untersuchungen<lb/>
für die Elemente die richtigen Aequivalente ihrer Verwandtschaftsverhält-<lb/>
nisse festzustellen, um dauernde Verbindungen zu schaffen. Was objectiv<lb/>
aus der Gesetzlichkeit gewonnen, wird dann durch diese selbst verbürgt.<lb/>
Es mag passiren (sofern Jean Paul nicht scherzt), dass man &#x201E;ein Buch<lb/>
nicht einmal recensiren, geschweige denn lesen&#x201C; kann, <hi rendition="#g">wenn</hi> aber recensirt,<lb/>
lassen sich die Weherufe über Einführung des Sammelprincips in die<lb/>
Völkerkunde mit der Betrachtung ersparen, dass sie auf einer Principien-<lb/>
frage abprallen müsse, mit welcher das Ganze steht oder fällt. Wer im<lb/>
Uebrigen die Waffe zu kreuzen wünscht, dem liegt der Handschuh auf<lb/>
dem Gebiet der Völkergedanken für die naturwissenschaftliche Durchbildung<lb/>
der Psychologie und im Laufe eines Vierteljahrhunderts ziemlich, seit den<lb/>
ersten meiner Schriften (und alle folgenden hindurch) haben sich aus dem<lb/>
&#x201E;Rohmaterial&#x201C; objectiv damit eingeführte (und so factisch gegebene), Verar-<lb/>
beitungen desselben bereits genugsam aufgespeichert, um im Für oder Wider<lb/>
zu dienen. Und im letztern besonders, im Wechselaustausch streitender<lb/>
Ansichten, könnten die Complicationen der Zeitaufgabe weitere Klärung<lb/>
gewinnen. Das Zusammenschleppen wird schwer genug, wenn das Tem-<lb/>
perament zur &#x03B5;&#x1F50;&#x03BF;&#x03C1;&#x03B3;&#x03B7;&#x03C3;&#x03AF;&#x03B1; und ruhiger Verarbeitung in der Studierstube neigt.<lb/>
Statt also mit Vorwürfen, dass die Rohmaterialien schon allgemeiner Mit-<lb/>
benutzung überlassen sind, die Zeit zu verlieren, thäte man besser, eine<lb/>
Hand zu leihen, denn jede Minute ist kostbar.</note><lb/>
          <note xml:id="note-7" prev="#note-n-7" place="end" n="7)">Die Phytotomie begann deutlicher aufzuhellen, als Moldenhawer, statt<lb/>
der Dicotyledonen, für seine Beobachtung die einfacheren Monocotyledonen<lb/>
wählte, und der Fortschritt in der Zoologie beschleunigte sich mit der auf<lb/>
die Wirbellosen hingelenkten, und stets verschärften Aufmerksamkeit. Und<lb/>
dieser Fortschritt wird, durch die Induction gesichert, ein stetiger, im<lb/>
Gegensatz zu Sprüngen und Gesprühe der Geniestreiche. C&#x2019;est le privilege<lb/>
du vrai génie et surtout du génie, qui ouvre une carrière, de faire des<lb/>
grandes fautes (s. Voltaire). Gewiss, ohne das wird es nicht bleiben, aber<lb/>
wenn möglich, nicht mehr als nöthig, und wenigstens kein Patent darauf<lb/>
nehmen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXI/0027] ⁶⁾ kein weiteres Bekümmern erlaubt) durcheinander geworfen werden mögen, weil sie als lebendige ihren eigenen Mund und Stimme besitzen, den ihnen zukommenden Platz anzuzeigen, lebendige Beinchen auch, sich selbst dahin zu stellen, wenn ihre Zeit gekommen ist. In den inductiven Wissenschaften haben wir auf die Lehren der Natur zu warten, die, wenn das Sammeln ohne Falsch und ehrlich war, nicht ausbleiben können, und dann zuver- lässigere Resultate ergeben, als die voreilig mit der Weisheitsbrille aus- gespäheten. Mit solcher erhalten wir allzuleicht in loser Verbindung gewaltsam zusammengezwängter Elementargruppen derartige Detonationsstoffe, wie sie in den Explosionen der Modetheorien verpuffen, während es erst viel- facher Analysen und Prüfungen bedarf, um im Gang der Untersuchungen für die Elemente die richtigen Aequivalente ihrer Verwandtschaftsverhält- nisse festzustellen, um dauernde Verbindungen zu schaffen. Was objectiv aus der Gesetzlichkeit gewonnen, wird dann durch diese selbst verbürgt. Es mag passiren (sofern Jean Paul nicht scherzt), dass man „ein Buch nicht einmal recensiren, geschweige denn lesen“ kann, wenn aber recensirt, lassen sich die Weherufe über Einführung des Sammelprincips in die Völkerkunde mit der Betrachtung ersparen, dass sie auf einer Principien- frage abprallen müsse, mit welcher das Ganze steht oder fällt. Wer im Uebrigen die Waffe zu kreuzen wünscht, dem liegt der Handschuh auf dem Gebiet der Völkergedanken für die naturwissenschaftliche Durchbildung der Psychologie und im Laufe eines Vierteljahrhunderts ziemlich, seit den ersten meiner Schriften (und alle folgenden hindurch) haben sich aus dem „Rohmaterial“ objectiv damit eingeführte (und so factisch gegebene), Verar- beitungen desselben bereits genugsam aufgespeichert, um im Für oder Wider zu dienen. Und im letztern besonders, im Wechselaustausch streitender Ansichten, könnten die Complicationen der Zeitaufgabe weitere Klärung gewinnen. Das Zusammenschleppen wird schwer genug, wenn das Tem- perament zur εὐοργησία und ruhiger Verarbeitung in der Studierstube neigt. Statt also mit Vorwürfen, dass die Rohmaterialien schon allgemeiner Mit- benutzung überlassen sind, die Zeit zu verlieren, thäte man besser, eine Hand zu leihen, denn jede Minute ist kostbar. ⁷⁾ Die Phytotomie begann deutlicher aufzuhellen, als Moldenhawer, statt der Dicotyledonen, für seine Beobachtung die einfacheren Monocotyledonen wählte, und der Fortschritt in der Zoologie beschleunigte sich mit der auf die Wirbellosen hingelenkten, und stets verschärften Aufmerksamkeit. Und dieser Fortschritt wird, durch die Induction gesichert, ein stetiger, im Gegensatz zu Sprüngen und Gesprühe der Geniestreiche. C’est le privilege du vrai génie et surtout du génie, qui ouvre une carrière, de faire des grandes fautes (s. Voltaire). Gewiss, ohne das wird es nicht bleiben, aber wenn möglich, nicht mehr als nöthig, und wenigstens kein Patent darauf nehmen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/27
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. XXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/27>, abgerufen am 02.05.2024.