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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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Um sechs Uhr, als wir des Anfangs harrten, wankte
Moscheles in feinster Toilette in's Versammlungszimmer,
mit fieberhaft glühenden Augen, blaß wie eine Leiche.
Die Mutter rieb ihm die Schläfen mit Eau de Cologne
und -- schminkte ihn, damit das Publikum nicht er¬
schrecken solle. Dann saß er auf dem Sopha, den Kopf
in den Armen der Mutter, und sah so -- jammervoll
zu ihr auf, daß ich trotz meines Mitleids laut lachen
mußte. Das Zeichen wurde gegeben -- und Moscheles
taumelte vor -- wurde rauschend empfangen ... und spielte
-- wie ein Gott! Rasender Applaus und -- der Ge¬
feierte flüchtete todmatt zum Sopha. Nach der zweiten
Nummer gleicher Enthusiasmus und gleiches Hinsinken
auf's Sopha -- aber bald, so wie Moscheles nicht mehr
zu fürchten brauchte, daß durch seine Krankheit Blum's
Konzert gestört würde -- da fühlte er sich wohler, ver¬
mochte ein wenig zu essen, und während der Rückfahrt
verminderte sich die Migräne so, daß ich meinem Muth¬
willen schon die Zügel ein wenig schießen lassen durfte.
Ich ahmte sein Augenschließen, Zurücklehnen, Lispeln:
"Ich spiele -- und sollte ich auch sterben ..." zu seinem
größten Ergötzen nach.

Kaum waren wir von dieser angreifenden Fahrt
etwas zu uns gekommen, so ließ sich Präsident Scheve
melden, ein freundlicher, ehrwürdiger alter Herr, un¬
geheuer zeremoniös. Tief sich verbeugend trug er feier¬
lichst sein Anliegen vor: Ich sollte deklamiren im Konzert,
zum Besten des Louisenstiftes gegeben, dessen Vorsteher

Um ſechs Uhr, als wir des Anfangs harrten, wankte
Moſcheles in feinſter Toilette in's Verſammlungszimmer,
mit fieberhaft glühenden Augen, blaß wie eine Leiche.
Die Mutter rieb ihm die Schläfen mit Eau de Cologne
und — ſchminkte ihn, damit das Publikum nicht er¬
ſchrecken ſolle. Dann ſaß er auf dem Sopha, den Kopf
in den Armen der Mutter, und ſah ſo — jammervoll
zu ihr auf, daß ich trotz meines Mitleids laut lachen
mußte. Das Zeichen wurde gegeben — und Moſcheles
taumelte vor — wurde rauſchend empfangen … und ſpielte
— wie ein Gott! Raſender Applaus und — der Ge¬
feierte flüchtete todmatt zum Sopha. Nach der zweiten
Nummer gleicher Enthuſiasmus und gleiches Hinſinken
auf's Sopha — aber bald, ſo wie Moſcheles nicht mehr
zu fürchten brauchte, daß durch ſeine Krankheit Blum's
Konzert geſtört würde — da fühlte er ſich wohler, ver¬
mochte ein wenig zu eſſen, und während der Rückfahrt
verminderte ſich die Migräne ſo, daß ich meinem Muth¬
willen ſchon die Zügel ein wenig ſchießen laſſen durfte.
Ich ahmte ſein Augenſchließen, Zurücklehnen, Liſpeln:
»Ich ſpiele — und ſollte ich auch ſterben …« zu ſeinem
größten Ergötzen nach.

Kaum waren wir von dieſer angreifenden Fahrt
etwas zu uns gekommen, ſo ließ ſich Präſident Scheve
melden, ein freundlicher, ehrwürdiger alter Herr, un¬
geheuer zeremoniös. Tief ſich verbeugend trug er feier¬
lichſt ſein Anliegen vor: Ich ſollte deklamiren im Konzert,
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[98/0126] Um ſechs Uhr, als wir des Anfangs harrten, wankte Moſcheles in feinſter Toilette in's Verſammlungszimmer, mit fieberhaft glühenden Augen, blaß wie eine Leiche. Die Mutter rieb ihm die Schläfen mit Eau de Cologne und — ſchminkte ihn, damit das Publikum nicht er¬ ſchrecken ſolle. Dann ſaß er auf dem Sopha, den Kopf in den Armen der Mutter, und ſah ſo — jammervoll zu ihr auf, daß ich trotz meines Mitleids laut lachen mußte. Das Zeichen wurde gegeben — und Moſcheles taumelte vor — wurde rauſchend empfangen … und ſpielte — wie ein Gott! Raſender Applaus und — der Ge¬ feierte flüchtete todmatt zum Sopha. Nach der zweiten Nummer gleicher Enthuſiasmus und gleiches Hinſinken auf's Sopha — aber bald, ſo wie Moſcheles nicht mehr zu fürchten brauchte, daß durch ſeine Krankheit Blum's Konzert geſtört würde — da fühlte er ſich wohler, ver¬ mochte ein wenig zu eſſen, und während der Rückfahrt verminderte ſich die Migräne ſo, daß ich meinem Muth¬ willen ſchon die Zügel ein wenig ſchießen laſſen durfte. Ich ahmte ſein Augenſchließen, Zurücklehnen, Liſpeln: »Ich ſpiele — und ſollte ich auch ſterben …« zu ſeinem größten Ergötzen nach. Kaum waren wir von dieſer angreifenden Fahrt etwas zu uns gekommen, ſo ließ ſich Präſident Scheve melden, ein freundlicher, ehrwürdiger alter Herr, un¬ geheuer zeremoniös. Tief ſich verbeugend trug er feier¬ lichſt ſein Anliegen vor: Ich ſollte deklamiren im Konzert, zum Beſten des Louiſenſtiftes gegeben, deſſen Vorſteher

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/126>, abgerufen am 24.11.2024.