Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

-- nein, Schutzpatron der Präsident ist. Gern sagte
ich zu, und finde mich auch recht leidlich darein: -- einst¬
weilen zu deklamiren, statt Komödie zu spielen. Aber,
Louis, es ist keine leichte Sache, ein geeignetes Gedicht
zu wählen. Es soll nicht zu ernst, auch nicht zu heiter,
weder zu kurz noch zu lang sein. Ich wählte -- "Nichts"
von Theodor Hell.

Der Konzertsaal des Schauspielhauses ist ein prächtig
erleuchtetes, schönes Lokal, da erscheint man ungeschminkt,
was mir besser steht. Und mein "Nichts" gefiel.

Zu unserer Ueberraschung besuchte uns Präsident
Scheve am andern Morgen abermals, um mir in seiner
feierlichen Weise nochmals zu danken und eine lange Rede
zu halten, deren kurzer Sinn war: daß "die tausend¬
jährige Gesellschaft" uns durch ihn mit der Einladung
beglückte -- dem alljährlich stattfindenden Stiftungsdiner
beizuwohnen ..."

"Tausendjährige Dinergeber?" fragte ich nicht ohne
Entsetzen ... "Ja, liebes Fräulein, die geschlossene Gesell¬
schaft besteht aus vierzehn Mitgliedern -- diese zusammen
machen tausend Jahre ..."

Du weißt leider, mein Bruder, daß ich stets ungern
Rechenstunden genommen und öfters die aufgegebenen
Exempel von den Schulkameradinnen abschrieb -- aber
so viel konnte ich doch dividiren: daß tausend durch vier¬
zehn getheilt, jedem Kopf 71 Jahre 6 Monate zuweist.
Schon wollte ich mich entschuldigen, aber die Mutter
versicherte rasch: wir würden mit Vergnügen erscheinen ...

7 *

— nein, Schutzpatron der Präſident iſt. Gern ſagte
ich zu, und finde mich auch recht leidlich darein: — einſt¬
weilen zu deklamiren, ſtatt Komödie zu ſpielen. Aber,
Louis, es iſt keine leichte Sache, ein geeignetes Gedicht
zu wählen. Es ſoll nicht zu ernſt, auch nicht zu heiter,
weder zu kurz noch zu lang ſein. Ich wählte — »Nichts«
von Theodor Hell.

Der Konzertſaal des Schauſpielhauſes iſt ein prächtig
erleuchtetes, ſchönes Lokal, da erſcheint man ungeſchminkt,
was mir beſſer ſteht. Und mein »Nichts« gefiel.

Zu unſerer Ueberraſchung beſuchte uns Präſident
Scheve am andern Morgen abermals, um mir in ſeiner
feierlichen Weiſe nochmals zu danken und eine lange Rede
zu halten, deren kurzer Sinn war: daß »die tauſend¬
jährige Geſellſchaft« uns durch ihn mit der Einladung
beglückte — dem alljährlich ſtattfindenden Stiftungsdiner
beizuwohnen …«

»Tauſendjährige Dinergeber?« fragte ich nicht ohne
Entſetzen … »Ja, liebes Fräulein, die geſchloſſene Geſell¬
ſchaft beſteht aus vierzehn Mitgliedern — dieſe zuſammen
machen tauſend Jahre …«

Du weißt leider, mein Bruder, daß ich ſtets ungern
Rechenſtunden genommen und öfters die aufgegebenen
Exempel von den Schulkameradinnen abſchrieb — aber
ſo viel konnte ich doch dividiren: daß tauſend durch vier¬
zehn getheilt, jedem Kopf 71 Jahre 6 Monate zuweiſt.
Schon wollte ich mich entſchuldigen, aber die Mutter
verſicherte raſch: wir würden mit Vergnügen erſcheinen …

7 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="99"/>
&#x2014; nein, Schutzpatron der Prä&#x017F;ident i&#x017F;t. Gern &#x017F;agte<lb/>
ich zu, und finde mich auch recht leidlich darein: &#x2014; ein&#x017F;<lb/>
weilen zu deklamiren, &#x017F;tatt Komödie zu &#x017F;pielen. Aber,<lb/>
Louis, es i&#x017F;t keine leichte Sache, ein geeignetes Gedicht<lb/>
zu wählen. Es &#x017F;oll nicht zu ern&#x017F;t, auch nicht zu heiter,<lb/>
weder zu kurz noch zu lang &#x017F;ein. Ich wählte &#x2014; »Nichts«<lb/>
von Theodor Hell.</p><lb/>
        <p>Der Konzert&#x017F;aal des Schau&#x017F;pielhau&#x017F;es i&#x017F;t ein prächtig<lb/>
erleuchtetes, &#x017F;chönes Lokal, da er&#x017F;cheint man unge&#x017F;chminkt,<lb/>
was mir be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;teht. Und mein »Nichts« gefiel.</p><lb/>
        <p>Zu un&#x017F;erer Ueberra&#x017F;chung be&#x017F;uchte uns Prä&#x017F;ident<lb/>
Scheve am andern Morgen abermals, um mir in &#x017F;einer<lb/>
feierlichen Wei&#x017F;e nochmals zu danken und eine lange Rede<lb/>
zu halten, deren kurzer Sinn war: daß »die tau&#x017F;end¬<lb/>
jährige Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft« uns durch ihn mit der Einladung<lb/>
beglückte &#x2014; dem alljährlich &#x017F;tattfindenden Stiftungsdiner<lb/>
beizuwohnen &#x2026;«</p><lb/>
        <p>»Tau&#x017F;endjährige Dinergeber?« fragte ich nicht ohne<lb/>
Ent&#x017F;etzen &#x2026; »Ja, liebes Fräulein, die ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Ge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft be&#x017F;teht aus vierzehn Mitgliedern &#x2014; die&#x017F;e zu&#x017F;ammen<lb/>
machen tau&#x017F;end Jahre &#x2026;«</p><lb/>
        <p>Du weißt leider, mein Bruder, daß ich &#x017F;tets ungern<lb/>
Rechen&#x017F;tunden genommen und öfters die aufgegebenen<lb/>
Exempel von den Schulkameradinnen ab&#x017F;chrieb &#x2014; aber<lb/>
&#x017F;o viel konnte ich doch dividiren: daß tau&#x017F;end durch vier¬<lb/>
zehn getheilt, jedem Kopf 71 Jahre 6 Monate zuwei&#x017F;t.<lb/>
Schon wollte ich mich ent&#x017F;chuldigen, aber die Mutter<lb/>
ver&#x017F;icherte ra&#x017F;ch: wir würden mit Vergnügen er&#x017F;cheinen &#x2026;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0127] — nein, Schutzpatron der Präſident iſt. Gern ſagte ich zu, und finde mich auch recht leidlich darein: — einſt¬ weilen zu deklamiren, ſtatt Komödie zu ſpielen. Aber, Louis, es iſt keine leichte Sache, ein geeignetes Gedicht zu wählen. Es ſoll nicht zu ernſt, auch nicht zu heiter, weder zu kurz noch zu lang ſein. Ich wählte — »Nichts« von Theodor Hell. Der Konzertſaal des Schauſpielhauſes iſt ein prächtig erleuchtetes, ſchönes Lokal, da erſcheint man ungeſchminkt, was mir beſſer ſteht. Und mein »Nichts« gefiel. Zu unſerer Ueberraſchung beſuchte uns Präſident Scheve am andern Morgen abermals, um mir in ſeiner feierlichen Weiſe nochmals zu danken und eine lange Rede zu halten, deren kurzer Sinn war: daß »die tauſend¬ jährige Geſellſchaft« uns durch ihn mit der Einladung beglückte — dem alljährlich ſtattfindenden Stiftungsdiner beizuwohnen …« »Tauſendjährige Dinergeber?« fragte ich nicht ohne Entſetzen … »Ja, liebes Fräulein, die geſchloſſene Geſell¬ ſchaft beſteht aus vierzehn Mitgliedern — dieſe zuſammen machen tauſend Jahre …« Du weißt leider, mein Bruder, daß ich ſtets ungern Rechenſtunden genommen und öfters die aufgegebenen Exempel von den Schulkameradinnen abſchrieb — aber ſo viel konnte ich doch dividiren: daß tauſend durch vier¬ zehn getheilt, jedem Kopf 71 Jahre 6 Monate zuweiſt. Schon wollte ich mich entſchuldigen, aber die Mutter verſicherte raſch: wir würden mit Vergnügen erſcheinen … 7 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/127
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/127>, abgerufen am 24.11.2024.