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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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Justizrath Ludolf rief verlegen: "Herr Tyroler,
Sie haben sich wohl geirrt! Hier, hier" (auf die
Sontag deutend) "ist die Dame mit dem kleinsten Fuß!"

Der Herr Tyroler ließ sich aber nicht beirren und
entgegnete mit vollkommenem Gleichmuth: "Ja, de do
ischt de Klaanschte und hat de klaanschte Fuß! De do
aber" (auf mich zeigend) "ischt groß und hat doch e
klaane Fuß! Also hat de do den Priß!"

Den Jubel zu beschreiben, der nach diesem salomoni¬
schen Urtheil erfolgte, ist kaum möglich; nur der Justiz¬
rath und ich stimmten nicht ein, wir waren beide con¬
sternirt, was der Sontag Fröhlichkeit zu erhöhen schien,
denn unter Lachen wiederholte sie öfters: "Ich nehme
es ja nicht übel, liebes Fräulein, ha, ha, ha! ich bin de
Klaanschte, und der arme Justizrath kommt nicht zu sich
über: de do!"

Beim Gutenachtsagen versicherte die Sontag: "So
vergnügt war ich noch nie!" Zugleich lud sie die Tyroler
auf den andern Morgen zu sich in ihre Wohnung in
der Königstadt, dem Theater gegenüber, wo sie mit ihrer
wenig liebenswürdigen Mutter und der anmuthigen
Schwester, aber bescheidenen Sängerin Nina während
ihres Engagements bei der Königstädter Bühne wohnte,
und gab den fröhlichen Natursängern ein splendides
Frühstück.

Aber schon damals machte sich bei der liebens¬
würdigen Sängerin eine Leidenschaft bemerkbar, die ihr
späterhin so viele, viele bittere sorgenvolle Stunden

Juſtizrath Ludolf rief verlegen: »Herr Tyroler,
Sie haben ſich wohl geirrt! Hier, hier« (auf die
Sontag deutend) »iſt die Dame mit dem kleinſten Fuß!«

Der Herr Tyroler ließ ſich aber nicht beirren und
entgegnete mit vollkommenem Gleichmuth: »Ja, de do
iſcht de Klaanſchte und hat de klaanſchte Fuß! De do
aber« (auf mich zeigend) »iſcht groß und hat doch e
klaane Fuß! Alſo hat de do den Priß!«

Den Jubel zu beſchreiben, der nach dieſem ſalomoni¬
ſchen Urtheil erfolgte, iſt kaum möglich; nur der Juſtiz¬
rath und ich ſtimmten nicht ein, wir waren beide con¬
ſternirt, was der Sontag Fröhlichkeit zu erhöhen ſchien,
denn unter Lachen wiederholte ſie öfters: »Ich nehme
es ja nicht übel, liebes Fräulein, ha, ha, ha! ich bin de
Klaanſchte, und der arme Juſtizrath kommt nicht zu ſich
über: de do!«

Beim Gutenachtſagen verſicherte die Sontag: »So
vergnügt war ich noch nie!« Zugleich lud ſie die Tyroler
auf den andern Morgen zu ſich in ihre Wohnung in
der Königſtadt, dem Theater gegenüber, wo ſie mit ihrer
wenig liebenswürdigen Mutter und der anmuthigen
Schweſter, aber beſcheidenen Sängerin Nina während
ihres Engagements bei der Königſtädter Bühne wohnte,
und gab den fröhlichen Naturſängern ein ſplendides
Frühſtück.

Aber ſchon damals machte ſich bei der liebens¬
würdigen Sängerin eine Leidenſchaft bemerkbar, die ihr
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[146/0174] Juſtizrath Ludolf rief verlegen: »Herr Tyroler, Sie haben ſich wohl geirrt! Hier, hier« (auf die Sontag deutend) »iſt die Dame mit dem kleinſten Fuß!« Der Herr Tyroler ließ ſich aber nicht beirren und entgegnete mit vollkommenem Gleichmuth: »Ja, de do iſcht de Klaanſchte und hat de klaanſchte Fuß! De do aber« (auf mich zeigend) »iſcht groß und hat doch e klaane Fuß! Alſo hat de do den Priß!« Den Jubel zu beſchreiben, der nach dieſem ſalomoni¬ ſchen Urtheil erfolgte, iſt kaum möglich; nur der Juſtiz¬ rath und ich ſtimmten nicht ein, wir waren beide con¬ ſternirt, was der Sontag Fröhlichkeit zu erhöhen ſchien, denn unter Lachen wiederholte ſie öfters: »Ich nehme es ja nicht übel, liebes Fräulein, ha, ha, ha! ich bin de Klaanſchte, und der arme Juſtizrath kommt nicht zu ſich über: de do!« Beim Gutenachtſagen verſicherte die Sontag: »So vergnügt war ich noch nie!« Zugleich lud ſie die Tyroler auf den andern Morgen zu ſich in ihre Wohnung in der Königſtadt, dem Theater gegenüber, wo ſie mit ihrer wenig liebenswürdigen Mutter und der anmuthigen Schweſter, aber beſcheidenen Sängerin Nina während ihres Engagements bei der Königſtädter Bühne wohnte, und gab den fröhlichen Naturſängern ein ſplendides Frühſtück. Aber ſchon damals machte ſich bei der liebens¬ würdigen Sängerin eine Leidenſchaft bemerkbar, die ihr ſpäterhin ſo viele, viele bittere ſorgenvolle Stunden

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/174>, abgerufen am 10.05.2024.