"Ja," seufzte Helmersen, "dann werden Sie nicht bei Hofe spielen. Erläßt man heute nicht noch die Be¬ fehle, so ist das Theater im großen Saal des Winter¬ palastes nicht mehr bis morgen herzurichten, und über¬ morgen reisen die Majestäten ab ..."
Er verstummte wehmüthig, -- seine Weisheit war zu Ende.
Also rasch wurde aus einem Koffer der rosa Atlas¬ überrock zu Tage gefördert, aus dem Hutkasten das schwarze Sammetbaret geholt, die Locken wurden von den Wickeln befreit, hoch, desperat hoch aufgethürmt, das Baret aufgestülpt, und fort ging es. Der Bediente kam uns athemlos im Korridor entgegen, indem er triumphirend ein Rebhuhn präsentirte, welches er einem Koch abgekauft. Stehend aß ich etwas davon, beinahe erstickend vor Eile, denn Helmersen rief verzweiflungs¬ voll: "Wir kommen zu spät, zu spät!" Athemlos stürzten wir die Treppe hinab in den Wagen und steuerten dem Oberkammerherrn zu -- Helmersen glücklich, ich halbtodt von der Hetzjagd. Unterwegs fragte mich der weise Direktor, was ich spielen wolle, im Fall mir die Wahl überlassen würde? Ich entschied mich -- im Hinblick auf meine Rigaer Erfolge in dieser Rolle -- für den "Mann im Feuer". Helmersen bewies durch den Umstand, daß er keinen Einspruch erhob, die größte Un¬ kenntniß seines Personals und Publikums.
Endlich stiegen wir aus, es ging treppauf, treppab, durch unendliche Gänge, bis wir die Gemächer des Ober¬
»Ja,« ſeufzte Helmerſen, »dann werden Sie nicht bei Hofe ſpielen. Erläßt man heute nicht noch die Be¬ fehle, ſo iſt das Theater im großen Saal des Winter¬ palaſtes nicht mehr bis morgen herzurichten, und über¬ morgen reiſen die Majeſtäten ab …«
Er verſtummte wehmüthig, — ſeine Weisheit war zu Ende.
Alſo raſch wurde aus einem Koffer der roſa Atlas¬ überrock zu Tage gefördert, aus dem Hutkaſten das ſchwarze Sammetbaret geholt, die Locken wurden von den Wickeln befreit, hoch, deſperat hoch aufgethürmt, das Baret aufgeſtülpt, und fort ging es. Der Bediente kam uns athemlos im Korridor entgegen, indem er triumphirend ein Rebhuhn präſentirte, welches er einem Koch abgekauft. Stehend aß ich etwas davon, beinahe erſtickend vor Eile, denn Helmerſen rief verzweiflungs¬ voll: »Wir kommen zu ſpät, zu ſpät!« Athemlos ſtürzten wir die Treppe hinab in den Wagen und ſteuerten dem Oberkammerherrn zu — Helmerſen glücklich, ich halbtodt von der Hetzjagd. Unterwegs fragte mich der weiſe Direktor, was ich ſpielen wolle, im Fall mir die Wahl überlaſſen würde? Ich entſchied mich — im Hinblick auf meine Rigaer Erfolge in dieſer Rolle — für den »Mann im Feuer«. Helmerſen bewies durch den Umſtand, daß er keinen Einſpruch erhob, die größte Un¬ kenntniß ſeines Perſonals und Publikums.
Endlich ſtiegen wir aus, es ging treppauf, treppab, durch unendliche Gänge, bis wir die Gemächer des Ober¬
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»Ja,« ſeufzte Helmerſen, »dann werden Sie nicht
bei Hofe ſpielen. Erläßt man heute nicht noch die Be¬
fehle, ſo iſt das Theater im großen Saal des Winter¬
palaſtes nicht mehr bis morgen herzurichten, und über¬
morgen reiſen die Majeſtäten ab …«
Er verſtummte wehmüthig, — ſeine Weisheit war
zu Ende.
Alſo raſch wurde aus einem Koffer der roſa Atlas¬
überrock zu Tage gefördert, aus dem Hutkaſten das
ſchwarze Sammetbaret geholt, die Locken wurden von
den Wickeln befreit, hoch, deſperat hoch aufgethürmt,
das Baret aufgeſtülpt, und fort ging es. Der Bediente
kam uns athemlos im Korridor entgegen, indem er
triumphirend ein Rebhuhn präſentirte, welches er einem
Koch abgekauft. Stehend aß ich etwas davon, beinahe
erſtickend vor Eile, denn Helmerſen rief verzweiflungs¬
voll: »Wir kommen zu ſpät, zu ſpät!« Athemlos
ſtürzten wir die Treppe hinab in den Wagen und
ſteuerten dem Oberkammerherrn zu — Helmerſen glücklich,
ich halbtodt von der Hetzjagd. Unterwegs fragte mich
der weiſe Direktor, was ich ſpielen wolle, im Fall mir
die Wahl überlaſſen würde? Ich entſchied mich — im
Hinblick auf meine Rigaer Erfolge in dieſer Rolle —
für den »Mann im Feuer«. Helmerſen bewies durch den
Umſtand, daß er keinen Einſpruch erhob, die größte Un¬
kenntniß ſeines Perſonals und Publikums.
Endlich ſtiegen wir aus, es ging treppauf, treppab,
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/222>, abgerufen am 22.11.2024.
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