bungsvollen Werdy als Amme! -- Auf unserer Bühne hatte sie mit ihrer Amme förmlich zu käm¬ pfen, und der Zauber ihrer musikalischen Stimme in den Balconßenen zerbrach fast an einem wortkargen Romeo, dem der Souffleur mit seinem Kasten hätte nachlaufen müssen in die grüne Schatten¬ laube. Durchaus glänzend -- und von dem Effekt, den die Dichtung bezweckt, war der große Monolog, nach welchem Julia den Giftbecher leert. In der Szene mit dem alten Capulet war ihr Kampf zwischen Liebe, Schmerz, Verzweiflung und kindlicher Ergebung meisterhaft. Dagegen erschien sie in der Todtengruft zu kühl. Wie sehr ihr Spiel jedoch, selbst mit Aufopferung des Effekts, dem poetischen Verständniß huldigt, beweist unter anderem die Art und Weise, wie sie in der Szene auf dem Ball die Worte: "Ihr küßt recht nach der Kunst" -- von jeder sonst üblichen Betonung ver¬ schieden, zu geben wußte. Diese Worte lassen sich im Sinne der Julia kaum recht deuten; man weiß nicht, wie Julia zu dieser auffälligen Rede kommt. In der Regel tappen die Darstellerinnen über diese Schwierigkeit sehr oberflächlich hin, Fräulein Four¬ nier schlägt wie erröthend den Blick dabei zu Bo¬
bungsvollen Werdy als Amme! — Auf unſerer Bühne hatte ſie mit ihrer Amme förmlich zu käm¬ pfen, und der Zauber ihrer muſikaliſchen Stimme in den Balconſzenen zerbrach faſt an einem wortkargen Romeo, dem der Souffleur mit ſeinem Kaſten hätte nachlaufen müſſen in die grüne Schatten¬ laube. Durchaus glänzend — und von dem Effekt, den die Dichtung bezweckt, war der große Monolog, nach welchem Julia den Giftbecher leert. In der Szene mit dem alten Capulet war ihr Kampf zwiſchen Liebe, Schmerz, Verzweiflung und kindlicher Ergebung meiſterhaft. Dagegen erſchien ſie in der Todtengruft zu kühl. Wie ſehr ihr Spiel jedoch, ſelbſt mit Aufopferung des Effekts, dem poetiſchen Verſtändniß huldigt, beweiſt unter anderem die Art und Weiſe, wie ſie in der Szene auf dem Ball die Worte: »Ihr küßt recht nach der Kunſt« — von jeder ſonſt üblichen Betonung ver¬ ſchieden, zu geben wußte. Dieſe Worte laſſen ſich im Sinne der Julia kaum recht deuten; man weiß nicht, wie Julia zu dieſer auffälligen Rede kommt. In der Regel tappen die Darſtellerinnen über dieſe Schwierigkeit ſehr oberflächlich hin, Fräulein Four¬ nier ſchlägt wie erröthend den Blick dabei zu Bo¬
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[XI/0023]
bungsvollen Werdy als Amme! — Auf unſerer
Bühne hatte ſie mit ihrer Amme förmlich zu käm¬
pfen, und der Zauber ihrer muſikaliſchen
Stimme in den Balconſzenen zerbrach faſt an einem
wortkargen Romeo, dem der Souffleur mit ſeinem
Kaſten hätte nachlaufen müſſen in die grüne Schatten¬
laube. Durchaus glänzend — und von dem
Effekt, den die Dichtung bezweckt, war der große
Monolog, nach welchem Julia den Giftbecher leert.
In der Szene mit dem alten Capulet war ihr
Kampf zwiſchen Liebe, Schmerz, Verzweiflung und
kindlicher Ergebung meiſterhaft. Dagegen erſchien
ſie in der Todtengruft zu kühl. Wie ſehr ihr
Spiel jedoch, ſelbſt mit Aufopferung des Effekts,
dem poetiſchen Verſtändniß huldigt, beweiſt unter
anderem die Art und Weiſe, wie ſie in der Szene
auf dem Ball die Worte: »Ihr küßt recht nach der
Kunſt« — von jeder ſonſt üblichen Betonung ver¬
ſchieden, zu geben wußte. Dieſe Worte laſſen ſich
im Sinne der Julia kaum recht deuten; man weiß
nicht, wie Julia zu dieſer auffälligen Rede kommt.
In der Regel tappen die Darſtellerinnen über dieſe
Schwierigkeit ſehr oberflächlich hin, Fräulein Four¬
nier ſchlägt wie erröthend den Blick dabei zu Bo¬
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/23>, abgerufen am 21.11.2024.
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