Zwei hohe, spiegelglatte Eisberge, mit Treppen ver¬ sehen, stehen sich auf weiter Ebene gegenüber. Ein win¬ ziger Schlitten, von einem sicheren Führer geleitet, nimmt uns auf der Höhe des einen Berges auf -- -- und pfeil¬ schnell fliegt der Schlitten herab, die ebene Bahn ent¬ lang -- dem gegenüberliegenden Eisberge zu ... Dann wird der Schlitten verlassen, die hohe Treppe dieses Eis¬ berges erstiegen, um abermals von der Höhe mit der Windsbraut in die Wette zu sausen ... und so geht es ohne Rast immer zu, wie eine chaine anglaise. -- Ist aber der Leiter des Schlittens nicht gewandt und kalt¬ blütig, dann kann er sammt seiner Dame leicht Arme und Beine, auch wohl den Hals brechen. Das Kühne, Gefahrvolle erhöht aber gerade den eigenthümlich auf¬ regenden Reiz des Vergnügens. Es ist der höchste Ehr¬ geiz eines eleganten Petersburger Herrn, den Ruf eines geschickten Rutschbahnführers sich errungen zu haben. Diesen Ruf hatte der ritterlich schöne Kaiser Nikolaus mit vollstem Recht, und die Petersburger und ich konnten nie müde werden, bewundernd zuzuschauen, wenn der Czar den kleinen Rutschbahnschlitten der Kaiserin Alexandra so elegant und sicher lenkte.
Um 1 Uhr waren wir sämmtlich nicht mehr roth¬ wangig, sondern vom Druck der eisigen Luft bläulich angelaufen, und die erstarrten Lippen vermochten nur noch mit Anstrengung zu sprechen und zu lächeln. Bei den gastlichen Ritters erholten wir uns bald von den Vergnügungsstrapazen -- und im Nu war 3 Uhr mah¬
Zwei hohe, ſpiegelglatte Eisberge, mit Treppen ver¬ ſehen, ſtehen ſich auf weiter Ebene gegenüber. Ein win¬ ziger Schlitten, von einem ſicheren Führer geleitet, nimmt uns auf der Höhe des einen Berges auf — — und pfeil¬ ſchnell fliegt der Schlitten herab, die ebene Bahn ent¬ lang — dem gegenüberliegenden Eisberge zu … Dann wird der Schlitten verlaſſen, die hohe Treppe dieſes Eis¬ berges erſtiegen, um abermals von der Höhe mit der Windsbraut in die Wette zu ſauſen … und ſo geht es ohne Raſt immer zu, wie eine chaine anglaise. — Iſt aber der Leiter des Schlittens nicht gewandt und kalt¬ blütig, dann kann er ſammt ſeiner Dame leicht Arme und Beine, auch wohl den Hals brechen. Das Kühne, Gefahrvolle erhöht aber gerade den eigenthümlich auf¬ regenden Reiz des Vergnügens. Es iſt der höchſte Ehr¬ geiz eines eleganten Petersburger Herrn, den Ruf eines geſchickten Rutſchbahnführers ſich errungen zu haben. Dieſen Ruf hatte der ritterlich ſchöne Kaiſer Nikolaus mit vollſtem Recht, und die Petersburger und ich konnten nie müde werden, bewundernd zuzuſchauen, wenn der Czar den kleinen Rutſchbahnſchlitten der Kaiſerin Alexandra ſo elegant und ſicher lenkte.
Um 1 Uhr waren wir ſämmtlich nicht mehr roth¬ wangig, ſondern vom Druck der eiſigen Luft bläulich angelaufen, und die erſtarrten Lippen vermochten nur noch mit Anſtrengung zu ſprechen und zu lächeln. Bei den gaſtlichen Ritters erholten wir uns bald von den Vergnügungsſtrapazen — und im Nu war 3 Uhr mah¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0270"n="242"/><p>Zwei hohe, ſpiegelglatte Eisberge, mit Treppen ver¬<lb/>ſehen, ſtehen ſich auf weiter Ebene gegenüber. Ein win¬<lb/>
ziger Schlitten, von einem ſicheren Führer geleitet, nimmt<lb/>
uns auf der Höhe des einen Berges auf —— und pfeil¬<lb/>ſchnell fliegt der Schlitten herab, die ebene Bahn ent¬<lb/>
lang — dem gegenüberliegenden Eisberge zu … Dann<lb/>
wird der Schlitten verlaſſen, die hohe Treppe dieſes Eis¬<lb/>
berges erſtiegen, um abermals von der Höhe mit der<lb/>
Windsbraut in die Wette zu ſauſen … und ſo geht es<lb/>
ohne Raſt immer zu, wie eine <hirendition="#aq">chaine anglaise</hi>. — Iſt<lb/>
aber der Leiter des Schlittens nicht gewandt und kalt¬<lb/>
blütig, dann kann er ſammt ſeiner Dame leicht Arme<lb/>
und Beine, auch wohl den Hals brechen. Das Kühne,<lb/>
Gefahrvolle erhöht aber gerade den eigenthümlich auf¬<lb/>
regenden Reiz des Vergnügens. Es iſt der höchſte Ehr¬<lb/>
geiz eines eleganten Petersburger Herrn, den Ruf eines<lb/>
geſchickten Rutſchbahnführers ſich errungen zu haben. Dieſen<lb/>
Ruf hatte der ritterlich ſchöne Kaiſer Nikolaus mit vollſtem<lb/>
Recht, und die Petersburger und ich konnten nie müde<lb/>
werden, bewundernd zuzuſchauen, wenn der Czar den<lb/>
kleinen Rutſchbahnſchlitten der Kaiſerin Alexandra ſo<lb/>
elegant und ſicher lenkte.</p><lb/><p>Um 1 Uhr waren wir ſämmtlich nicht mehr roth¬<lb/>
wangig, ſondern vom Druck der eiſigen Luft bläulich<lb/>
angelaufen, und die erſtarrten Lippen vermochten nur<lb/>
noch mit Anſtrengung zu ſprechen und zu lächeln. Bei<lb/>
den gaſtlichen Ritters erholten wir uns bald von den<lb/>
Vergnügungsſtrapazen — und im Nu war 3 Uhr mah¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[242/0270]
Zwei hohe, ſpiegelglatte Eisberge, mit Treppen ver¬
ſehen, ſtehen ſich auf weiter Ebene gegenüber. Ein win¬
ziger Schlitten, von einem ſicheren Führer geleitet, nimmt
uns auf der Höhe des einen Berges auf — — und pfeil¬
ſchnell fliegt der Schlitten herab, die ebene Bahn ent¬
lang — dem gegenüberliegenden Eisberge zu … Dann
wird der Schlitten verlaſſen, die hohe Treppe dieſes Eis¬
berges erſtiegen, um abermals von der Höhe mit der
Windsbraut in die Wette zu ſauſen … und ſo geht es
ohne Raſt immer zu, wie eine chaine anglaise. — Iſt
aber der Leiter des Schlittens nicht gewandt und kalt¬
blütig, dann kann er ſammt ſeiner Dame leicht Arme
und Beine, auch wohl den Hals brechen. Das Kühne,
Gefahrvolle erhöht aber gerade den eigenthümlich auf¬
regenden Reiz des Vergnügens. Es iſt der höchſte Ehr¬
geiz eines eleganten Petersburger Herrn, den Ruf eines
geſchickten Rutſchbahnführers ſich errungen zu haben. Dieſen
Ruf hatte der ritterlich ſchöne Kaiſer Nikolaus mit vollſtem
Recht, und die Petersburger und ich konnten nie müde
werden, bewundernd zuzuſchauen, wenn der Czar den
kleinen Rutſchbahnſchlitten der Kaiſerin Alexandra ſo
elegant und ſicher lenkte.
Um 1 Uhr waren wir ſämmtlich nicht mehr roth¬
wangig, ſondern vom Druck der eiſigen Luft bläulich
angelaufen, und die erſtarrten Lippen vermochten nur
noch mit Anſtrengung zu ſprechen und zu lächeln. Bei
den gaſtlichen Ritters erholten wir uns bald von den
Vergnügungsſtrapazen — und im Nu war 3 Uhr mah¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/270>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.