"Gewiß -- nur für den Rahmen unseres Burg¬ theaters zu -- treu nach dem Leben kopirt. Hier liebt man Alles idealisirt, geschminkt und aufgeputzt. So konnte ganz Wien es nicht begreifen, daß eine Berliner Hofschauspielerin so wenig Toilettengeschmack entwickelte und als Frau Feldern in Klapp- Pantoffeln, großblumi¬ gem Kattunkleide mit Schößen, Schürze und altmodischer Haube auf die Bretter des Burgtheaters zu treten wagte ..."
"Aber -- Frau Wolff wählte das Kostüm ja nach Goethe's Dichtung?" rief ich erstaunt.
"Thut nichts", sagte Witthauer trübe lächelnd, "unsern Wienern gefällt ihre Burgtheater-Feldern, die Frau von Weißenthurn, weit besser in ihrem stattlichen, braunseidenen Kleide, schwarzen Atlasschuhen mit Kreuz¬ bändern und Blondendormeuse ... Unsere Bühne ist überhaupt augenblicklich stark in der Modeepoche ..."
"Modeepoche?"
"Leider werden Sie das bald nur zu leicht verstehen, wenn Sie erst einigen Vorstellungen im Burgtheater beigewohnt -- oder gar selber einige Male aufgetreten sind. Das trefflichste Spiel unserer Damen genügt heute nicht mehr, wenn es nicht in neuer, glänzender und überraschender Toilette vor dem kritischen Publikum erscheint. Karoline Müller ist die Modelöwin unserer armen klassischen Bretter und des ganzen eleganten Wiens ... und ich würde mich gar nicht wundern, wenn es nächstens bei jeder Rolle der Müller auf dem Theater¬ zettel heißt: die Dame wird sich dem geehrten Publikum
»Gewiß — nur für den Rahmen unſeres Burg¬ theaters zu — treu nach dem Leben kopirt. Hier liebt man Alles idealiſirt, geſchminkt und aufgeputzt. So konnte ganz Wien es nicht begreifen, daß eine Berliner Hofſchauſpielerin ſo wenig Toilettengeſchmack entwickelte und als Frau Feldern in Klapp- Pantoffeln, großblumi¬ gem Kattunkleide mit Schößen, Schürze und altmodiſcher Haube auf die Bretter des Burgtheaters zu treten wagte …«
»Aber — Frau Wolff wählte das Koſtüm ja nach Goethe's Dichtung?« rief ich erſtaunt.
»Thut nichts«, ſagte Witthauer trübe lächelnd, »unſern Wienern gefällt ihre Burgtheater-Feldern, die Frau von Weißenthurn, weit beſſer in ihrem ſtattlichen, braunſeidenen Kleide, ſchwarzen Atlasſchuhen mit Kreuz¬ bändern und Blondendormeuſe … Unſere Bühne iſt überhaupt augenblicklich ſtark in der Modeepoche …«
»Modeepoche?«
»Leider werden Sie das bald nur zu leicht verſtehen, wenn Sie erſt einigen Vorſtellungen im Burgtheater beigewohnt — oder gar ſelber einige Male aufgetreten ſind. Das trefflichſte Spiel unſerer Damen genügt heute nicht mehr, wenn es nicht in neuer, glänzender und überraſchender Toilette vor dem kritiſchen Publikum erſcheint. Karoline Müller iſt die Modelöwin unſerer armen klaſſiſchen Bretter und des ganzen eleganten Wiens … und ich würde mich gar nicht wundern, wenn es nächſtens bei jeder Rolle der Müller auf dem Theater¬ zettel heißt: die Dame wird ſich dem geehrten Publikum
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»Gewiß — nur für den Rahmen unſeres Burg¬
theaters zu — treu nach dem Leben kopirt. Hier liebt
man Alles idealiſirt, geſchminkt und aufgeputzt. So
konnte ganz Wien es nicht begreifen, daß eine Berliner
Hofſchauſpielerin ſo wenig Toilettengeſchmack entwickelte
und als Frau Feldern in Klapp- Pantoffeln, großblumi¬
gem Kattunkleide mit Schößen, Schürze und altmodiſcher
Haube auf die Bretter des Burgtheaters zu treten wagte …«
»Aber — Frau Wolff wählte das Koſtüm ja nach
Goethe's Dichtung?« rief ich erſtaunt.
»Thut nichts«, ſagte Witthauer trübe lächelnd,
»unſern Wienern gefällt ihre Burgtheater-Feldern, die
Frau von Weißenthurn, weit beſſer in ihrem ſtattlichen,
braunſeidenen Kleide, ſchwarzen Atlasſchuhen mit Kreuz¬
bändern und Blondendormeuſe … Unſere Bühne iſt
überhaupt augenblicklich ſtark in der Modeepoche …«
»Modeepoche?«
»Leider werden Sie das bald nur zu leicht verſtehen,
wenn Sie erſt einigen Vorſtellungen im Burgtheater
beigewohnt — oder gar ſelber einige Male aufgetreten
ſind. Das trefflichſte Spiel unſerer Damen genügt heute
nicht mehr, wenn es nicht in neuer, glänzender und
überraſchender Toilette vor dem kritiſchen Publikum
erſcheint. Karoline Müller iſt die Modelöwin unſerer
armen klaſſiſchen Bretter und des ganzen eleganten
Wiens … und ich würde mich gar nicht wundern, wenn
es nächſtens bei jeder Rolle der Müller auf dem Theater¬
zettel heißt: die Dame wird ſich dem geehrten Publikum
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/289>, abgerufen am 22.11.2024.
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