ten grünen Winkeln des Thiergartens. Und welche Aufgaben stellten sich schon die kleinen Komödianten: Shakespeare, Goethe, Schiller, Lessing -- Alles, was ihnen vor die Finger kam! Mit besonderer Vorliebe und Leidenschaft spielten sie die grausigen Hungerßenen in Gerstensberg's "Ugolino". In eine geordnete Bahn kam dies Komödienspiel, als der liebenswürdige Kom¬ ponist von Goethe's Liedern, Reichardt, durch seinen Stiefsohn mit unseren Komödianten bekannt wurde und sie aufmunterte, in seinem Hause vor einem größeren und kunstverständigeren Publikum und unter seiner An¬ leitung zu spielen, und als Reichardt's junge Schwä¬ gerinnen vor und hinter den Coulissen die Liebhaberinnen¬ rollen übernahmen ... Hiebei warf Tieck seiner Frau stets einen schalkhaften Blick zu, denn sie war ja eine jener Liebhaberinnen, Reichardt's Schwägerin, Amalie Alberti, Tochter eines bekannten Hamburger Predigers. Einst spielte die kleine Truppe auf Einladung der Baronin Rietz in ihrem prunkvollen Hause sogar vor dem Könige und seinem vertrauten Hofe, und der dicke Wilhelm und seine Favoritin waren sehr erbaut davon -- der gestrenge Direktor Gedike aber schnitt sein grimmigstes Gesicht über solche allotria seiner Gymnasiasten.
Wie herzlich, wie übermüthig konnte Tieck lachen, wenn er von seinen ersten poetischen, selbstschöpferischen Federarbeiten erzählte -- auf dem Gymnasium! Sein Lehrer Rambach füllte seine Mußestunden und seine fast immer leere Kasse damit, daß er nach dem Geschmack
ten grünen Winkeln des Thiergartens. Und welche Aufgaben ſtellten ſich ſchon die kleinen Komödianten: Shakeſpeare, Goethe, Schiller, Leſſing — Alles, was ihnen vor die Finger kam! Mit beſonderer Vorliebe und Leidenſchaft ſpielten ſie die grauſigen Hungerſzenen in Gerſtensberg's »Ugolino«. In eine geordnete Bahn kam dies Komödienſpiel, als der liebenswürdige Kom¬ poniſt von Goethe's Liedern, Reichardt, durch ſeinen Stiefſohn mit unſeren Komödianten bekannt wurde und ſie aufmunterte, in ſeinem Hauſe vor einem größeren und kunſtverſtändigeren Publikum und unter ſeiner An¬ leitung zu ſpielen, und als Reichardt's junge Schwä¬ gerinnen vor und hinter den Couliſſen die Liebhaberinnen¬ rollen übernahmen … Hiebei warf Tieck ſeiner Frau ſtets einen ſchalkhaften Blick zu, denn ſie war ja eine jener Liebhaberinnen, Reichardt's Schwägerin, Amalie Alberti, Tochter eines bekannten Hamburger Predigers. Einſt ſpielte die kleine Truppe auf Einladung der Baronin Rietz in ihrem prunkvollen Hauſe ſogar vor dem Könige und ſeinem vertrauten Hofe, und der dicke Wilhelm und ſeine Favoritin waren ſehr erbaut davon — der geſtrenge Direktor Gedike aber ſchnitt ſein grimmigſtes Geſicht über ſolche allotria ſeiner Gymnaſiaſten.
Wie herzlich, wie übermüthig konnte Tieck lachen, wenn er von ſeinen erſten poetiſchen, ſelbſtſchöpferiſchen Federarbeiten erzählte — auf dem Gymnaſium! Sein Lehrer Rambach füllte ſeine Mußeſtunden und ſeine faſt immer leere Kaſſe damit, daß er nach dem Geſchmack
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ten grünen Winkeln des Thiergartens. Und welche
Aufgaben ſtellten ſich ſchon die kleinen Komödianten:
Shakeſpeare, Goethe, Schiller, Leſſing — Alles, was
ihnen vor die Finger kam! Mit beſonderer Vorliebe
und Leidenſchaft ſpielten ſie die grauſigen Hungerſzenen
in Gerſtensberg's »Ugolino«. In eine geordnete Bahn
kam dies Komödienſpiel, als der liebenswürdige Kom¬
poniſt von Goethe's Liedern, Reichardt, durch ſeinen
Stiefſohn mit unſeren Komödianten bekannt wurde und
ſie aufmunterte, in ſeinem Hauſe vor einem größeren
und kunſtverſtändigeren Publikum und unter ſeiner An¬
leitung zu ſpielen, und als Reichardt's junge Schwä¬
gerinnen vor und hinter den Couliſſen die Liebhaberinnen¬
rollen übernahmen … Hiebei warf Tieck ſeiner Frau
ſtets einen ſchalkhaften Blick zu, denn ſie war ja eine
jener Liebhaberinnen, Reichardt's Schwägerin, Amalie
Alberti, Tochter eines bekannten Hamburger Predigers.
Einſt ſpielte die kleine Truppe auf Einladung der Baronin
Rietz in ihrem prunkvollen Hauſe ſogar vor dem Könige
und ſeinem vertrauten Hofe, und der dicke Wilhelm und
ſeine Favoritin waren ſehr erbaut davon — der geſtrenge
Direktor Gedike aber ſchnitt ſein grimmigſtes Geſicht
über ſolche allotria ſeiner Gymnaſiaſten.
Wie herzlich, wie übermüthig konnte Tieck lachen,
wenn er von ſeinen erſten poetiſchen, ſelbſtſchöpferiſchen
Federarbeiten erzählte — auf dem Gymnaſium! Sein
Lehrer Rambach füllte ſeine Mußeſtunden und ſeine
faſt immer leere Kaſſe damit, daß er nach dem Geſchmack
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/414>, abgerufen am 22.11.2024.
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