Mein letztes Gespräch mit Tieck war ein freundliches, wehmüthiges. Ich kam von meiner Gastspielreise aus Wien (1839) zurück und brachte dem Dramaturgen und seinen Töchtern die herzlichsten Grüße von Julie Rettich. Ihre Worte waren: "Sagen Sie dem Hofrath, ich würde nie vergessen, daß ich einst seine liebste Schülerin war und ihm die Kunst der Rede ablauschen durfte. Ich werde stets seine dankbare Schülerin bleiben. Umarmen Sie für mich Dorothea. Ich liebe sie wie eine Schwester."
Dorothea weinte. Tieck war tief ergriffen. Fühlte er in diesem Augenblick, wie ungerecht er gegen diese liebste Schülerin gewesen war? Er sprach es nicht aus. Er sagte auch nicht das kleine, freundliche Wort, das mich jetzt noch wieder in dankbarer Verehrung zu seinen Füßen zurückgeführt hätte. Wir sahen uns fortan nur noch auf der Probe.
Aber dennoch, obgleich Tieck mir oft und mit vollem Bewußtsein tief weh gethan hat, habe ich ihm stets ein warmes, dankbares Herz bewahrt, und im Jahre 1853, als die Nachricht von seinem Tode aus Berlin zu mir in meinen stillen Erdenwinkel am Züricher See drang, habe ich ihm Thränen der Erinnerung und der Wehmuth nachgeweint.
Die Gräfin Finkenstein war wenige Jahre vorher gestorben, nachdem sie in Berlin noch eine schmerzhafte und gefährliche Augenoperation überstanden hatte. Man sagte, sie habe sich die Augen blind geweint. Der alte Romantiker stand nun ganz einsam da in dem bunt¬
Mein letztes Geſpräch mit Tieck war ein freundliches, wehmüthiges. Ich kam von meiner Gaſtſpielreiſe aus Wien (1839) zurück und brachte dem Dramaturgen und ſeinen Töchtern die herzlichſten Grüße von Julie Rettich. Ihre Worte waren: »Sagen Sie dem Hofrath, ich würde nie vergeſſen, daß ich einſt ſeine liebſte Schülerin war und ihm die Kunſt der Rede ablauſchen durfte. Ich werde ſtets ſeine dankbare Schülerin bleiben. Umarmen Sie für mich Dorothea. Ich liebe ſie wie eine Schweſter.«
Dorothea weinte. Tieck war tief ergriffen. Fühlte er in dieſem Augenblick, wie ungerecht er gegen dieſe liebſte Schülerin geweſen war? Er ſprach es nicht aus. Er ſagte auch nicht das kleine, freundliche Wort, das mich jetzt noch wieder in dankbarer Verehrung zu ſeinen Füßen zurückgeführt hätte. Wir ſahen uns fortan nur noch auf der Probe.
Aber dennoch, obgleich Tieck mir oft und mit vollem Bewußtſein tief weh gethan hat, habe ich ihm ſtets ein warmes, dankbares Herz bewahrt, und im Jahre 1853, als die Nachricht von ſeinem Tode aus Berlin zu mir in meinen ſtillen Erdenwinkel am Züricher See drang, habe ich ihm Thränen der Erinnerung und der Wehmuth nachgeweint.
Die Gräfin Finkenſtein war wenige Jahre vorher geſtorben, nachdem ſie in Berlin noch eine ſchmerzhafte und gefährliche Augenoperation überſtanden hatte. Man ſagte, ſie habe ſich die Augen blind geweint. Der alte Romantiker ſtand nun ganz einſam da in dem bunt¬
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Mein letztes Geſpräch mit Tieck war ein freundliches,
wehmüthiges. Ich kam von meiner Gaſtſpielreiſe aus
Wien (1839) zurück und brachte dem Dramaturgen und
ſeinen Töchtern die herzlichſten Grüße von Julie Rettich.
Ihre Worte waren: »Sagen Sie dem Hofrath, ich würde
nie vergeſſen, daß ich einſt ſeine liebſte Schülerin war
und ihm die Kunſt der Rede ablauſchen durfte. Ich
werde ſtets ſeine dankbare Schülerin bleiben. Umarmen
Sie für mich Dorothea. Ich liebe ſie wie eine Schweſter.«
Dorothea weinte. Tieck war tief ergriffen. Fühlte
er in dieſem Augenblick, wie ungerecht er gegen dieſe
liebſte Schülerin geweſen war? Er ſprach es nicht aus.
Er ſagte auch nicht das kleine, freundliche Wort, das
mich jetzt noch wieder in dankbarer Verehrung zu ſeinen
Füßen zurückgeführt hätte. Wir ſahen uns fortan nur
noch auf der Probe.
Aber dennoch, obgleich Tieck mir oft und mit vollem
Bewußtſein tief weh gethan hat, habe ich ihm ſtets ein
warmes, dankbares Herz bewahrt, und im Jahre 1853,
als die Nachricht von ſeinem Tode aus Berlin zu mir
in meinen ſtillen Erdenwinkel am Züricher See drang,
habe ich ihm Thränen der Erinnerung und der Wehmuth
nachgeweint.
Die Gräfin Finkenſtein war wenige Jahre vorher
geſtorben, nachdem ſie in Berlin noch eine ſchmerzhafte
und gefährliche Augenoperation überſtanden hatte. Man
ſagte, ſie habe ſich die Augen blind geweint. Der alte
Romantiker ſtand nun ganz einſam da in dem bunt¬
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/458>, abgerufen am 22.11.2024.
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