"Das fehlt' uns noch!" rief meine Mutter in komischer Verzweiflung, -- "nichts stimmt trauriger, als melancho¬ lisches Flötenspiel ... o wie er jetzt so schwermüthig bläst:
"Mir auch war ein Leben aufgegangen!"
von Kapellmeister Himmel ..."
"Sicher folgt jetzt:
"An Alexis send' ich Dich!"
lachte die Weidner -- und richtig: Gleich intonirte die melancholische Flöte den Rosengruß an Alexis.
Da lachten wir denn hell auf -- und wurden Alle heiterer und muthvoller. Und bald lullte uns:
"Freudvoll und leidvoll"
des schwärmerischen Flötenspielers ganz angenehm ein -- die erste Nacht in dem großen, wildfremden Berlin.
Der folgende Morgen ließ sich besser an. Ein etwas zweifelhaftes Individuum präsentirte sich als Theater¬ diener und brachte die erfreuliche Nachricht: die gegen¬ überwohnende Frau Doktorin Rintel ließe uns einladen, das freie, hübsche Logis über ihrer Wohnung zu be¬ sichtigen.
Froh eilte ich hinüber -- und nach wenigen Stunden war Alles so weit eingerichtet, daß wir Besuch empfangen konnten. Als ich treppauf treppab sprang, um das Aus¬ packen zu überwachen, und rüstig mit Hand anlegte -- trat mir aus dem Zimmer des ersten Stockes eine nicht mehr junge, aber höchst anmuthige Dame entgegen und sagte auf die liebenswürdigste Weise: -- "Ich bin die
»Das fehlt' uns noch!« rief meine Mutter in komiſcher Verzweiflung, — »nichts ſtimmt trauriger, als melancho¬ liſches Flötenſpiel … o wie er jetzt ſo ſchwermüthig bläſt:
»Mir auch war ein Leben aufgegangen!«
von Kapellmeiſter Himmel …«
»Sicher folgt jetzt:
»An Alexis ſend' ich Dich!«
lachte die Weidner — und richtig: Gleich intonirte die melancholiſche Flöte den Roſengruß an Alexis.
Da lachten wir denn hell auf — und wurden Alle heiterer und muthvoller. Und bald lullte uns:
»Freudvoll und leidvoll«
des ſchwärmeriſchen Flötenſpielers ganz angenehm ein — die erſte Nacht in dem großen, wildfremden Berlin.
Der folgende Morgen ließ ſich beſſer an. Ein etwas zweifelhaftes Individuum präſentirte ſich als Theater¬ diener und brachte die erfreuliche Nachricht: die gegen¬ überwohnende Frau Doktorin Rintel ließe uns einladen, das freie, hübſche Logis über ihrer Wohnung zu be¬ ſichtigen.
Froh eilte ich hinüber — und nach wenigen Stunden war Alles ſo weit eingerichtet, daß wir Beſuch empfangen konnten. Als ich treppauf treppab ſprang, um das Aus¬ packen zu überwachen, und rüſtig mit Hand anlegte — trat mir aus dem Zimmer des erſten Stockes eine nicht mehr junge, aber höchſt anmuthige Dame entgegen und ſagte auf die liebenswürdigſte Weiſe: — »Ich bin die
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»Das fehlt' uns noch!« rief meine Mutter in komiſcher
Verzweiflung, — »nichts ſtimmt trauriger, als melancho¬
liſches Flötenſpiel … o wie er jetzt ſo ſchwermüthig
bläſt:
»Mir auch war ein Leben aufgegangen!«
von Kapellmeiſter Himmel …«
»Sicher folgt jetzt:
»An Alexis ſend' ich Dich!«
lachte die Weidner — und richtig: Gleich intonirte die
melancholiſche Flöte den Roſengruß an Alexis.
Da lachten wir denn hell auf — und wurden Alle
heiterer und muthvoller. Und bald lullte uns:
»Freudvoll und leidvoll«
des ſchwärmeriſchen Flötenſpielers ganz angenehm ein —
die erſte Nacht in dem großen, wildfremden Berlin.
Der folgende Morgen ließ ſich beſſer an. Ein etwas
zweifelhaftes Individuum präſentirte ſich als Theater¬
diener und brachte die erfreuliche Nachricht: die gegen¬
überwohnende Frau Doktorin Rintel ließe uns einladen,
das freie, hübſche Logis über ihrer Wohnung zu be¬
ſichtigen.
Froh eilte ich hinüber — und nach wenigen Stunden
war Alles ſo weit eingerichtet, daß wir Beſuch empfangen
konnten. Als ich treppauf treppab ſprang, um das Aus¬
packen zu überwachen, und rüſtig mit Hand anlegte —
trat mir aus dem Zimmer des erſten Stockes eine nicht
mehr junge, aber höchſt anmuthige Dame entgegen und
ſagte auf die liebenswürdigſte Weiſe: — »Ich bin die
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/64>, abgerufen am 10.05.2024.
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