die fast andächtige Aufmerksamkeit des Publikums, das bewundernswürdige Zusammenwirken der edlen Mimen ließen mich die "echte Weise der Kunst" ahnen und den glühenden Wunsch in meinem Herzen aufsteigen: mit diesen Künstlern spielen, von ihnen lernen zu können! Da drängte sich Niemand vor, da gestaltete sich das Ganze so harmonisch, daß man das "Spiel" vergaß. Man konnte sich einbilden, mit den biederen Menschen dieselbe Luft eingeathmet, jahrelang mit ihnen verkehrt zu haben, -- ja, den Sonnenschein zu fühlen, der die reizende Gegend beleuchtete.
Und die Künstler, die diesen Täuschungszauber her¬ vorbrachten, waren: Herr und Madame Wolff, Ludwig Devrient, Beschort, Lemm, Rebenstein und Karoline Lindner. -- Mad. Stich, die spätere berühmte Krelinger, fehlte in dem Künstlerkreise. Sie weilte augenblicklich mit ihrem Gatten in Paris, um den Zorn der Berliner über eine damals vielbesprochene unglückselige Geschichte, auf die ich zurückkommen werde, verdampfen zu lassen.
In dem Rollenfach der Stich gastirte nun Karoline Lindner, die Zierde des Frankfurter National-Theaters. Heute gab sie die Dorothea.
Bei dem ersten Anblick der kleinen, gedrungenen Dorothea mit dem unschönen, dicken Kopfe flüsterte ich Dr. Töpfer zu: "Wie schade, daß die schöne Madame Stich heute nicht spielt!"
Er lächelte: "Nach dem Aktschluß werden Sie anders urtheilen."
die faſt andächtige Aufmerkſamkeit des Publikums, das bewundernswürdige Zuſammenwirken der edlen Mimen ließen mich die »echte Weiſe der Kunſt« ahnen und den glühenden Wunſch in meinem Herzen aufſteigen: mit dieſen Künſtlern ſpielen, von ihnen lernen zu können! Da drängte ſich Niemand vor, da geſtaltete ſich das Ganze ſo harmoniſch, daß man das »Spiel« vergaß. Man konnte ſich einbilden, mit den biederen Menſchen dieſelbe Luft eingeathmet, jahrelang mit ihnen verkehrt zu haben, — ja, den Sonnenſchein zu fühlen, der die reizende Gegend beleuchtete.
Und die Künſtler, die dieſen Täuſchungszauber her¬ vorbrachten, waren: Herr und Madame Wolff, Ludwig Devrient, Beſchort, Lemm, Rebenſtein und Karoline Lindner. — Mad. Stich, die ſpätere berühmte Krelinger, fehlte in dem Künſtlerkreiſe. Sie weilte augenblicklich mit ihrem Gatten in Paris, um den Zorn der Berliner über eine damals vielbeſprochene unglückſelige Geſchichte, auf die ich zurückkommen werde, verdampfen zu laſſen.
In dem Rollenfach der Stich gaſtirte nun Karoline Lindner, die Zierde des Frankfurter National-Theaters. Heute gab ſie die Dorothea.
Bei dem erſten Anblick der kleinen, gedrungenen Dorothea mit dem unſchönen, dicken Kopfe flüſterte ich Dr. Töpfer zu: »Wie ſchade, daß die ſchöne Madame Stich heute nicht ſpielt!«
Er lächelte: »Nach dem Aktſchluß werden Sie anders urtheilen.«
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die faſt andächtige Aufmerkſamkeit des Publikums, das
bewundernswürdige Zuſammenwirken der edlen Mimen
ließen mich die »echte Weiſe der Kunſt« ahnen und den
glühenden Wunſch in meinem Herzen aufſteigen: mit
dieſen Künſtlern ſpielen, von ihnen lernen zu können!
Da drängte ſich Niemand vor, da geſtaltete ſich das
Ganze ſo harmoniſch, daß man das »Spiel« vergaß.
Man konnte ſich einbilden, mit den biederen Menſchen
dieſelbe Luft eingeathmet, jahrelang mit ihnen verkehrt
zu haben, — ja, den Sonnenſchein zu fühlen, der die
reizende Gegend beleuchtete.
Und die Künſtler, die dieſen Täuſchungszauber her¬
vorbrachten, waren: Herr und Madame Wolff, Ludwig
Devrient, Beſchort, Lemm, Rebenſtein und Karoline
Lindner. — Mad. Stich, die ſpätere berühmte Krelinger,
fehlte in dem Künſtlerkreiſe. Sie weilte augenblicklich
mit ihrem Gatten in Paris, um den Zorn der Berliner
über eine damals vielbeſprochene unglückſelige Geſchichte,
auf die ich zurückkommen werde, verdampfen zu laſſen.
In dem Rollenfach der Stich gaſtirte nun Karoline
Lindner, die Zierde des Frankfurter National-Theaters.
Heute gab ſie die Dorothea.
Bei dem erſten Anblick der kleinen, gedrungenen
Dorothea mit dem unſchönen, dicken Kopfe flüſterte ich
Dr. Töpfer zu: »Wie ſchade, daß die ſchöne Madame
Stich heute nicht ſpielt!«
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/75>, abgerufen am 21.11.2024.
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