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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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das "Theater" mehr als je das einzige Magen- und
Kräutersäckchen der ganzen Berliner Konversationswelt.
Weder Cholera oder Politik, weder Frauen- noch Tabak¬
rauchen-Emanzipation, weder junges Deutschland noch
alter Mystizismus hatte die geselligen Elemente ange¬
fressen und zersetzt; es war Alles ein einziges Athemholen
in dem unbegrenzten Element: Theater! Nie, nirgend
und auf keine Weise war je die Theaterwuth so aus¬
schließlich das Lebensprinzip, die Daseinsbedingung, der
Brustkern der Existenz und der Pulsschlag aller Gesellig¬
keit, als dazumal in Berlin! Hegel, Neander und Ancelot
verklangen in dem Namen Sonntag; Literatur, Kunst
und Wissenschaft zerstoben in den Namen Stich, Devrient,
und Gewerb-, Industrie- und Erfindungsgeist flüchteten
vor dem Namen: Olle. Karoline Bauer. Diese Letztere
betrat dazumal gerade die theatralische Laufbahn auf dem
Königstädter Theater und bildete neben der gefeierten
Sonntag den zweiten Stern der Dilettanti, der feurigen
und der sogenannten, dazumal weitverzweigten und in
Norddeutschland lange geneckten Theater-Alte-Garde. Von
den Zelten Charlottenburgs bis zu Stralows Krebsen¬
fluren, von den Rüben Teltows bis zum Königsberger
Klops zog sich nur ein Schall durch die ganze Mensch¬
heit: Theater! Theater! Theater!

Um diese Zeit des allgemeinen Theaterkultus kam
ich nach Berlin, und hatte gleich die große Wahrheit
inne: Rede vom Theater, schreibe vom Theater, gleich¬
viel ob dumm oder klug, wenn du gehört sein willst.

das »Theater« mehr als je das einzige Magen- und
Kräuterſäckchen der ganzen Berliner Konverſationswelt.
Weder Cholera oder Politik, weder Frauen- noch Tabak¬
rauchen-Emanzipation, weder junges Deutſchland noch
alter Myſtizismus hatte die geſelligen Elemente ange¬
freſſen und zerſetzt; es war Alles ein einziges Athemholen
in dem unbegrenzten Element: Theater! Nie, nirgend
und auf keine Weiſe war je die Theaterwuth ſo aus¬
ſchließlich das Lebensprinzip, die Daſeinsbedingung, der
Bruſtkern der Exiſtenz und der Pulsſchlag aller Geſellig¬
keit, als dazumal in Berlin! Hegel, Neander und Ancelot
verklangen in dem Namen Sonntag; Literatur, Kunſt
und Wiſſenſchaft zerſtoben in den Namen Stich, Devrient,
und Gewerb-, Induſtrie- und Erfindungsgeiſt flüchteten
vor dem Namen: Olle. Karoline Bauer. Dieſe Letztere
betrat dazumal gerade die theatraliſche Laufbahn auf dem
Königſtädter Theater und bildete neben der gefeierten
Sonntag den zweiten Stern der Dilettanti, der feurigen
und der ſogenannten, dazumal weitverzweigten und in
Norddeutſchland lange geneckten Theater-Alte-Garde. Von
den Zelten Charlottenburgs bis zu Stralows Krebſen¬
fluren, von den Rüben Teltows bis zum Königsberger
Klops zog ſich nur ein Schall durch die ganze Menſch¬
heit: Theater! Theater! Theater!

Um dieſe Zeit des allgemeinen Theaterkultus kam
ich nach Berlin, und hatte gleich die große Wahrheit
inne: Rede vom Theater, ſchreibe vom Theater, gleich¬
viel ob dumm oder klug, wenn du gehört ſein willſt.

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[59/0087] das »Theater« mehr als je das einzige Magen- und Kräuterſäckchen der ganzen Berliner Konverſationswelt. Weder Cholera oder Politik, weder Frauen- noch Tabak¬ rauchen-Emanzipation, weder junges Deutſchland noch alter Myſtizismus hatte die geſelligen Elemente ange¬ freſſen und zerſetzt; es war Alles ein einziges Athemholen in dem unbegrenzten Element: Theater! Nie, nirgend und auf keine Weiſe war je die Theaterwuth ſo aus¬ ſchließlich das Lebensprinzip, die Daſeinsbedingung, der Bruſtkern der Exiſtenz und der Pulsſchlag aller Geſellig¬ keit, als dazumal in Berlin! Hegel, Neander und Ancelot verklangen in dem Namen Sonntag; Literatur, Kunſt und Wiſſenſchaft zerſtoben in den Namen Stich, Devrient, und Gewerb-, Induſtrie- und Erfindungsgeiſt flüchteten vor dem Namen: Olle. Karoline Bauer. Dieſe Letztere betrat dazumal gerade die theatraliſche Laufbahn auf dem Königſtädter Theater und bildete neben der gefeierten Sonntag den zweiten Stern der Dilettanti, der feurigen und der ſogenannten, dazumal weitverzweigten und in Norddeutſchland lange geneckten Theater-Alte-Garde. Von den Zelten Charlottenburgs bis zu Stralows Krebſen¬ fluren, von den Rüben Teltows bis zum Königsberger Klops zog ſich nur ein Schall durch die ganze Menſch¬ heit: Theater! Theater! Theater! Um dieſe Zeit des allgemeinen Theaterkultus kam ich nach Berlin, und hatte gleich die große Wahrheit inne: Rede vom Theater, ſchreibe vom Theater, gleich¬ viel ob dumm oder klug, wenn du gehört ſein willſt.

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/87>, abgerufen am 10.05.2024.