Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_083.001 Sahn wir doch das Große aller Zeiten pba_083.002 pba_083.008Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, pba_083.003 Sinnvoll still an uns vorübergehn. pba_083.004 Alles wiederholt sich nur im Leben, pba_083.005 Ewig jung ist nur die Phantasie; pba_083.006 Was sich nie und nirgends hat begeben, pba_083.007 Das allein veraltet nie! und viele ähnliche. pba_083.009 Zürne der Schönheit nicht, daß sie schön ist, daß sie verdienstlos, pba_083.014 pba_083.017Wie der Lilie Kelch prangt durch der Venus Geschenk. pba_083.015 Laß sie die Glückliche sein! du schaust sie, du bist der Beglückte! pba_083.016 Wie sie ohne Verdienst glänzt, so entzücket sie dich. oder am Schlusse desselben Gedichtes, "Das Glück": pba_083.018Alles Menschliche muß erst werden und wachsen und reifen, pba_083.019 Und von Gestalt zu Gestalt führt es die bildende Zeit; pba_083.020 Aber das Glückliche siehest du nicht, das Schöne nicht werden, pba_083.021 Fertig von Ewigkeit her steht es vollendet vor dir. pba_083.022 Jede irdische Venus ersteht, wie die erste des Himmels, pba_083.023 Eine dunkle Geburt, aus dem unendlichen Meer; pba_083.024 Wie die erste Minerva, so tritt, mit der Aegis gerüstet, pba_083.025 Aus des Donnerers Haupt jeder Gedanke des Lichts. pba_083.026 pba_083.030 pba_083.038 pba_083.001 Sahn wir doch das Große aller Zeiten pba_083.002 pba_083.008Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, pba_083.003 Sinnvoll still an uns vorübergehn. pba_083.004 Alles wiederholt sich nur im Leben, pba_083.005 Ewig jung ist nur die Phantasie; pba_083.006 Was sich nie und nirgends hat begeben, pba_083.007 Das allein veraltet nie! und viele ähnliche. pba_083.009 Zürne der Schönheit nicht, daß sie schön ist, daß sie verdienstlos, pba_083.014 pba_083.017Wie der Lilie Kelch prangt durch der Venus Geschenk. pba_083.015 Laß sie die Glückliche sein! du schaust sie, du bist der Beglückte! pba_083.016 Wie sie ohne Verdienst glänzt, so entzücket sie dich. oder am Schlusse desselben Gedichtes, „Das Glück“: pba_083.018Alles Menschliche muß erst werden und wachsen und reifen, pba_083.019 Und von Gestalt zu Gestalt führt es die bildende Zeit; pba_083.020 Aber das Glückliche siehest du nicht, das Schöne nicht werden, pba_083.021 Fertig von Ewigkeit her steht es vollendet vor dir. pba_083.022 Jede irdische Venus ersteht, wie die erste des Himmels, pba_083.023 Eine dunkle Geburt, aus dem unendlichen Meer; pba_083.024 Wie die erste Minerva, so tritt, mit der Aegis gerüstet, pba_083.025 Aus des Donnerers Haupt jeder Gedanke des Lichts. pba_083.026 pba_083.030 pba_083.038 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0101" n="83"/> <lb n="pba_083.001"/> <lg> <l>Sahn wir doch das Große <hi rendition="#g">aller</hi> Zeiten</l> <lb n="pba_083.002"/> <l>Auf den Brettern, die die Welt bedeuten,</l> <lb n="pba_083.003"/> <l>Sinnvoll still an uns vorübergehn.</l> <lb n="pba_083.004"/> <l> Alles wiederholt sich nur im Leben,</l> <lb n="pba_083.005"/> <l> Ewig jung ist nur die Phantasie;</l> <lb n="pba_083.006"/> <l> Was sich nie und nirgends hat begeben,</l> <lb n="pba_083.007"/> <l> Das allein veraltet nie!</l> </lg> <lb n="pba_083.008"/> <p>und viele ähnliche.</p> <p><lb n="pba_083.009"/> Oder aber es wird dem ausgesprochenen Gedanken sogleich das Bild <lb n="pba_083.010"/> beigesellt, welches die erregte Phantasie für ihn geschaffen, weniger um <lb n="pba_083.011"/> dem Gedanken die Klarheit zu geben, als um die ethische Stimmung um <lb n="pba_083.012"/> so gewisser zu erwecken, die er erzeugt. So, wenn es heißt:</p> <lb n="pba_083.013"/> <lg> <l>Zürne der Schönheit nicht, daß sie schön ist, daß sie verdienstlos,</l> <lb n="pba_083.014"/> <l> Wie der Lilie Kelch prangt durch der Venus Geschenk.</l> <lb n="pba_083.015"/> <l>Laß sie die Glückliche sein! du schaust sie, du bist der Beglückte!</l> <lb n="pba_083.016"/> <l> Wie sie ohne Verdienst glänzt, so entzücket sie dich.</l> </lg> <lb n="pba_083.017"/> <p>oder am Schlusse desselben Gedichtes, „Das Glück“:</p> <lb n="pba_083.018"/> <lg> <l>Alles Menschliche muß erst werden und wachsen und reifen,</l> <lb n="pba_083.019"/> <l> Und von Gestalt zu Gestalt führt es die bildende Zeit;</l> <lb n="pba_083.020"/> <l>Aber das Glückliche siehest du nicht, das Schöne nicht werden,</l> <lb n="pba_083.021"/> <l> Fertig von Ewigkeit her steht es vollendet vor dir.</l> <lb n="pba_083.022"/> <l>Jede irdische Venus ersteht, wie die erste des Himmels,</l> <lb n="pba_083.023"/> <l> Eine dunkle Geburt, aus dem unendlichen Meer;</l> <lb n="pba_083.024"/> <l>Wie die erste Minerva, so tritt, mit der Aegis gerüstet,</l> <lb n="pba_083.025"/> <l> Aus des Donnerers Haupt jeder Gedanke des Lichts.</l> </lg> <p><lb n="pba_083.026"/> Dieses letztere Verfahren ist bei <hi rendition="#g">Schiller</hi> weitaus das bevorzugteste; <lb n="pba_083.027"/> seltener nur, und nur in kürzeren Gedichten ist ein <hi rendition="#g">einzelnes</hi> Bild <lb n="pba_083.028"/> beibehalten und durchgeführt, wie in „Die Führer des Lebens,“ „Der <lb n="pba_083.029"/> philosophische Egoist,“ „Nänie,“ „Der spielende Knabe.“</p> <p><lb n="pba_083.030"/> Oder endlich er verbindet eine Reihe von Strophen, von denen jede <lb n="pba_083.031"/> in einem für sich ausgeführten Bilde in farbigem Lichte einen Gedanken <lb n="pba_083.032"/> wiederstrahlt, zu einem organisch zusammenhängenden Ganzen; so im „Reich <lb n="pba_083.033"/> der Schatten“ („Jdeal und Leben“), welches in naher Anlehnung an die <lb n="pba_083.034"/> poetisierende Jdeenlehre <hi rendition="#g">Platos,</hi> an dessen dichterische Gleichnisse dieses <lb n="pba_083.035"/> ganze Verfahren ja lebhaft erinnert, den Lieblingsgedanken Schillers <lb n="pba_083.036"/> und ein Hauptthema seiner ästhetischen Philosophie der entzückten Anschauung <lb n="pba_083.037"/> vorführt.</p> <p><lb n="pba_083.038"/> Auf diesem Felde ist <hi rendition="#g">Schiller</hi> ohne Nebenbuhler; bei <hi rendition="#g">Goethe</hi> finden <lb n="pba_083.039"/> sich in den Epochen seiner lyrischen Vollkraft <hi rendition="#g">derartige</hi> Dichtungen <lb n="pba_083.040"/> überhaupt gar nicht, sie treten erst in seiner späteren Zeit auf, vom ersten </p> </div> </body> </text> </TEI> [83/0101]
pba_083.001
Sahn wir doch das Große aller Zeiten pba_083.002
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, pba_083.003
Sinnvoll still an uns vorübergehn. pba_083.004
Alles wiederholt sich nur im Leben, pba_083.005
Ewig jung ist nur die Phantasie; pba_083.006
Was sich nie und nirgends hat begeben, pba_083.007
Das allein veraltet nie!
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und viele ähnliche.
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Oder aber es wird dem ausgesprochenen Gedanken sogleich das Bild pba_083.010
beigesellt, welches die erregte Phantasie für ihn geschaffen, weniger um pba_083.011
dem Gedanken die Klarheit zu geben, als um die ethische Stimmung um pba_083.012
so gewisser zu erwecken, die er erzeugt. So, wenn es heißt:
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Zürne der Schönheit nicht, daß sie schön ist, daß sie verdienstlos, pba_083.014
Wie der Lilie Kelch prangt durch der Venus Geschenk. pba_083.015
Laß sie die Glückliche sein! du schaust sie, du bist der Beglückte! pba_083.016
Wie sie ohne Verdienst glänzt, so entzücket sie dich.
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oder am Schlusse desselben Gedichtes, „Das Glück“:
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Alles Menschliche muß erst werden und wachsen und reifen, pba_083.019
Und von Gestalt zu Gestalt führt es die bildende Zeit; pba_083.020
Aber das Glückliche siehest du nicht, das Schöne nicht werden, pba_083.021
Fertig von Ewigkeit her steht es vollendet vor dir. pba_083.022
Jede irdische Venus ersteht, wie die erste des Himmels, pba_083.023
Eine dunkle Geburt, aus dem unendlichen Meer; pba_083.024
Wie die erste Minerva, so tritt, mit der Aegis gerüstet, pba_083.025
Aus des Donnerers Haupt jeder Gedanke des Lichts.
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Dieses letztere Verfahren ist bei Schiller weitaus das bevorzugteste; pba_083.027
seltener nur, und nur in kürzeren Gedichten ist ein einzelnes Bild pba_083.028
beibehalten und durchgeführt, wie in „Die Führer des Lebens,“ „Der pba_083.029
philosophische Egoist,“ „Nänie,“ „Der spielende Knabe.“
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Oder endlich er verbindet eine Reihe von Strophen, von denen jede pba_083.031
in einem für sich ausgeführten Bilde in farbigem Lichte einen Gedanken pba_083.032
wiederstrahlt, zu einem organisch zusammenhängenden Ganzen; so im „Reich pba_083.033
der Schatten“ („Jdeal und Leben“), welches in naher Anlehnung an die pba_083.034
poetisierende Jdeenlehre Platos, an dessen dichterische Gleichnisse dieses pba_083.035
ganze Verfahren ja lebhaft erinnert, den Lieblingsgedanken Schillers pba_083.036
und ein Hauptthema seiner ästhetischen Philosophie der entzückten Anschauung pba_083.037
vorführt.
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Auf diesem Felde ist Schiller ohne Nebenbuhler; bei Goethe finden pba_083.039
sich in den Epochen seiner lyrischen Vollkraft derartige Dichtungen pba_083.040
überhaupt gar nicht, sie treten erst in seiner späteren Zeit auf, vom ersten
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