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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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lächerlich, freilich nur unbedeutend, wie ja auch der Fehler kein bedeutender pba_233.002
wäre in betreff der römischen Datierung einen Jrrtum zu pba_233.003
begehen. Wenn dagegen jemand auf die Frage, in welche Zeit die Jdus pba_233.004
fallen? den Aufschluß gäbe: "meistens in den März," so wäre ein solches pba_233.005
Hamartema, selbst als bloßer Jrrtum des Augenblickes, entschieden komisch, pba_233.006
weil dieses Mißverständnis, ernstlich genommen, nur bei der stärksten pba_233.007
Unkenntnis möglich ist. Eine reiche und sehr viel ausgebeutete Fundgrube pba_233.008
des Lächerlichen eröffnet sich auf diesem selben Boden, wenn ein pba_233.009
Unwissender und Ungeschickter durch den Zufall als Wissender und Geschickter pba_233.010
erscheint und nun mit allerlei Würden, Ämtern und Aufgaben pba_233.011
betraut wird, die ihn in ununterbrochener Reihe die ärgsten Fehlerhaftigkeiten pba_233.012
zuwege bringen lassen. Wird dergleichen der Wirklichkeit entnommen pba_233.013
oder als wirklich dargestellt, so hört das Lächerliche mit dem pba_233.014
Moment auf, wo die Folgen schädlich werden, und es kann sich dann pba_233.015
sogar in das Furchtbare verwandeln, wie wenn ein zum Heerführer ernannter pba_233.016
hohler Günstling Niederlage und Untergang eines Staates verursacht. pba_233.017
Aber selbst mit derartigen, von der Sache untrennbaren, schweren pba_233.018
Folgen kann der Charakter des Lächerlichen durch die Behandlung des pba_233.019
Stoffes gewahrt bleiben, sobald die Darstellung ganz in die Sphäre der pba_233.020
Phantasie verlegt wird, wie im Märchen, oder ganz in die Sphäre pba_233.021
des bloßen Verstandesurteils, wie in der Anekdote: in beiden Fällen pba_233.022
werden alle schmerzlichen und schädlichen Beziehungen eliminiert, und es pba_233.023
bleibt das bloße Faktum der Fehlerhaftigkeit für die Beurteilung übrig.

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Daß aber in der That der Begriff des Lächerlichen durch die bloße pba_233.025
Fehlerhaftigkeit und Deformität als solche konstituiert wird und nicht pba_233.026
durch den Kontrast derselben mit der Vorstellung des Erhabenen oder pba_233.027
mit einer zu Tage tretenden Absicht, zeigt sich deutlich, wenn man in pba_233.028
der schon oben angedeuteten Weise jene das Lächerliche konstituierenden pba_233.029
Begriffe genau in der ihnen zukommenden Bedeutung erfaßt. Die Begriffe pba_233.030
des amartema -- der Fehlerhaftigkeit oder Verirrung -- und des pba_233.031
aiskhos -- der Deformität -- decken sich keineswegs an sich mit dem pba_233.032
Begriff des bloßen Mangels an Trefflichkeit, Vollkommenheit und Schönheit, pba_233.033
sondern schlechterdings ganz allein da, wo mit Recht diejenige Trefflichkeit, pba_233.034
Vollkommenheit oder Übereinstimmung der äußeren Gestalt vorausgesetzt pba_233.035
wird, von welcher sie abweichen. Das Kamel, die Spinne, der pba_233.036
Tausendfuß, das Krokodil mögen uns unschön erscheinen und wir mögen pba_233.037
sie nach unserm Sprachgebrauch "häßlich" nennen, die Eigenschaft des pba_233.038
aiskhos, der "Deformität", kommt ihnen nicht zu, dem Kundigen wird pba_233.039
im Gegenteil ihre Gestalt als mit ihrer Naturbestimmung in hohem Grade pba_233.040
übereinstimmend erscheinen. Dagegen sind Falstaffs Wanst, Bardolphs

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lächerlich, freilich nur unbedeutend, wie ja auch der Fehler kein bedeutender pba_233.002
wäre in betreff der römischen Datierung einen Jrrtum zu pba_233.003
begehen. Wenn dagegen jemand auf die Frage, in welche Zeit die Jdus pba_233.004
fallen? den Aufschluß gäbe: „meistens in den März,“ so wäre ein solches pba_233.005
Hamartema, selbst als bloßer Jrrtum des Augenblickes, entschieden komisch, pba_233.006
weil dieses Mißverständnis, ernstlich genommen, nur bei der stärksten pba_233.007
Unkenntnis möglich ist. Eine reiche und sehr viel ausgebeutete Fundgrube pba_233.008
des Lächerlichen eröffnet sich auf diesem selben Boden, wenn ein pba_233.009
Unwissender und Ungeschickter durch den Zufall als Wissender und Geschickter pba_233.010
erscheint und nun mit allerlei Würden, Ämtern und Aufgaben pba_233.011
betraut wird, die ihn in ununterbrochener Reihe die ärgsten Fehlerhaftigkeiten pba_233.012
zuwege bringen lassen. Wird dergleichen der Wirklichkeit entnommen pba_233.013
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hohler Günstling Niederlage und Untergang eines Staates verursacht. pba_233.017
Aber selbst mit derartigen, von der Sache untrennbaren, schweren pba_233.018
Folgen kann der Charakter des Lächerlichen durch die Behandlung des pba_233.019
Stoffes gewahrt bleiben, sobald die Darstellung ganz in die Sphäre der pba_233.020
Phantasie verlegt wird, wie im Märchen, oder ganz in die Sphäre pba_233.021
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bleibt das bloße Faktum der Fehlerhaftigkeit für die Beurteilung übrig.

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Daß aber in der That der Begriff des Lächerlichen durch die bloße pba_233.025
Fehlerhaftigkeit und Deformität als solche konstituiert wird und nicht pba_233.026
durch den Kontrast derselben mit der Vorstellung des Erhabenen oder pba_233.027
mit einer zu Tage tretenden Absicht, zeigt sich deutlich, wenn man in pba_233.028
der schon oben angedeuteten Weise jene das Lächerliche konstituierenden pba_233.029
Begriffe genau in der ihnen zukommenden Bedeutung erfaßt. Die Begriffe pba_233.030
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αἶσχος — der Deformität — decken sich keineswegs an sich mit dem pba_233.032
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sondern schlechterdings ganz allein da, wo mit Recht diejenige Trefflichkeit, pba_233.034
Vollkommenheit oder Übereinstimmung der äußeren Gestalt vorausgesetzt pba_233.035
wird, von welcher sie abweichen. Das Kamel, die Spinne, der pba_233.036
Tausendfuß, das Krokodil mögen uns unschön erscheinen und wir mögen pba_233.037
sie nach unserm Sprachgebrauch „häßlich“ nennen, die Eigenschaft des pba_233.038
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[233/0251] pba_233.001 lächerlich, freilich nur unbedeutend, wie ja auch der Fehler kein bedeutender pba_233.002 wäre in betreff der römischen Datierung einen Jrrtum zu pba_233.003 begehen. Wenn dagegen jemand auf die Frage, in welche Zeit die Jdus pba_233.004 fallen? den Aufschluß gäbe: „meistens in den März,“ so wäre ein solches pba_233.005 Hamartema, selbst als bloßer Jrrtum des Augenblickes, entschieden komisch, pba_233.006 weil dieses Mißverständnis, ernstlich genommen, nur bei der stärksten pba_233.007 Unkenntnis möglich ist. Eine reiche und sehr viel ausgebeutete Fundgrube pba_233.008 des Lächerlichen eröffnet sich auf diesem selben Boden, wenn ein pba_233.009 Unwissender und Ungeschickter durch den Zufall als Wissender und Geschickter pba_233.010 erscheint und nun mit allerlei Würden, Ämtern und Aufgaben pba_233.011 betraut wird, die ihn in ununterbrochener Reihe die ärgsten Fehlerhaftigkeiten pba_233.012 zuwege bringen lassen. Wird dergleichen der Wirklichkeit entnommen pba_233.013 oder als wirklich dargestellt, so hört das Lächerliche mit dem pba_233.014 Moment auf, wo die Folgen schädlich werden, und es kann sich dann pba_233.015 sogar in das Furchtbare verwandeln, wie wenn ein zum Heerführer ernannter pba_233.016 hohler Günstling Niederlage und Untergang eines Staates verursacht. pba_233.017 Aber selbst mit derartigen, von der Sache untrennbaren, schweren pba_233.018 Folgen kann der Charakter des Lächerlichen durch die Behandlung des pba_233.019 Stoffes gewahrt bleiben, sobald die Darstellung ganz in die Sphäre der pba_233.020 Phantasie verlegt wird, wie im Märchen, oder ganz in die Sphäre pba_233.021 des bloßen Verstandesurteils, wie in der Anekdote: in beiden Fällen pba_233.022 werden alle schmerzlichen und schädlichen Beziehungen eliminiert, und es pba_233.023 bleibt das bloße Faktum der Fehlerhaftigkeit für die Beurteilung übrig. pba_233.024 Daß aber in der That der Begriff des Lächerlichen durch die bloße pba_233.025 Fehlerhaftigkeit und Deformität als solche konstituiert wird und nicht pba_233.026 durch den Kontrast derselben mit der Vorstellung des Erhabenen oder pba_233.027 mit einer zu Tage tretenden Absicht, zeigt sich deutlich, wenn man in pba_233.028 der schon oben angedeuteten Weise jene das Lächerliche konstituierenden pba_233.029 Begriffe genau in der ihnen zukommenden Bedeutung erfaßt. Die Begriffe pba_233.030 des ἁμάρτημα — der Fehlerhaftigkeit oder Verirrung — und des pba_233.031 αἶσχος — der Deformität — decken sich keineswegs an sich mit dem pba_233.032 Begriff des bloßen Mangels an Trefflichkeit, Vollkommenheit und Schönheit, pba_233.033 sondern schlechterdings ganz allein da, wo mit Recht diejenige Trefflichkeit, pba_233.034 Vollkommenheit oder Übereinstimmung der äußeren Gestalt vorausgesetzt pba_233.035 wird, von welcher sie abweichen. Das Kamel, die Spinne, der pba_233.036 Tausendfuß, das Krokodil mögen uns unschön erscheinen und wir mögen pba_233.037 sie nach unserm Sprachgebrauch „häßlich“ nennen, die Eigenschaft des pba_233.038 αἶσχος, der „Deformität“, kommt ihnen nicht zu, dem Kundigen wird pba_233.039 im Gegenteil ihre Gestalt als mit ihrer Naturbestimmung in hohem Grade pba_233.040 übereinstimmend erscheinen. Dagegen sind Falstaffs Wanst, Bardolphs

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/251>, abgerufen am 25.11.2024.