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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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in ihre betrüglichen Tiefen! Wie lehrreich werdet ihr schreiben! pba_263.002
Eine kleine Legende wird mehr Psychologie, mehr Warnung, Rat pba_263.003
und Trost
enthalten, als vielleicht ein ganzes System kalter pba_263.004
pharisäischer Sittenlehre.
Sie wird werden, was ihr Name sagt, pba_263.005
ein durchaus zu Lesendes, eine Legende." Man sieht, es geht hier pba_263.006
Herdern aller epische Takt verloren; und wenn er im Übrigen von der pba_263.007
Legende verlangt, "Andacht solle sie einflößen und wirken," und weiterhin pba_263.008
das "Engelsgefühl", von dem sie erfüllt sein soll, ausmalt -- pba_263.009
"Ein ganz eigenes Gefühl ist es, dies süße Gefühl der Andacht. Es pba_263.010
haftet so unabwendbar an und fesselt so ganz, läßt so Vieles unmerklich pba_263.011
hinschwinden
und scheint uns mit wenigen Gedanken pba_263.012
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mit einem Gedanken alles zu geben!" --, so liegt darin pba_263.013
wohl mehr poetischer Sinn, obwohl in nicht unbedenklicher Form geäußert, pba_263.014
allein den Gesetzen der epischen Erzählung widerspricht auch pba_263.015
dieses. Ein Gedicht, welches die Erregung der Andacht zum Nachahmungszweck pba_263.016
hat, ist lyrisch, was etwa darin erzählt wird, dient als pba_263.017
Darstellungs mittel diesem Zweck; dagegen ist für die Epik überall die pba_263.018
Handlung Jnhalt und Zweck. Ein vortreffliches Beispiel für diesen pba_263.019
Unterschied bietet Uhlands schönes lyrisches Gedicht "Die verlorene pba_263.020
Kirche
" dar. Hier ist die Erregung des Andachtsgefühles Liedeszweck, pba_263.021
die Erzählung der wie in einer Vision geschauten, aber äußerlich pba_263.022
als sagenhafte Überlieferung dargebotenen, Handlung dient diesem Liedzwecke pba_263.023
und erfüllt ihn ganz, wie die Schlußstrophe ihn ausspricht:

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Was ich für Herrlichkeit geschaut pba_263.025
Mit still anbetendem Erstaunen, pba_263.026
Was ich gehört für sel'gen Laut, pba_263.027
Als Orgel mehr und als Posaunen, pba_263.028
Das steht nicht in der Worte Macht; pba_263.029
Doch wer danach sich treulich sehnet, pba_263.030
Der nehme des Geläutes acht, pba_263.031
Das in dem Walde dumpf ertönet!

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Man vergleiche mit diesem schönen, von andächtiger Stimmung pba_263.033
ganz eingegebenen und ganz erfüllten Liede die lehrhafte Trockenheit pba_263.034
in Beschreibung der Stimmung und in der Erzählung von Herders pba_263.035
"Bild der Andacht", worin er doch, wenn irgendwo, seine Theorie pba_263.036
müßte bewährt haben:

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Die höchste Liebe wie die höchste Kunst pba_263.038
Jst Andacht. Dem zerstreueten Gemüt pba_263.039
Erscheint die Wahrheit und die Schönheit nie; pba_263.040
Sie, die aus vielem nicht gesammelt wird,

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Herdern aller epische Takt verloren; und wenn er im Übrigen von der pba_263.007
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Was ich für Herrlichkeit geschaut pba_263.025
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Als Orgel mehr und als Posaunen, pba_263.028
Das steht nicht in der Worte Macht; pba_263.029
Doch wer danach sich treulich sehnet, pba_263.030
Der nehme des Geläutes acht, pba_263.031
Das in dem Walde dumpf ertönet!

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Man vergleiche mit diesem schönen, von andächtiger Stimmung pba_263.033
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/281>, abgerufen am 22.11.2024.