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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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thaten bei Weitem häufiger und beträchtlicher. Sowie aber das Grundgesetz pba_280.002
der dichterischen Nachahmung von Handlungen, die Einheit des pba_280.003
Gegenstandes, angetastet wird, so leidet darunter naturgemäß auch der pba_280.004
Nachahmungszweck: die reine Anschauung und Empfindung des Schicksalswaltens pba_280.005
kann da nicht hervorgebracht werden, wo der unabänderlich pba_280.006
feste und streng notwendige innere und äußere Zusammenhang der dargestellten pba_280.007
Dinge nicht vorhanden ist. Je stärker daher der Fehler gegen pba_280.008
das Gesetz der Einheit ist, je mehr dieselbe bloß in die Person statt in pba_280.009
die Handlung verlegt ist, desto mehr muß der Nachahmungszweck ein pba_280.010
äußerlicher werden, desto mehr sich das Jnteresse an den bloßen historischen pba_280.011
Verlauf oder das thatsächliche Ergebnis des Erzählungs-"Stoffes" heften, pba_280.012
endlich, wo die Einheit so weit aufgehoben ist, daß auch dieses Jnteresse pba_280.013
sich abschwächt, wird nur der Reiz des bunten Wechsels der dargestellten pba_280.014
Veränderungen, der fesselnden Gestalt des augenblicklich den Sinn beschäftigenden pba_280.015
Geschehnisses übrig bleiben.



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XVII.

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Alle Forderungen, die an die Komposition des Epos zu stellen sind, pba_280.018
werden am vollständigsten durch die homerischen Epen erfüllt. Aber pba_280.019
schon Virgils "Aeneis" zeigt den Beginn des Sinkens der epischen pba_280.020
Kunst. So kunstvoll vielfach die Erzählung ist, so sorgfältig die Charakterdarstellung, pba_280.021
der Ausdruck der Leidenschaften und Reflexionen, so vermögen pba_280.022
alle diese Vorgänge den Mangel der Einheit nicht aufzuwiegen: pba_280.023
die Verbindung zwischen dem ersten Teile, Aeneas Aufenthalt zu Carthago pba_280.024
und dem Selbstmord der verlasseneu Dido, und dem zweiten, dem Kampf pba_280.025
um Lavinia und Latium, ist eine ganz äußerlich erkünstelte; weder hat pba_280.026
der tragische Abschluß des ersten Teiles im vierten Buche die Kraft pba_280.027
eines Verhängnisses für den Helden, welches für den weiteren Verlauf pba_280.028
der Handlung entscheidend ist, etwa in der Art, wie Siegfrieds Verhältnis pba_280.029
zu Brunhild die gesamte Entwickelung der Handlung in beiden pba_280.030
Teilen des Nibelungenliedes bestimmt, noch werden die einzelnen Teile pba_280.031
des Ganzen durch das Ethos des Helden zusammengehalten, wie in der pba_280.032
Odyssee, wo die ganze Reihe der Abenteuer entweder geradezu durch des pba_280.033
Helden charakteristische Sinnesart hervorgerufen oder in ihrem Ausgang, pba_280.034
ihrer Folge und Verkettung wesentlich durch diese das Ganze beherrschende pba_280.035
Kraft seines Ethos gestaltet wird. Wenn bei Virgils Helden ein solches pba_280.036
Ethos vorhanden ist, so müßte es das negative der Abwesenheit aller

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thaten bei Weitem häufiger und beträchtlicher. Sowie aber das Grundgesetz pba_280.002
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kann da nicht hervorgebracht werden, wo der unabänderlich pba_280.006
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Verlauf oder das thatsächliche Ergebnis des Erzählungs-„Stoffes“ heften, pba_280.012
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Geschehnisses übrig bleiben.



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Alle Forderungen, die an die Komposition des Epos zu stellen sind, pba_280.018
werden am vollständigsten durch die homerischen Epen erfüllt. Aber pba_280.019
schon Virgils „Aeneis“ zeigt den Beginn des Sinkens der epischen pba_280.020
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der Ausdruck der Leidenschaften und Reflexionen, so vermögen pba_280.022
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des Ganzen durch das Ethos des Helden zusammengehalten, wie in der pba_280.032
Odyssee, wo die ganze Reihe der Abenteuer entweder geradezu durch des pba_280.033
Helden charakteristische Sinnesart hervorgerufen oder in ihrem Ausgang, pba_280.034
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/298>, abgerufen am 22.11.2024.