pba_012.001 Handlung gegen Herders Polemik im 16. Abschnitt des ersten kritischen pba_012.002 Wäldchens ins Feld zu führen.
pba_012.003 Herder erkennt an, daß die bildenden Künste im Raume wirken, pba_012.004 aber er leugnet entschieden Lessings Antithese, daß die Poesie in der pba_012.005 Zeitfolge wirke: nicht in der Zeit, sondern durch die Zeitfolgepba_012.006 wirke sie, das Mittel dieser Wirkung sei in der Poesie die Kraft; somit pba_012.007 seien die Künste der Zeitfolge, Musik und Poesie als die Künste der pba_012.008 Energie zu bezeichnen. Die Kraft, die den Worten beiwohnt, welche pba_012.009 unmittelbar auf die Seele wirkt, "ist das Wesen der Poesie, pba_012.010 nicht aber das Koexistente oder die Succession".1 Diesen von pba_012.011 Herder vermißten Begriff der Kraft meint Blümner in dem Begriff der pba_012.012 Einheit der Handlung als gegeben zu finden und mit diesem einen pba_012.013 Schlage Herders ganze Argumentation in Nichts aufzulösen; als ob, pba_012.014 auch abgesehen davon, daß Lessing die Forderung der Einheit im Laokoon pba_012.015 geflissentlich beiseite gelassen, der weitere Begriff "eine Folge von pba_012.016 Gegenständen oder Veränderungen" oder der engere "eine einheitliche pba_012.017 Gruppe daraus" das Geringste daran änderte, daß Lessing auf den Unterschied pba_012.018 des Koexistenten in der Malerei und des Successiven in der pba_012.019 Poesie seine gesamte Schlußfolgerung gründet, und grade dieses ist es ja, pba_012.020 wogegen Herders Polemik sich richtet!
pba_012.021 Dennoch ist Herders Einwand falsch; aber der Fehler liegt an pba_012.022 einer ganz andern Stelle. Auch Herder geht in die Jrre, weil er versäumt pba_012.023 hat von der Mimesis sich eine scharf bestimmte Vorstellung zu pba_012.024 machen. Hier freilich läßt sich die Schiefheit seiner Argumente mit zwei pba_012.025 Worten erweisen: sie liegt in dem doppelsinnigen Gebrauch des Verbums pba_012.026 "wirken".
pba_012.027 Die Künste "wirken durch dieses oder jenes" kann einmal pba_012.028 bedeuten: sie vollziehen ihr Geschäft; so ist es bei Lessing gemeint, pba_012.029 wenn er sagt, die Malerei wirkt im Raume durch Figuren und pba_012.030 Farben, die Poesie in der Zeit durch artikulierte Töne. Sodann aber pba_012.031 kann es heißen: sie erzeugen Wirkungen in der Seele des pba_012.032 empfangenden Menschen, sie bringen Vorstellungen hervor, pba_012.033 welche sein Empfindungsvermögen der Absicht des Künstlers pba_012.034 gemäß afficieren. Das eine Mal ist die Frage: welche technischenpba_012.035 Mittel treten in den einzelnen Künsten in Aktion? und das pba_012.036 andere Mal: welchen ästhetischen Erfolg bringt die Aktion dieser pba_012.037 Mittel hervor? Durch die Erkenntnis dieses Sophismas wird Herders pba_012.038 gesamte Schlußfolgerung in dieser Frage über den Haufen geworfen;
1pba_012.039 Vgl. Herder (Hempel), Bd. XX, S. 109.
pba_012.001 Handlung gegen Herders Polemik im 16. Abschnitt des ersten kritischen pba_012.002 Wäldchens ins Feld zu führen.
pba_012.003 Herder erkennt an, daß die bildenden Künste im Raume wirken, pba_012.004 aber er leugnet entschieden Lessings Antithese, daß die Poesie in der pba_012.005 Zeitfolge wirke: nicht in der Zeit, sondern durch die Zeitfolgepba_012.006 wirke sie, das Mittel dieser Wirkung sei in der Poesie die Kraft; somit pba_012.007 seien die Künste der Zeitfolge, Musik und Poesie als die Künste der pba_012.008 Energie zu bezeichnen. Die Kraft, die den Worten beiwohnt, welche pba_012.009 unmittelbar auf die Seele wirkt, „ist das Wesen der Poesie, pba_012.010 nicht aber das Koexistente oder die Succession“.1 Diesen von pba_012.011 Herder vermißten Begriff der Kraft meint Blümner in dem Begriff der pba_012.012 Einheit der Handlung als gegeben zu finden und mit diesem einen pba_012.013 Schlage Herders ganze Argumentation in Nichts aufzulösen; als ob, pba_012.014 auch abgesehen davon, daß Lessing die Forderung der Einheit im Laokoon pba_012.015 geflissentlich beiseite gelassen, der weitere Begriff „eine Folge von pba_012.016 Gegenständen oder Veränderungen“ oder der engere „eine einheitliche pba_012.017 Gruppe daraus“ das Geringste daran änderte, daß Lessing auf den Unterschied pba_012.018 des Koexistenten in der Malerei und des Successiven in der pba_012.019 Poesie seine gesamte Schlußfolgerung gründet, und grade dieses ist es ja, pba_012.020 wogegen Herders Polemik sich richtet!
pba_012.021 Dennoch ist Herders Einwand falsch; aber der Fehler liegt an pba_012.022 einer ganz andern Stelle. Auch Herder geht in die Jrre, weil er versäumt pba_012.023 hat von der Mimesis sich eine scharf bestimmte Vorstellung zu pba_012.024 machen. Hier freilich läßt sich die Schiefheit seiner Argumente mit zwei pba_012.025 Worten erweisen: sie liegt in dem doppelsinnigen Gebrauch des Verbums pba_012.026 „wirken“.
pba_012.027 Die Künste „wirken durch dieses oder jenes“ kann einmal pba_012.028 bedeuten: sie vollziehen ihr Geschäft; so ist es bei Lessing gemeint, pba_012.029 wenn er sagt, die Malerei wirkt im Raume durch Figuren und pba_012.030 Farben, die Poesie in der Zeit durch artikulierte Töne. Sodann aber pba_012.031 kann es heißen: sie erzeugen Wirkungen in der Seele des pba_012.032 empfangenden Menschen, sie bringen Vorstellungen hervor, pba_012.033 welche sein Empfindungsvermögen der Absicht des Künstlers pba_012.034 gemäß afficieren. Das eine Mal ist die Frage: welche technischenpba_012.035 Mittel treten in den einzelnen Künsten in Aktion? und das pba_012.036 andere Mal: welchen ästhetischen Erfolg bringt die Aktion dieser pba_012.037 Mittel hervor? Durch die Erkenntnis dieses Sophismas wird Herders pba_012.038 gesamte Schlußfolgerung in dieser Frage über den Haufen geworfen;
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pba_012.001
Handlung gegen Herders Polemik im 16. Abschnitt des ersten kritischen pba_012.002
Wäldchens ins Feld zu führen.
pba_012.003
Herder erkennt an, daß die bildenden Künste im Raume wirken, pba_012.004
aber er leugnet entschieden Lessings Antithese, daß die Poesie in der pba_012.005
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wirke sie, das Mittel dieser Wirkung sei in der Poesie die Kraft; somit pba_012.007
seien die Künste der Zeitfolge, Musik und Poesie als die Künste der pba_012.008
Energie zu bezeichnen. Die Kraft, die den Worten beiwohnt, welche pba_012.009
unmittelbar auf die Seele wirkt, „ist das Wesen der Poesie, pba_012.010
nicht aber das Koexistente oder die Succession“. 1 Diesen von pba_012.011
Herder vermißten Begriff der Kraft meint Blümner in dem Begriff der pba_012.012
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Schlage Herders ganze Argumentation in Nichts aufzulösen; als ob, pba_012.014
auch abgesehen davon, daß Lessing die Forderung der Einheit im Laokoon pba_012.015
geflissentlich beiseite gelassen, der weitere Begriff „eine Folge von pba_012.016
Gegenständen oder Veränderungen“ oder der engere „eine einheitliche pba_012.017
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pba_012.021
Dennoch ist Herders Einwand falsch; aber der Fehler liegt an pba_012.022
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pba_012.027
Die Künste „wirken durch dieses oder jenes“ kann einmal pba_012.028
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Farben, die Poesie in der Zeit durch artikulierte Töne. Sodann aber pba_012.031
kann es heißen: sie erzeugen Wirkungen in der Seele des pba_012.032
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andere Mal: welchen ästhetischen Erfolg bringt die Aktion dieser pba_012.037
Mittel hervor? Durch die Erkenntnis dieses Sophismas wird Herders pba_012.038
gesamte Schlußfolgerung in dieser Frage über den Haufen geworfen;
1 pba_012.039
Vgl. Herder (Hempel), Bd. XX, S. 109.
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/30>, abgerufen am 23.11.2024.
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