Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_287.001 diu sorchafte Künigein pba_287.028 diu tete an disen dingen schein, pba_287.029 daz man laster unde spot pba_287.030 mere fürhtet danne got. pba_287.031 pba_287.033
[Beginn Spaltensatz] der leschet ane lougen pba_287.034 [Spaltenumbruch] pba_287.101hunderttusend smerzen pba_287.035 des leibes unde des herzen. pba_287.036 ein kus in liebes munde, pba_287.037 der von des herzen grunde pba_287.038 her auf geslichen kaeme, pba_287.039 ahei, waz der benaeme pba_287.040 seneder sorge und herzenot! Mag doch zu löschen taugen pba_287.102 [Ende Spaltensatz]Hunderttausend Schmerzen pba_287.103 Des Leibes und der Herzen. pba_287.104 Ein Kuß von liebem Munde, pba_287.105 Der von des Herzens Grunde pba_287.106 Heraufgedrungen käme, pba_287.107 Ach, wie viel benähme pba_287.108 Der sehnlich Leid und Herzensnot! pba_287.001 diu sorchafte Künigîn pba_287.028 diu tete an disen dingen schîn, pba_287.029 daz man laster unde spot pba_287.030 mêre fürhtet danne got. pba_287.031 pba_287.033
[Beginn Spaltensatz] der leschet âne lougen pba_287.034 [Spaltenumbruch] pba_287.101hunderttusend smerzen pba_287.035 des lîbes unde des herzen. pba_287.036 ein kus in liebes munde, pba_287.037 der von des herzen grunde pba_287.038 her ûf geslichen kaeme, pba_287.039 ahî, waz der benaeme pba_287.040 seneder sorge und herzenôt! Mag doch zu löschen taugen pba_287.102 [Ende Spaltensatz]Hunderttausend Schmerzen pba_287.103 Des Leibes und der Herzen. pba_287.104 Ein Kuß von liebem Munde, pba_287.105 Der von des Herzens Grunde pba_287.106 Heraufgedrungen käme, pba_287.107 Ach, wie viel benähme pba_287.108 Der sehnlich Leid und Herzensnot! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0305" n="287"/><lb n="pba_287.001"/> strenge Einheit kann durch nichts anderes gegeben werden, als durch <lb n="pba_287.002"/> die Vorführung eines Schicksalsvollzuges, der geeignet ist, die reinen <lb n="pba_287.003"/> Schicksalsempfindungen zu erzeugen. Es ist nicht so sehr der <hi rendition="#g">fehlende <lb n="pba_287.004"/> Abschluß,</hi> der diesen Mangel fühlbar macht, als vielmehr die Abwesenheit <lb n="pba_287.005"/> des <hi rendition="#g">tragischen Bewußtseins</hi> bei dem Dichter, das schon <lb n="pba_287.006"/> bei der Anlage der Handlung vorausdeutend sich kundgeben und ihren <lb n="pba_287.007"/> Fortgang überall erfüllen müßte. Dieses höchste <hi rendition="#g">Einheitsgefühl,</hi> wie <lb n="pba_287.008"/> es z. B. in dem Nibelungenliede mit lebendigster Kraft wirksam ist und <lb n="pba_287.009"/> wie es aus dem immerfort gegenwärtigen Bewußtsein des Schicksalsverlaufs <lb n="pba_287.010"/> ganz ohne Theorie einfach und mit Notwendigkeit entspringt, vermag <lb n="pba_287.011"/> auch allein das überflüssige und darum schädliche Episodenbeiwerk <lb n="pba_287.012"/> des Rohstoffes auszuscheiden und die entstellenden Züge, die störenden <lb n="pba_287.013"/> Elemente desselben hinwegzuläutern. Ein merkwürdiges Zeugnis, wie <lb n="pba_287.014"/> unkritisch und des Wesentlichsten ahnungslos Meister Gottfried und sein <lb n="pba_287.015"/> Publikum noch dem Stoff gegenüberstanden, ist die Unbefangenheit, mit <lb n="pba_287.016"/> der er im achtzehnten Abschnitte den entsetzlichen Mordanschlag Jsoldens <lb n="pba_287.017"/> gegen ihre getreue Brangäne berichtet, die ihr eben das höchste Opfer <lb n="pba_287.018"/> gebracht hat, ein Mordanschlag, dem von seiten der Anstifterin nichts <lb n="pba_287.019"/> zur That fehlt; und diese Unthat ist nicht allein in der Ökonomie der <lb n="pba_287.020"/> Handlung ohne alle Bedeutung, sie kann ohne weiteres einfach gestrichen <lb n="pba_287.021"/> werden, sondern, was viel schlimmer ist, sie bleibt auch sittlich und <lb n="pba_287.022"/> psychologisch ohne alle Konsequenzen, sie vermag weder dem Dichter das <lb n="pba_287.023"/> glänzende Bild seiner Heldin zu trüben, noch hat sie irgend einen Einfluß <lb n="pba_287.024"/> auf ihr Schicksal, was selbst in dem primitivsten Märchen unerhört <lb n="pba_287.025"/> sein würde. Die einzige Reflexion, zu der sich der Dichter bei <lb n="pba_287.026"/> dieser Affaire im Vorübergehen herbeiläßt, ist die folgende (s. v. 12713 ff.):</p> <lb n="pba_287.027"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">diu sorchafte Künigîn</hi> </l> <lb n="pba_287.028"/> <l> <hi rendition="#aq">diu tete an disen dingen schîn,</hi> </l> <lb n="pba_287.029"/> <l> <hi rendition="#aq">daz man laster unde spot</hi> </l> <lb n="pba_287.030"/> <l><hi rendition="#aq">mêre fürhtet danne got</hi>.</l> </lg> <p><lb n="pba_287.031"/> Umgekehrt liegt das Verhältnis in <hi rendition="#g">Wolframs</hi> „<hi rendition="#g">Parzival</hi>“: vor <lb n="pba_287.032"/> Allem ist dem Dichter die Durchführung des Schicksalsverlaufs angelegen, <note xml:id="pba_283_1e" prev="#pba_283_1d" place="foot" n="1"><lb n="pba_287.033"/><cb type="start"/><lg><l>der leschet âne lougen</l><lb n="pba_287.034"/><l>hunderttusend smerzen</l><lb n="pba_287.035"/><l>des lîbes unde des herzen.</l><lb n="pba_287.036"/><l>ein kus in liebes munde,</l><lb n="pba_287.037"/><l>der von des herzen grunde</l><lb n="pba_287.038"/><l>her ûf geslichen kaeme,</l><lb n="pba_287.039"/><l>ahî, waz der benaeme</l><lb n="pba_287.040"/><l>seneder sorge und herzenôt!</l></lg><cb/><lb n="pba_287.101"/><lg><l>Mag doch zu löschen taugen</l><lb n="pba_287.102"/><l>Hunderttausend Schmerzen</l><lb n="pba_287.103"/><l>Des Leibes und der Herzen.</l><lb n="pba_287.104"/><l>Ein Kuß von liebem Munde,</l><lb n="pba_287.105"/><l>Der von des Herzens Grunde</l><lb n="pba_287.106"/><l>Heraufgedrungen käme,</l><lb n="pba_287.107"/><l>Ach, wie viel benähme</l><lb n="pba_287.108"/><l>Der sehnlich Leid und Herzensnot!</l></lg><cb type="end"/></note> </p> </div> </body> </text> </TEI> [287/0305]
pba_287.001
strenge Einheit kann durch nichts anderes gegeben werden, als durch pba_287.002
die Vorführung eines Schicksalsvollzuges, der geeignet ist, die reinen pba_287.003
Schicksalsempfindungen zu erzeugen. Es ist nicht so sehr der fehlende pba_287.004
Abschluß, der diesen Mangel fühlbar macht, als vielmehr die Abwesenheit pba_287.005
des tragischen Bewußtseins bei dem Dichter, das schon pba_287.006
bei der Anlage der Handlung vorausdeutend sich kundgeben und ihren pba_287.007
Fortgang überall erfüllen müßte. Dieses höchste Einheitsgefühl, wie pba_287.008
es z. B. in dem Nibelungenliede mit lebendigster Kraft wirksam ist und pba_287.009
wie es aus dem immerfort gegenwärtigen Bewußtsein des Schicksalsverlaufs pba_287.010
ganz ohne Theorie einfach und mit Notwendigkeit entspringt, vermag pba_287.011
auch allein das überflüssige und darum schädliche Episodenbeiwerk pba_287.012
des Rohstoffes auszuscheiden und die entstellenden Züge, die störenden pba_287.013
Elemente desselben hinwegzuläutern. Ein merkwürdiges Zeugnis, wie pba_287.014
unkritisch und des Wesentlichsten ahnungslos Meister Gottfried und sein pba_287.015
Publikum noch dem Stoff gegenüberstanden, ist die Unbefangenheit, mit pba_287.016
der er im achtzehnten Abschnitte den entsetzlichen Mordanschlag Jsoldens pba_287.017
gegen ihre getreue Brangäne berichtet, die ihr eben das höchste Opfer pba_287.018
gebracht hat, ein Mordanschlag, dem von seiten der Anstifterin nichts pba_287.019
zur That fehlt; und diese Unthat ist nicht allein in der Ökonomie der pba_287.020
Handlung ohne alle Bedeutung, sie kann ohne weiteres einfach gestrichen pba_287.021
werden, sondern, was viel schlimmer ist, sie bleibt auch sittlich und pba_287.022
psychologisch ohne alle Konsequenzen, sie vermag weder dem Dichter das pba_287.023
glänzende Bild seiner Heldin zu trüben, noch hat sie irgend einen Einfluß pba_287.024
auf ihr Schicksal, was selbst in dem primitivsten Märchen unerhört pba_287.025
sein würde. Die einzige Reflexion, zu der sich der Dichter bei pba_287.026
dieser Affaire im Vorübergehen herbeiläßt, ist die folgende (s. v. 12713 ff.):
pba_287.027
diu sorchafte Künigîn pba_287.028
diu tete an disen dingen schîn, pba_287.029
daz man laster unde spot pba_287.030
mêre fürhtet danne got.
pba_287.031
Umgekehrt liegt das Verhältnis in Wolframs „Parzival“: vor pba_287.032
Allem ist dem Dichter die Durchführung des Schicksalsverlaufs angelegen, 1
1 pba_287.033
der leschet âne lougen pba_287.034
hunderttusend smerzen pba_287.035
des lîbes unde des herzen. pba_287.036
ein kus in liebes munde, pba_287.037
der von des herzen grunde pba_287.038
her ûf geslichen kaeme, pba_287.039
ahî, waz der benaeme pba_287.040
seneder sorge und herzenôt!
pba_287.101
Mag doch zu löschen taugen pba_287.102
Hunderttausend Schmerzen pba_287.103
Des Leibes und der Herzen. pba_287.104
Ein Kuß von liebem Munde, pba_287.105
Der von des Herzens Grunde pba_287.106
Heraufgedrungen käme, pba_287.107
Ach, wie viel benähme pba_287.108
Der sehnlich Leid und Herzensnot!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |