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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Aber wenn er die Vollendung der Form nicht erreichte, so war pba_292.002
seine Aufgabe inhaltlich die höchste und schwierigste, welche gestellt werden pba_292.003
kann, für die epische Poesie anders als durch symbolische Darstellung pba_292.004
unlösbar. Der Übelstand lag also in erster Linie in der Wahl des pba_292.005
Stoffes und erst in zweiter in der Darstellungsweise des Dichters, Fehler pba_292.006
und Vorzüge lagen auf derselben Seite. Wie überraschend ist das Talent pba_292.007
frischer, gegenständlicher Erzählung und reicher Charakteristik -- weit pba_292.008
mannigfaltiger und lebensvoller als sie Hartmann je erreicht hat --, pba_292.009
das Wolfram in den Gawain betreffenden Partien seines Epos zu entfalten pba_292.010
weiß, dieser scheinbar lose eingefügten großen Episode, welche pba_292.011
dennoch gewissermaßen negativ zur Deutlichkeit der Haupthandlung sehr pba_292.012
wesentlich beiträgt, da sie den ganzen Umfang dessen vor Augen führt, pba_292.013
was an Reiz und Lohn, an Ruhm und Wichtigkeit so lockend und hoch pba_292.014
hervorragend auf Parzivals Wege war, und was alles er um seines höheren pba_292.015
Zieles willen unbeachtet hinter sich liegen ließ. Trotz der unleugbaren pba_292.016
und oft verstimmenden Unbeholfenheit, Dunkelheit und Härte von pba_292.017
Wolframs Darstellung jedoch ist ihm eins gelungen, und dieses eine pba_292.018
ist zuletzt das Wesentlichste: die an den entscheidenden Wendepunkten pba_292.019
der Handlung seinen Helden beherrschenden ethischen pba_292.020
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hat er trotz alledem so nachzuahmen verstanden, daß überall pba_292.021
eine deutliche Empfindung derselben in den Hörer übergeht. Daß es pba_292.022
diese wichtigste poetische Kraft und daß es die echte epische Einheit besitzt, pba_292.023
bewirkt den Reiz, den das Gedicht ausübt, und sichert ihm seinen pba_292.024
hohen Rang.

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Hoch über diesem weitaus hervorragendsten Epos der romantischen pba_292.026
Kunstdichtung aber stehen die deutschen Volksepen, das Nibelungenlied pba_292.027
und die Gudrun. Es kann hier nicht daran gedacht werden in den pba_292.028
großen Streit um die Nibelungenfrage nach seinem ganzen Umfange pba_292.029
einzutreten, wo auf der einen Seite die Autoritäten eines Lachmann pba_292.030
und Müllenhoff, auf der andern die der Gebrüder Grimm und Uhlands pba_292.031
stehen. Nur der Gesichtspunkt der epischen Einheit soll nach dem inhaltlichen pba_292.032
Material, wie der sogenannte gemeine Text es bietet, ins Auge pba_292.033
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Chriemhildens Rache, oder wie die Handschrift D. schreibt "daz pba_292.036
Buoch Chreimhilden
", welches aus einem weit umfassenden, noch pba_292.037
in lebendiger Überlieferung fortbestehenden Sagenkreise der ordnende pba_292.038
Dichter uns überliefert hat. Man wird mit Sicherheit anzunehmen pba_292.039
haben, daß diese Überlieferung eine poetische war, daß sie also in einer pba_292.040
großen Zahl von Liedern erfolgte, ebenso daß diese Lieder als im großen

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Wolframs Darstellung jedoch ist ihm eins gelungen, und dieses eine pba_292.018
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hat er trotz alledem so nachzuahmen verstanden, daß überall pba_292.021
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Kunstdichtung aber stehen die deutschen Volksepen, das Nibelungenlied pba_292.027
und die Gudrun. Es kann hier nicht daran gedacht werden in den pba_292.028
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Material, wie der sogenannte gemeine Text es bietet, ins Auge pba_292.033
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Es ist die Mär von der „Nibelungen Not“, das Lied von pba_292.035
Chriemhildens Rache, oder wie die Handschrift D. schreibt „daz pba_292.036
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/310>, abgerufen am 22.11.2024.