pba_401.001 keine besondere dramatische Technik; er verhält sich zu den Gesetzen der pba_401.002 dramatischen Dichtung ganz ebenso wie jeder andre dem Leben entnommene pba_401.003 oder fingierte Stoff: es wird einzelne Handlungen darunter pba_401.004 geben, welche leicht sich der tragischen Behandlung fügen, andere werden pba_401.005 der komischen Komposition sich darbieten; immerhin werden die Fälle pba_401.006 selten sein, die ohne tief eingreifende Veränderungen die eine oder die pba_401.007 andere zulassen. Weit zahlreicher werden diejenigen historischen Handlungen pba_401.008 sein, welche unter das Gesetz des Schauspiels fallen, weil dieses pba_401.009 seinem innersten Wesen nach, d. h. nach den Empfindungen, auf deren pba_401.010 Erregung und Klärung seine Technik abzielt, es gestattet, die Geltung pba_401.011 einer Jdee zum Gegenstande des ästhetischen Urteils zu machen, mit der pba_401.012 Gewißheit derselben das Gefühl zu erfüllen.
pba_401.013 Denn in dem großen Gange der historischen Ereignisse gibt es pba_401.014 unzählige Fälle, in denen bei der Wichtigkeit der einander entgegenstehenden pba_401.015 Jnteressen die Stimmen des Verstandes und des Gefühls einander pba_401.016 widerstreiten oder doch ungewiß in ihrer Entscheidung werden, pba_401.017 andere, in denen es scheint, als ob ihren offenbaren Forderungen Hohn pba_401.018 gesprochen würde, als ob die ewigen Gesetze, nach denen sie entscheiden, pba_401.019 zeitweilig aufgehoben wären. Hier ergreift der Dichter seinen Stoff, pba_401.020 und indem er die Ereignisse von dem Gesichtspunkte jener höheren pba_401.021 Einheit überblickt, wo sie der berechtigten Forderung jener mächtigen pba_401.022 Stimme des unbeirrten gläubigen Gefühls entsprechen, stellt er sie zugleich pba_401.023 in der inneren Vollständigkeit dar, welche einem solchen pba_401.024 Ausgange für die unmittelbare Sinneswahrnehmung die überzeugende pba_401.025 Gewißheit verleiht.
pba_401.026 Es kann hinzugefügt werden, nur durch solche künstlerische Behandlung, pba_401.027 indem also der Dichter seinen Stoff entweder nach den pba_401.028 Gesetzen der Tragödie oder der Komödie oder nach denen des pba_401.029 Schauspiels behandelt, sind historische Handlungen überhaupt der pba_401.030 dramatischen Nachahmung fähig. Jm anderen Falle sinken sie, und pba_401.031 wenn sie in allem Übrigen mit noch so vielem Glanz der Ausstattung pba_401.032 bekleidet werden, zu dem niedrigen Niveau bloßer Staatsaktionenpba_401.033 herab.
pba_401.034 Die ganze Reihe von Shakespeares "Historien" zeigt ihn auch pba_401.035 auf diesem Gebiete als den Meister, der mit allen Gesetzen der dramatischen pba_401.036 Kunst auf das Jnnigste vertraut ist. Ebenso hat Schillers Genius pba_401.037 mit sicherem Meistergriff für die dramatische Behandlung des stark der pba_401.038 epischen Bearbeitung sich zuneigenden Stoffes seines "Wilhelm Tell" pba_401.039 in Übereinstimmung mit dem oben entwickelten Gesetze die das Ganze pba_401.040 beherrschende Einheit erfaßt. Jn der Versammlung auf dem Rütli, die
pba_401.001 keine besondere dramatische Technik; er verhält sich zu den Gesetzen der pba_401.002 dramatischen Dichtung ganz ebenso wie jeder andre dem Leben entnommene pba_401.003 oder fingierte Stoff: es wird einzelne Handlungen darunter pba_401.004 geben, welche leicht sich der tragischen Behandlung fügen, andere werden pba_401.005 der komischen Komposition sich darbieten; immerhin werden die Fälle pba_401.006 selten sein, die ohne tief eingreifende Veränderungen die eine oder die pba_401.007 andere zulassen. Weit zahlreicher werden diejenigen historischen Handlungen pba_401.008 sein, welche unter das Gesetz des Schauspiels fallen, weil dieses pba_401.009 seinem innersten Wesen nach, d. h. nach den Empfindungen, auf deren pba_401.010 Erregung und Klärung seine Technik abzielt, es gestattet, die Geltung pba_401.011 einer Jdee zum Gegenstande des ästhetischen Urteils zu machen, mit der pba_401.012 Gewißheit derselben das Gefühl zu erfüllen.
pba_401.013 Denn in dem großen Gange der historischen Ereignisse gibt es pba_401.014 unzählige Fälle, in denen bei der Wichtigkeit der einander entgegenstehenden pba_401.015 Jnteressen die Stimmen des Verstandes und des Gefühls einander pba_401.016 widerstreiten oder doch ungewiß in ihrer Entscheidung werden, pba_401.017 andere, in denen es scheint, als ob ihren offenbaren Forderungen Hohn pba_401.018 gesprochen würde, als ob die ewigen Gesetze, nach denen sie entscheiden, pba_401.019 zeitweilig aufgehoben wären. Hier ergreift der Dichter seinen Stoff, pba_401.020 und indem er die Ereignisse von dem Gesichtspunkte jener höheren pba_401.021 Einheit überblickt, wo sie der berechtigten Forderung jener mächtigen pba_401.022 Stimme des unbeirrten gläubigen Gefühls entsprechen, stellt er sie zugleich pba_401.023 in der inneren Vollständigkeit dar, welche einem solchen pba_401.024 Ausgange für die unmittelbare Sinneswahrnehmung die überzeugende pba_401.025 Gewißheit verleiht.
pba_401.026 Es kann hinzugefügt werden, nur durch solche künstlerische Behandlung, pba_401.027 indem also der Dichter seinen Stoff entweder nach den pba_401.028 Gesetzen der Tragödie oder der Komödie oder nach denen des pba_401.029 Schauspiels behandelt, sind historische Handlungen überhaupt der pba_401.030 dramatischen Nachahmung fähig. Jm anderen Falle sinken sie, und pba_401.031 wenn sie in allem Übrigen mit noch so vielem Glanz der Ausstattung pba_401.032 bekleidet werden, zu dem niedrigen Niveau bloßer Staatsaktionenpba_401.033 herab.
pba_401.034 Die ganze Reihe von Shakespeares „Historien“ zeigt ihn auch pba_401.035 auf diesem Gebiete als den Meister, der mit allen Gesetzen der dramatischen pba_401.036 Kunst auf das Jnnigste vertraut ist. Ebenso hat Schillers Genius pba_401.037 mit sicherem Meistergriff für die dramatische Behandlung des stark der pba_401.038 epischen Bearbeitung sich zuneigenden Stoffes seines „Wilhelm Tell“ pba_401.039 in Übereinstimmung mit dem oben entwickelten Gesetze die das Ganze pba_401.040 beherrschende Einheit erfaßt. Jn der Versammlung auf dem Rütli, die
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/419>, abgerufen am 22.11.2024.
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