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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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ohne vieles Bedenken den für ihren Wohlthäter verhängnisvollsten Schritt pba_406.002
thun läßt, die leidenschaftliche Übereilung, die den vorurteilsfreien pba_406.003
Templer trotzdem durch denselben Jrrtum zu dem gleichen schlimmen pba_406.004
Fehler hinreißt, die Verkörperung der verderblichen Macht der hierarchischen pba_406.005
Verfolgungswut in dem Patriarchen, alle diese Verfehlungen in pba_406.006
die lebhafteste dramatische Handlung gesetzt: sie erwecken die ganze Skala pba_406.007
der Nemesisempfindungen an dem einen Problem der religiösen Duldung pba_406.008
zu immer neuer Kontrastierung mit der in immer reicherer Fülle sich pba_406.009
kund thuenden lebensvollen Erscheinung der wahren und guten, der pba_406.010
schönen Gesinnung in dieser Frage. Nimmt man noch Saladin und pba_406.011
Sittah, den Derwisch und den Klosterbruder hinzu, so treten auch auf pba_406.012
der positiven Seite noch die mannigfachen Nüancen ihrer Vermischung pba_406.013
mit allerlei leicht sich auch der richtigen Erkenntnis zugesellenden Schwächen pba_406.014
hervor. So gelang es Lessing -- und nichts ist geeignet, den Vorwurf pba_406.015
tendenziös polemischer Haltung, den man seiner reifsten und auch künstlerisch pba_406.016
vollendetsten Dichtung gemacht hat, kräftiger zu widerlegen --, pba_406.017
die schwerste Aufgabe zu lösen: dem hohen Ernste seines "Schauspieles" pba_406.018
die überlegene Heiterkeit eines über dem Streit der Parteien stehenden pba_406.019
Gemütes zu vermählen. Leise Züge des Komischen und des Humors, pba_406.020
stärkere der Satire sind allenthalben kunstreich in die Handlung verwoben; pba_406.021
sie verscheuchen die Tragik, lassen keine Spur lehrhafter Absichtlichkeit pba_406.022
aufkommen und wahren somit den Charakter der dramatischen pba_406.023
Gattung, deren Aufgabe es ist, die goldenen Früchte der Einsicht der pba_406.024
Empfindung zum freien ästhetischen Genusse darzubieten. Hierin begegnen pba_406.025
sich die bornierte Verschlagenheit Dajas und des Tempelherrn pba_406.026
geradeaus gehende leidenschaftliche Hitze, die schlichte Einfalt des Klosterbruders pba_406.027
und der brutale Fanatismus des Prälaten, der weltscheue Jndifferentismus pba_406.028
Al Hafis und Saladins stolz-nachlässige Verachtung der pba_406.029
ökonomischen Geschäfte, die ihn zwingt, bei dem Juden Nathan sich um pba_406.030
finanzielle Hülfe und gelegentlich auch um die Mitteilung seiner Weisheit pba_406.031
zu bemühen; die leichte Hinneigung der klugen Recha zu romantischer pba_406.032
Schwärmerei, die genrehaften Scenen zwischen Saladin und seiner pba_406.033
Schwester Sittah wirken nach derselben Richtung. Gleichwohl dienen pba_406.034
alle diese Züge, die leisen und die stärkeren und stärksten, an keiner pba_406.035
Stelle dazu, das Komische, Humoristische, Satirische um seiner selbst pba_406.036
willen darzustellen, sondern überall nur, um von der im Mittelpunkt pba_406.037
stehenden Jdee aus die Wechselwirkung der wohlgefälligen und mißbilligenden pba_406.038
Empfindungsurteile ins Spiel zu setzen bis zur vollständigen pba_406.039
Durchführung ihrer Katharsis. Dieselbe gelangt zu um so kräftigerer pba_406.040
Wirkung, als die Weisheit des Dichters in der Lösung der Verwickelung

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ohne vieles Bedenken den für ihren Wohlthäter verhängnisvollsten Schritt pba_406.002
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/424>, abgerufen am 22.11.2024.