Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_534.001 1 pba_534.037
S. De anim. I, 3. 406b 12. ost' ei pasa kinesis ekstasis esti tou pba_534.038 kinoumenou e kineitai, kai e psukhe existait' \an ek tes ousias, ei me kata sumbebekos pba_534.039 auten kinei. all' estin e kinesis tes ousias autes kath'auten. pba_534.001 1 pba_534.037
S. De anim. I, 3. 406b 12. ὥστ' εἰ πᾶσα κίνησις ἔκστασίς ἐστι τοῦ pba_534.038 κινουμένου ᾗ κινεῖται, καὶ ἡ ψυχὴ ἐξίσταιτ' \̓αν ἐκ τῆς οὐσίας, εἰ μὴ κατὰ συμβεβηκὸς pba_534.039 αὑτὴν κῖνει. ἀλλ' ἔστιν ἡ κίνησις τῆς οὐσίας αὐτῆς καθ'αὑτήν. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0552" n="534"/><lb n="pba_534.001"/> gemäßen in ein wider die Natur Gehendes (<foreign xml:lang="grc">ἔκστασίς τίς ἐστιν ἐν τῇ</foreign> <lb n="pba_534.002"/> <foreign xml:lang="grc">γενέσει τὸ παρὰ φύσιν τοῦ κατὰ φύσιν</foreign> <hi rendition="#aq">cf. De coel. II</hi>, 3 S. 286<hi rendition="#sup">a</hi> <lb n="pba_534.003"/> 19 wörtlich: „Das Widernatürliche ist gewissermaßen eine „Verrückung“, <lb n="pba_534.004"/> die bei dem Entstehungsvorgange des Natürlichen, des Naturgemäßen <lb n="pba_534.005"/> stattfindet“). Jn der Schrift „Von der Seele“ sagt er dann freilich gerade <lb n="pba_534.006"/> in Bezug auf diese, daß „eine jede Bewegung ‚eine Verrückung des <lb n="pba_534.007"/> Bewegten‘ sei, insofern es bewegt werde“ aber er fügt ausdrücklich <lb n="pba_534.008"/> hinzu, daß das nur der Fall sei, wenn die Bewegung <hi rendition="#g">nicht</hi> eine der <lb n="pba_534.009"/> Natur des bewegten Dinges nach ihm eigene, zukommende sei (<foreign xml:lang="grc">κατὰ</foreign> <lb n="pba_534.010"/> <foreign xml:lang="grc">συμβεβηκός</foreign>), um dann zu dem Schlusse zu gelangen, daß gerade die <lb n="pba_534.011"/> Bewegung der Seele eine solche sei, die ihr eigen, ihrem Wesen nach <lb n="pba_534.012"/> (<foreign xml:lang="grc">καθ' αὑτήν</foreign>) notwendig bei ihr stattfinde. Die naturgemäße Bewegung <lb n="pba_534.013"/> der Seele schließt also keineswegs den Vorgang der „Verrückung“ <lb n="pba_534.014"/> von ihrem Wesen ein.<note xml:id="pba_534_1" place="foot" n="1"><lb n="pba_534.037"/> S. De anim. I, 3. 406<hi rendition="#sup">b</hi> 12. <foreign xml:lang="grc">ὥστ' εἰ πᾶσα</foreign> <foreign xml:lang="grc">κίνησις ἔκστασίς ἐστι τοῦ</foreign> <lb n="pba_534.038"/> <foreign xml:lang="grc">κινουμένου ᾗ κινεῖται, καὶ ἡ ψυχὴ ἐξίσταιτ' \̓αν ἐκ τῆς</foreign> <foreign xml:lang="grc">οὐσίας, εἰ μὴ κατὰ συμβεβηκὸς</foreign> <lb n="pba_534.039"/> <foreign xml:lang="grc">αὑτὴν κῖνει</foreign>. <foreign xml:lang="grc">ἀλλ' ἔστιν ἡ κίνησις τῆς οὐσίας αὐτῆς</foreign> <foreign xml:lang="grc">καθ</foreign>'<foreign xml:lang="grc">αὑτήν</foreign>.</note> Die strikte Anwendung dieser Sätze auf die <lb n="pba_534.015"/> <hi rendition="#g">Empfindungs</hi>bewegungen der Seele ist von Aristoteles selbst gemacht <lb n="pba_534.016"/> und sie <hi rendition="#g">widerspricht</hi> dem Satze, der die gesamte Auffassung Bernays' <lb n="pba_534.017"/> von der Seelenlehre des Aristoteles beherrscht, <hi rendition="#g">diametral.</hi> Sie findet <lb n="pba_534.018"/> sich in der sehr scharfsinnigen und gründlichen Untersuchung, die dieser <lb n="pba_534.019"/> im Kapitel 3 des siebenten Buches der <hi rendition="#aq">phys. auscult</hi>. über die Frage <lb n="pba_534.020"/> anstellt, ob die Beschaffenheiten der Dinge Veränderungen (<foreign xml:lang="grc">ἀλλοιώσεις</foreign>) <lb n="pba_534.021"/> derselben seien. Er verneint dieselbe: die Beschaffenheiten treten zwar nicht <lb n="pba_534.022"/> ohne Veränderungsvorgänge ein, sie sind aber nicht selbst solche. Ebensowenig <lb n="pba_534.023"/> seien also die Zustände (<foreign xml:lang="grc">ἕξεις</foreign>) des Körpers oder der Seele <lb n="pba_534.024"/> „Veränderungen“ (<foreign xml:lang="grc">ἀλλοιώσεις</foreign>) derselben (S. 246<hi rendition="#sup">a</hi> 10 ff.); so also auch <lb n="pba_534.025"/> weder Vortrefflichkeit, <hi rendition="#g">Tugend,</hi> noch Fehlerhaftigkeit, <hi rendition="#g">Schlechtigkeit</hi> <lb n="pba_534.026"/> (<foreign xml:lang="grc">οὔτε ἡ ἀρετὴ οὔτε ἡ κακία</foreign>), sondern die erste sei die <hi rendition="#g">Vollendung</hi> <lb n="pba_534.027"/> eines Dinges (<foreign xml:lang="grc">τελείωσις</foreign>), d. h. also die vollständige Entwickelung desselben <lb n="pba_534.028"/> bis zu ihrem Ende, die andere die <hi rendition="#g">Störung</hi> und „<hi rendition="#g">Verrückung</hi>“ <lb n="pba_534.029"/> desselben (<foreign xml:lang="grc">φθορὰ τούτου καὶ <hi rendition="#g">ἔκστασις</hi></foreign>). Zu der Vollendung ist <lb n="pba_534.030"/> also einerseits die Freiheit von störendem Pathos erforderlich, <hi rendition="#g">andererseits <lb n="pba_534.031"/> aber ebenso das richtige Pathos unentbehrlich</hi> (246<hi rendition="#sup">b</hi> 19: <lb n="pba_534.032"/> <foreign xml:lang="grc">ἡ μὲν γὰρ ἀρετὴ ποιεῖ \̓η ἀπαθὲς \̓η <hi rendition="#g">ὠς δεῖ</hi></foreign> <foreign xml:lang="grc"><hi rendition="#g">παθητικόν</hi></foreign>); umgekehrt <lb n="pba_534.033"/> ist die Fehlerhaftigkeit dem störenden Pathos unterworfen und in <lb n="pba_534.034"/> der entgegengesetzten Weise dem <hi rendition="#g">richtigen Pathos verschlossen</hi> (<foreign xml:lang="grc">ἡ</foreign> <lb n="pba_534.035"/> <foreign xml:lang="grc">δὲ κακία παθητικὸν \̓η <hi rendition="#g">ἐναντίως ἀπαθές</hi></foreign>). Hier ist der Ausdruck <lb n="pba_534.036"/> „Pathos“ noch im weitesten Sinne genommen; aber die Anwen- </p> </div> </body> </text> </TEI> [534/0552]
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gemäßen in ein wider die Natur Gehendes (ἔκστασίς τίς ἐστιν ἐν τῇ pba_534.002
γενέσει τὸ παρὰ φύσιν τοῦ κατὰ φύσιν cf. De coel. II, 3 S. 286a pba_534.003
19 wörtlich: „Das Widernatürliche ist gewissermaßen eine „Verrückung“, pba_534.004
die bei dem Entstehungsvorgange des Natürlichen, des Naturgemäßen pba_534.005
stattfindet“). Jn der Schrift „Von der Seele“ sagt er dann freilich gerade pba_534.006
in Bezug auf diese, daß „eine jede Bewegung ‚eine Verrückung des pba_534.007
Bewegten‘ sei, insofern es bewegt werde“ aber er fügt ausdrücklich pba_534.008
hinzu, daß das nur der Fall sei, wenn die Bewegung nicht eine der pba_534.009
Natur des bewegten Dinges nach ihm eigene, zukommende sei (κατὰ pba_534.010
συμβεβηκός), um dann zu dem Schlusse zu gelangen, daß gerade die pba_534.011
Bewegung der Seele eine solche sei, die ihr eigen, ihrem Wesen nach pba_534.012
(καθ' αὑτήν) notwendig bei ihr stattfinde. Die naturgemäße Bewegung pba_534.013
der Seele schließt also keineswegs den Vorgang der „Verrückung“ pba_534.014
von ihrem Wesen ein. 1 Die strikte Anwendung dieser Sätze auf die pba_534.015
Empfindungsbewegungen der Seele ist von Aristoteles selbst gemacht pba_534.016
und sie widerspricht dem Satze, der die gesamte Auffassung Bernays' pba_534.017
von der Seelenlehre des Aristoteles beherrscht, diametral. Sie findet pba_534.018
sich in der sehr scharfsinnigen und gründlichen Untersuchung, die dieser pba_534.019
im Kapitel 3 des siebenten Buches der phys. auscult. über die Frage pba_534.020
anstellt, ob die Beschaffenheiten der Dinge Veränderungen (ἀλλοιώσεις) pba_534.021
derselben seien. Er verneint dieselbe: die Beschaffenheiten treten zwar nicht pba_534.022
ohne Veränderungsvorgänge ein, sie sind aber nicht selbst solche. Ebensowenig pba_534.023
seien also die Zustände (ἕξεις) des Körpers oder der Seele pba_534.024
„Veränderungen“ (ἀλλοιώσεις) derselben (S. 246a 10 ff.); so also auch pba_534.025
weder Vortrefflichkeit, Tugend, noch Fehlerhaftigkeit, Schlechtigkeit pba_534.026
(οὔτε ἡ ἀρετὴ οὔτε ἡ κακία), sondern die erste sei die Vollendung pba_534.027
eines Dinges (τελείωσις), d. h. also die vollständige Entwickelung desselben pba_534.028
bis zu ihrem Ende, die andere die Störung und „Verrückung“ pba_534.029
desselben (φθορὰ τούτου καὶ ἔκστασις). Zu der Vollendung ist pba_534.030
also einerseits die Freiheit von störendem Pathos erforderlich, andererseits pba_534.031
aber ebenso das richtige Pathos unentbehrlich (246b 19: pba_534.032
ἡ μὲν γὰρ ἀρετὴ ποιεῖ \̓η ἀπαθὲς \̓η ὠς δεῖ παθητικόν); umgekehrt pba_534.033
ist die Fehlerhaftigkeit dem störenden Pathos unterworfen und in pba_534.034
der entgegengesetzten Weise dem richtigen Pathos verschlossen (ἡ pba_534.035
δὲ κακία παθητικὸν \̓η ἐναντίως ἀπαθές). Hier ist der Ausdruck pba_534.036
„Pathos“ noch im weitesten Sinne genommen; aber die Anwen-
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S. De anim. I, 3. 406b 12. ὥστ' εἰ πᾶσα κίνησις ἔκστασίς ἐστι τοῦ pba_534.038
κινουμένου ᾗ κινεῖται, καὶ ἡ ψυχὴ ἐξίσταιτ' \̓αν ἐκ τῆς οὐσίας, εἰ μὴ κατὰ συμβεβηκὸς pba_534.039
αὑτὴν κῖνει. ἀλλ' ἔστιν ἡ κίνησις τῆς οὐσίας αὐτῆς καθ'αὑτήν.
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