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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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dung auf das "Pathos" im engeren Sinne als Empfindungsbewegung pba_535.002
wird sogleich gemacht. "Ganz ebenso nämlich sei es mit den pba_535.003
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Verhalten zu den Dingen, die Tugenden also sind die Vollendungen pba_535.005
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ein richtiges Verhalten zu den ihr zugehörigen Pathe ein, die Fehlerhaftigkeit pba_535.007
ein falsches: auch sie können daher "Veränderungen" nicht genannt pba_535.008
werden."1 Diese einleuchtenden Ausführungen setzen es ganz pba_535.009
außer Zweifel, wie Aristoteles zu verstehen ist, wenn er in der Ethik pba_535.010
wiederholt dem Manne, der sich selbst beherrscht, fest auf dem Vernunftschluß pba_535.011
beharrt (egkrates, emmenetikos to logismo) den Unmäßigen, pba_535.012
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Vielleicht sind es solche Wendungen gewesen, die Bernays zu der Auffassung pba_535.017
verleitet haben, nach Aristoteles seien "alle Arten des Pathos pba_535.018
wesentlich ekstatisch", während doch kaum etwas Anderes einen so pba_535.019
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seiner gesamten Philosophie bildet als die pba_535.020
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daß zu der "Vollendung" der Seele, auf der sowohl Tugend pba_535.021
als Freude und zu einem bedeutenden Anteil auch das Glück beruhen, pba_535.022
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die Seele ekstatisch "außer sich zu setzen",2 wie Bernays will, vielmehr pba_535.025
richtig bestimmt, d. h. von aller "Abirrung" und allem "krankhaften pba_535.026
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" geheilt -- das geläuterte Pathos -- die naturgemäße pba_535.027
Entfaltung ihres innersten Wesens ist. Sähe Aristoteles die Furcht- pba_535.028
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die Seele zu diesen Empfindungen in das richtige Verhältnis zu setzen pba_535.031
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reinigen. Das geschieht, indem die von außen sie bestimmenden Veränderungsvorgänge pba_535.034
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247a 1 ff: omoios de kai epi ton tes psukhes exeon. apasai gar kai autai pba_535.037
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2 pba_535.040
Das wäre recht eigentlich das alloiousthai, das Aristoteles bestreitet.

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dung auf das „Pathos“ im engeren Sinne als Empfindungsbewegung pba_535.002
wird sogleich gemacht. „Ganz ebenso nämlich sei es mit den pba_535.003
Seelenzuständen. Auch diese entstehen sämtlich durch ein bestimmtes pba_535.004
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Zügellosen oder Charakterschwachen (ἀκόλαστος, ἀκρατής) gegenüberstellt, pba_535.013
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διά γε τὸ πάθος), also den „durch das Pathos Ekstatischen“. pba_535.016
Vielleicht sind es solche Wendungen gewesen, die Bernays zu der Auffassung pba_535.017
verleitet haben, nach Aristoteles seien „alle Arten des Pathos pba_535.018
wesentlich ekstatisch“, während doch kaum etwas Anderes einen so pba_535.019
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Übermaß
“ geheilt — das geläuterte Pathos — die naturgemäße pba_535.027
Entfaltung ihres innersten Wesens ist. Sähe Aristoteles die Furcht- pba_535.028
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247a 1 ff: ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν τῆς ψυχῆς ἕξεων. ἅπασαι γὰρ καὶ αὗται pba_535.037
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[535/0553] pba_535.001 dung auf das „Pathos“ im engeren Sinne als Empfindungsbewegung pba_535.002 wird sogleich gemacht. „Ganz ebenso nämlich sei es mit den pba_535.003 Seelenzuständen. Auch diese entstehen sämtlich durch ein bestimmtes pba_535.004 Verhalten zu den Dingen, die Tugenden also sind die Vollendungen pba_535.005 desselben, die Fehler die „Verrückungen“ davon; die Tugend schließt pba_535.006 ein richtiges Verhalten zu den ihr zugehörigen Pathe ein, die Fehlerhaftigkeit pba_535.007 ein falsches: auch sie können daher „Veränderungen“ nicht genannt pba_535.008 werden.“ 1 Diese einleuchtenden Ausführungen setzen es ganz pba_535.009 außer Zweifel, wie Aristoteles zu verstehen ist, wenn er in der Ethik pba_535.010 wiederholt dem Manne, der sich selbst beherrscht, fest auf dem Vernunftschluß pba_535.011 beharrt (ἐγκρατής, ἐμμενετικὸς τῷ λογισμῷ) den Unmäßigen, pba_535.012 Zügellosen oder Charakterschwachen (ἀκόλαστος, ἀκρατής) gegenüberstellt, pba_535.013 der „durch das Pathos sich von der Vernunft, von seiner Meinung pba_535.014 wegrücken läßt“ (ἐκστατικὸς τοῦ λογισμοῦ, πάσης δόξης pba_535.015 διά γε τὸ πάθος), also den „durch das Pathos Ekstatischen“. pba_535.016 Vielleicht sind es solche Wendungen gewesen, die Bernays zu der Auffassung pba_535.017 verleitet haben, nach Aristoteles seien „alle Arten des Pathos pba_535.018 wesentlich ekstatisch“, während doch kaum etwas Anderes einen so pba_535.019 wesentlichen Grundzug seiner gesamten Philosophie bildet als die pba_535.020 Lehre, daß zu der „Vollendung“ der Seele, auf der sowohl Tugend pba_535.021 als Freude und zu einem bedeutenden Anteil auch das Glück beruhen, pba_535.022 die wohlgeordnete Bethätigung der Empfindungsbewegungen pba_535.023 einer der wichtigsten Faktoren ist: daß also das Pathos, weit entfernt pba_535.024 die Seele ekstatisch „außer sich zu setzen“, 2 wie Bernays will, vielmehr pba_535.025 richtig bestimmt, d. h. von aller „Abirrung“ und allem „krankhaften pba_535.026 Übermaß“ geheilt — das geläuterte Pathos — die naturgemäße pba_535.027 Entfaltung ihres innersten Wesens ist. Sähe Aristoteles die Furcht- pba_535.028 und Mitleidempfindung an sich selbst als „ekstatisch“ an, so hätte die pba_535.029 Entladungstheorie einen Sinn: da es ihm aber gerade darauf ankommt pba_535.030 die Seele zu diesen Empfindungen in das richtige Verhältnis zu setzen pba_535.031 (εὖ διατιθέναι), so kann das Mittel dazu nur sein, dieselben von den pba_535.032 Beimischungen, die die Gefahr der „Ekstasis“ nahelegen, zu befreien, zu pba_535.033 reinigen. Das geschieht, indem die von außen sie bestimmenden Veränderungsvorgänge pba_535.034 (ἀλλοιώσεις) dementsprechend in der Nachahmung pba_535.035 der Handlung eingerichtet werden, d. h. indem die Katharsis im 1 pba_535.036 247a 1 ff: ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν τῆς ψυχῆς ἕξεων. ἅπασαι γὰρ καὶ αὗται pba_535.037 τῷ πρός τι πῶς ἔχειν, καὶ αἱ μὲν ἀρεταὶ τελειώσεις, αἱ δὲ κακίαι ἐκστάσεις. pba_535.038 ἔτι ἡ μὲν ἀρετὴ εὖ διατίθησι πρὸς τὰ οἰκεῖα πάθη, ἡ δὲ κακία κακῶς. ὥστ' pba_535.039 οὐδ' αὗται ἔσονται ἀλλοιώσεις. 2 pba_535.040 Das wäre recht eigentlich das ἀλλοιοῦσθαι, das Aristoteles bestreitet.

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URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/553
Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/553>, abgerufen am 31.10.2024.