Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_535.001 1 pba_535.036 247a 1 ff: omoios de kai epi ton tes psukhes exeon. apasai gar kai autai pba_535.037 to pros ti pos ekhein, kai ai men aretai teleioseis, ai de kakiai ekstaseis. pba_535.038 eti e men arete eu diatithesi pros ta oikeia pathe, e de kakia kakos. ost' pba_535.039 oud' autai esontai alloioseis. 2 pba_535.040
Das wäre recht eigentlich das alloiousthai, das Aristoteles bestreitet. pba_535.001 1 pba_535.036 247a 1 ff: ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν τῆς ψυχῆς ἕξεων. ἅπασαι γὰρ καὶ αὗται pba_535.037 τῷ πρός τι πῶς ἔχειν, καὶ αἱ μὲν ἀρεταὶ τελειώσεις, αἱ δὲ κακίαι ἐκστάσεις. pba_535.038 ἔτι ἡ μὲν ἀρετὴ εὖ διατίθησι πρὸς τὰ οἰκεῖα πάθη, ἡ δὲ κακία κακῶς. ὥστ' pba_535.039 οὐδ' αὗται ἔσονται ἀλλοιώσεις. 2 pba_535.040
Das wäre recht eigentlich das ἀλλοιοῦσθαι, das Aristoteles bestreitet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0553" n="535"/><lb n="pba_535.001"/> dung auf das „<hi rendition="#g">Pathos</hi>“ im engeren Sinne als <hi rendition="#g">Empfindungsbewegung</hi> <lb n="pba_535.002"/> wird sogleich gemacht. „Ganz ebenso nämlich sei es mit den <lb n="pba_535.003"/> Seelenzuständen. Auch diese entstehen sämtlich durch ein bestimmtes <lb n="pba_535.004"/> Verhalten zu den Dingen, die Tugenden also sind die Vollendungen <lb n="pba_535.005"/> desselben, die Fehler die „<hi rendition="#g">Verrückungen</hi>“ davon; die Tugend schließt <lb n="pba_535.006"/> ein richtiges Verhalten zu den ihr zugehörigen Pathe ein, die Fehlerhaftigkeit <lb n="pba_535.007"/> ein falsches: auch sie können daher „Veränderungen“ nicht genannt <lb n="pba_535.008"/> werden.“<note xml:id="pba_535_1" place="foot" n="1"><lb n="pba_535.036"/> 247<hi rendition="#sup">a</hi> 1 ff: <foreign xml:lang="grc">ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν τῆς</foreign> <foreign xml:lang="grc">ψυχῆς ἕξεων</foreign>. <foreign xml:lang="grc">ἅπασαι γὰρ καὶ αὗται</foreign> <lb n="pba_535.037"/> <foreign xml:lang="grc">τῷ πρός τι πῶς ἔχειν, καὶ αἱ μὲν ἀρεταὶ τελειώσεις, αἱ</foreign> <foreign xml:lang="grc"><hi rendition="#g">δὲ</hi> κακίαι <hi rendition="#g">ἐκστάσεις</hi></foreign>. <lb n="pba_535.038"/> <foreign xml:lang="grc">ἔτι ἡ μὲν ἀρετὴ <hi rendition="#g">εὖ διατίθησι</hi> πρὸς τὰ οἰκεῖα πάθη</foreign>, <foreign xml:lang="grc">ἡ δὲ κακία <hi rendition="#g">κακῶς</hi></foreign>. <foreign xml:lang="grc">ὥστ</foreign>' <lb n="pba_535.039"/> <foreign xml:lang="grc">οὐδ' αὗται ἔσονται ἀλλοιώσεις</foreign>.</note> Diese einleuchtenden Ausführungen setzen es ganz <lb n="pba_535.009"/> außer Zweifel, wie Aristoteles zu verstehen ist, wenn er in der Ethik <lb n="pba_535.010"/> wiederholt dem Manne, der sich selbst beherrscht, fest auf dem Vernunftschluß <lb n="pba_535.011"/> beharrt (<foreign xml:lang="grc">ἐγκρατής, ἐμμενετικὸς τῷ λογισμῷ</foreign>) den Unmäßigen, <lb n="pba_535.012"/> Zügellosen oder Charakterschwachen (<foreign xml:lang="grc">ἀκόλαστος, ἀκρατής</foreign>) gegenüberstellt, <lb n="pba_535.013"/> der „<hi rendition="#g">durch das Pathos</hi> sich von der Vernunft, von seiner Meinung <lb n="pba_535.014"/> <hi rendition="#g">wegrücken</hi> läßt“ (<foreign xml:lang="grc"><hi rendition="#g">ἐκστατικὸς</hi> τοῦ λογισμοῦ, πάσης δόξης</foreign> <lb n="pba_535.015"/> <foreign xml:lang="grc"><hi rendition="#g">διά γε τὸ πάθος</hi></foreign>), also den „<hi rendition="#g">durch das Pathos Ekstatischen</hi>“. <lb n="pba_535.016"/> Vielleicht sind es solche Wendungen gewesen, die Bernays zu der Auffassung <lb n="pba_535.017"/> verleitet haben, nach Aristoteles seien „<hi rendition="#g">alle Arten</hi> des Pathos <lb n="pba_535.018"/> <hi rendition="#g">wesentlich ekstatisch</hi>“, während doch kaum etwas Anderes <hi rendition="#g">einen so <lb n="pba_535.019"/> wesentlichen Grundzug</hi> seiner gesamten Philosophie bildet <hi rendition="#g">als die <lb n="pba_535.020"/> Lehre,</hi> daß zu der „<hi rendition="#g">Vollendung</hi>“ der Seele, auf der sowohl <hi rendition="#g">Tugend</hi> <lb n="pba_535.021"/> als <hi rendition="#g">Freude</hi> und zu einem bedeutenden Anteil auch das <hi rendition="#g">Glück</hi> beruhen, <lb n="pba_535.022"/> die <hi rendition="#g">wohlgeordnete Bethätigung der Empfindungsbewegungen</hi> <lb n="pba_535.023"/> einer der wichtigsten Faktoren ist: daß also das Pathos, weit entfernt <lb n="pba_535.024"/> die Seele ekstatisch „<hi rendition="#g">außer sich</hi> zu <hi rendition="#g">setzen</hi>“,<note xml:id="pba_535_2" place="foot" n="2"><lb n="pba_535.040"/> Das wäre recht eigentlich das <foreign xml:lang="grc">ἀλλοιοῦσθαι</foreign>, das Aristoteles bestreitet.</note> wie Bernays will, vielmehr <lb n="pba_535.025"/> richtig bestimmt, d. h. von aller „<hi rendition="#g">Abirrung</hi>“ und allem „<hi rendition="#g">krankhaften <lb n="pba_535.026"/> Übermaß</hi>“ geheilt — das <hi rendition="#g">geläuterte</hi> Pathos — die naturgemäße <lb n="pba_535.027"/> Entfaltung ihres innersten Wesens ist. Sähe Aristoteles die Furcht- <lb n="pba_535.028"/> und Mitleidempfindung an sich selbst als „ekstatisch“ an, so hätte die <lb n="pba_535.029"/> Entladungstheorie einen Sinn: da es ihm aber gerade darauf ankommt <lb n="pba_535.030"/> die Seele zu diesen Empfindungen in das richtige Verhältnis zu setzen <lb n="pba_535.031"/> (<foreign xml:lang="grc">εὖ διατιθέναι</foreign>), so kann das Mittel dazu nur sein, dieselben von den <lb n="pba_535.032"/> Beimischungen, die die Gefahr der „Ekstasis“ nahelegen, zu befreien, zu <lb n="pba_535.033"/> reinigen. Das geschieht, indem die von außen sie bestimmenden Veränderungsvorgänge <lb n="pba_535.034"/> (<foreign xml:lang="grc">ἀλλοιώσεις</foreign>) dementsprechend in der Nachahmung <lb n="pba_535.035"/> der Handlung eingerichtet werden, d. h. indem die <hi rendition="#g">Katharsis im </hi></p> </div> </body> </text> </TEI> [535/0553]
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dung auf das „Pathos“ im engeren Sinne als Empfindungsbewegung pba_535.002
wird sogleich gemacht. „Ganz ebenso nämlich sei es mit den pba_535.003
Seelenzuständen. Auch diese entstehen sämtlich durch ein bestimmtes pba_535.004
Verhalten zu den Dingen, die Tugenden also sind die Vollendungen pba_535.005
desselben, die Fehler die „Verrückungen“ davon; die Tugend schließt pba_535.006
ein richtiges Verhalten zu den ihr zugehörigen Pathe ein, die Fehlerhaftigkeit pba_535.007
ein falsches: auch sie können daher „Veränderungen“ nicht genannt pba_535.008
werden.“ 1 Diese einleuchtenden Ausführungen setzen es ganz pba_535.009
außer Zweifel, wie Aristoteles zu verstehen ist, wenn er in der Ethik pba_535.010
wiederholt dem Manne, der sich selbst beherrscht, fest auf dem Vernunftschluß pba_535.011
beharrt (ἐγκρατής, ἐμμενετικὸς τῷ λογισμῷ) den Unmäßigen, pba_535.012
Zügellosen oder Charakterschwachen (ἀκόλαστος, ἀκρατής) gegenüberstellt, pba_535.013
der „durch das Pathos sich von der Vernunft, von seiner Meinung pba_535.014
wegrücken läßt“ (ἐκστατικὸς τοῦ λογισμοῦ, πάσης δόξης pba_535.015
διά γε τὸ πάθος), also den „durch das Pathos Ekstatischen“. pba_535.016
Vielleicht sind es solche Wendungen gewesen, die Bernays zu der Auffassung pba_535.017
verleitet haben, nach Aristoteles seien „alle Arten des Pathos pba_535.018
wesentlich ekstatisch“, während doch kaum etwas Anderes einen so pba_535.019
wesentlichen Grundzug seiner gesamten Philosophie bildet als die pba_535.020
Lehre, daß zu der „Vollendung“ der Seele, auf der sowohl Tugend pba_535.021
als Freude und zu einem bedeutenden Anteil auch das Glück beruhen, pba_535.022
die wohlgeordnete Bethätigung der Empfindungsbewegungen pba_535.023
einer der wichtigsten Faktoren ist: daß also das Pathos, weit entfernt pba_535.024
die Seele ekstatisch „außer sich zu setzen“, 2 wie Bernays will, vielmehr pba_535.025
richtig bestimmt, d. h. von aller „Abirrung“ und allem „krankhaften pba_535.026
Übermaß“ geheilt — das geläuterte Pathos — die naturgemäße pba_535.027
Entfaltung ihres innersten Wesens ist. Sähe Aristoteles die Furcht- pba_535.028
und Mitleidempfindung an sich selbst als „ekstatisch“ an, so hätte die pba_535.029
Entladungstheorie einen Sinn: da es ihm aber gerade darauf ankommt pba_535.030
die Seele zu diesen Empfindungen in das richtige Verhältnis zu setzen pba_535.031
(εὖ διατιθέναι), so kann das Mittel dazu nur sein, dieselben von den pba_535.032
Beimischungen, die die Gefahr der „Ekstasis“ nahelegen, zu befreien, zu pba_535.033
reinigen. Das geschieht, indem die von außen sie bestimmenden Veränderungsvorgänge pba_535.034
(ἀλλοιώσεις) dementsprechend in der Nachahmung pba_535.035
der Handlung eingerichtet werden, d. h. indem die Katharsis im
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247a 1 ff: ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν τῆς ψυχῆς ἕξεων. ἅπασαι γὰρ καὶ αὗται pba_535.037
τῷ πρός τι πῶς ἔχειν, καὶ αἱ μὲν ἀρεταὶ τελειώσεις, αἱ δὲ κακίαι ἐκστάσεις. pba_535.038
ἔτι ἡ μὲν ἀρετὴ εὖ διατίθησι πρὸς τὰ οἰκεῖα πάθη, ἡ δὲ κακία κακῶς. ὥστ' pba_535.039
οὐδ' αὗται ἔσονται ἀλλοιώσεις.
2 pba_535.040
Das wäre recht eigentlich das ἀλλοιοῦσθαι, das Aristoteles bestreitet.
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