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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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der die Furcht ganz im Mitleid verschwinden ließ, handgreiflicher als pba_557.002
hier. Eine einigermaßen deutliche Vorstellung von der Natur dieses pba_557.003
Affektes hätte Schiller mit Notwendigkeit aus dem Gewebe, in das er pba_557.004
sich mehr und mehr verstrickt, befreien müssen. Sie hätte ihm den pba_557.005
primitiven Charakter der tragischen Affekte entdecken müssen, statt daß pba_557.006
er sie als mitgeteilte behandelt; zugleich damit hätten sie sich ihm pba_557.007
als spontane, reine Empfindungen darstellen müssen, in Entstehung pba_557.008
und Verlauf ganz unabhängig von moralischer Erkenntnis, vielmehr pba_557.009
geeignet diese erst anzuregen, auf sie hinzuführen!
Jst doch pba_557.010
die Furcht einer der mächtigsten Faktoren des religiösen Empfindens! pba_557.011
Aber gleichviel, ob mit der Heiligkeit des religiösen Gebotes pba_557.012
umkleidet und durch sie gefordert, oder durch die künstlerische Nachahmung pba_557.013
des Schicksalslaufes unmittelbar erzeugt: immer ist diese pba_557.014
"Furcht" die Vorläuferin und Vorbedingung der Philosophie, "der pba_557.015
Weisheit Anfang", niemals das erst durch moralische Kultur ermöglichte pba_557.016
Ergebnis. Schiller, da er in seiner Rechnung unbewußt auf die pba_557.017
Unentbehrlichkeit dieses Koefficienten stößt, ersetzt ihn durch die Forderung pba_557.018
einer teleologischen Erkenntnis des Weltenplans!

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Die merkwürdige Stelle muß hier im vollen Wortlaut wiedergegeben pba_557.020
werden: "Wie viel auch schon dadurch gewonnen wird, daß pba_557.021
unser Unwille über jene Zweckwidrigkeit kein moralisches Wesen betrifft, pba_557.022
sondern an den unschädlichsten Ort, auf die Notwendigkeit abgeleitet pba_557.023
wird, so ist eine blinde Unterwürfigkeit unter das Schicksal immer pba_557.024
demütigend und kränkend für freie, sich selbst bestimmende Wesen. Dies pba_557.025
ist es, was uns auch in den vortrefflichsten Stücken der griechischen pba_557.026
Bühne etwas zu wünschen übrig läßt, weil in allen pba_557.027
diesen Stücken zuletzt an die Notwendigkeit appelliert wird
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und für unsere Vernunft fordernde Vernunft immer ein unaufgelöster pba_557.029
Knoten zurückbleibt. Aber auf der höchsten und letzten Stufe, pba_557.030
welche der moralisch gebildete Mensch erklimmt, und zu welcher die pba_557.031
rührende Kunst sich erheben kann, löst sich auch dieser, und jeder Schatten pba_557.032
von Unlust verschwindet mit ihm. Dies geschieht, wenn selbst die Unzufriedenheit pba_557.033
mit dem Schicksal hinwegfällt -- (wie nahe kommt Schiller pba_557.034
hier der Forderung des gereinigten, berechtigten Affektes! der aber nichtsdestoweniger pba_557.035
doch Affekt bleibt: lebendige, mit Wärme die Seele durchströmende pba_557.036
Thätigkeit des Empfindens! Elementarkraft, aber zur pba_557.037
Wirkung an rechter Stelle in das rechte Bett gelenkt!) -- und sich in pba_557.038
die Ahnung oder lieber in deutliches Bewußtsein einer teleologischen pba_557.039
Verknüpfung der Dinge,
einer erhabenen Ordnung, pba_557.040
eines gütigen Willens
verliert -- (der Jrrtum verschleiert sich für

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der die Furcht ganz im Mitleid verschwinden ließ, handgreiflicher als pba_557.002
hier. Eine einigermaßen deutliche Vorstellung von der Natur dieses pba_557.003
Affektes hätte Schiller mit Notwendigkeit aus dem Gewebe, in das er pba_557.004
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Aber gleichviel, ob mit der Heiligkeit des religiösen Gebotes pba_557.012
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Weisheit Anfang“, niemals das erst durch moralische Kultur ermöglichte pba_557.016
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Unentbehrlichkeit dieses Koefficienten stößt, ersetzt ihn durch die Forderung pba_557.018
einer teleologischen Erkenntnis des Weltenplans!

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Die merkwürdige Stelle muß hier im vollen Wortlaut wiedergegeben pba_557.020
werden: „Wie viel auch schon dadurch gewonnen wird, daß pba_557.021
unser Unwille über jene Zweckwidrigkeit kein moralisches Wesen betrifft, pba_557.022
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Bühne etwas zu wünschen übrig läßt, weil in allen pba_557.027
diesen Stücken zuletzt an die Notwendigkeit appelliert wird
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und für unsere Vernunft fordernde Vernunft immer ein unaufgelöster pba_557.029
Knoten zurückbleibt. Aber auf der höchsten und letzten Stufe, pba_557.030
welche der moralisch gebildete Mensch erklimmt, und zu welcher die pba_557.031
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/575>, abgerufen am 22.11.2024.