pba_600.001 Vorgeschichte seines Stücks unausgesetzt über dem Ganzen schwebend zu pba_600.002 zeigen und doch nun nicht etwa von dorther mechanisch das Verderbliche pba_600.003 hereinbrechen zu lassen, sondern dessen ursächliche Begründung mit pba_600.004 sorgfältigstem Bedacht aus der Hamartie der Handelnden herzuleiten. pba_600.005 Jäher Zorn, leidenschaftlich rascher Sinn (der thumos oxus) und die pba_600.006 so gern sich ihnen als Begleiterin zugesellt, die Heimlichkeit, das sind pba_600.007 die verhängnisvollen Wirkungen des Fluchs, Wirkungen, die in dem pba_600.008 freien Willen der Handelnden ihr Korrektiv finden könnten und die pba_600.009 ohne dasselbe als Jrrtümer und Fehler der Handelnden sich darstellen. pba_600.010 Sie entziehen ihnen nichts von der Achtung, auf der unser tiefes pba_600.011 Mitleid mit ihnen beruht, wir sehen sie unverschuldet leiden, aber pba_600.012 ihr Leiden erfüllt uns nicht mehr mit dem grauenvollen Entsetzen vor pba_600.013 grausamer Willkür eines unbegreiflichen Fatums, sondern wir erkennen pba_600.014 seinen Zusammenhang und fürchten das Schicksal, dessen hohe Gesetzlichkeit pba_600.015 wir verehren.
pba_600.016 Jn dem frevelhaft geschlossenen Ehebund Jsabellas fehlte das Vertrauen; pba_600.017 dem aus Gewissensangst entsprungenen grausamen Befehl des pba_600.018 Gatten die neugeborene Tochter zu töten, setzt sie Täuschung und eine pba_600.019 für das ganze Leben dauernde Verstellung entgegen, die ihr mehr und pba_600.020 mehr den Gemahl entfremden:
pba_600.021
Der von des Argwohns ruheloser Peinpba_600.022 Und finster grübelndem Verdacht genagtpba_600.023 Auf allen Schritten ihr die Späher pflanzte.
pba_600.024 Dieser Sinn ist auf den erstgeborenen Sohn übergegangen, der, pba_600.025 wie der Vater, "von jeher es liebte, sich verborgen in sich selbst zu pba_600.026 spinnen und den Ratschluß zu bewahren im unzugangbar fest verschlossenen pba_600.027 Gemüte!" Vor allem aber ist "aus diesem verhängnisvollen pba_600.028 Samen der unsel'ge Bruderhaß emporgewachsen", der den Boden bildet, pba_600.029 auf dem allein die Handlung sich so ereignen kann.
pba_600.030 Diesen Verhältnissen entstammen die Äußerungen banger Furcht, pba_600.031 mit denen der Chor gleich bei seinem ersten Auftreten sein Lied beschließt:
pba_600.032
Ungleich verteilt sind des Lebens Güterpba_600.033 Unter der Menschen flücht'gem Geschlecht;pba_600.034 Aber die Natur, sie ist ewig gerecht.pba_600.035 Uns verlieh sie das Mark und die Fülle,pba_600.036 Die sich immer erneuend erschafft;pba_600.037 Jenen ward der gewaltige Willepba_600.038 Und die unzerbrechliche Kraft.pba_600.039 Mit der furchtbaren Stärke gerüstet
pba_600.001 Vorgeschichte seines Stücks unausgesetzt über dem Ganzen schwebend zu pba_600.002 zeigen und doch nun nicht etwa von dorther mechanisch das Verderbliche pba_600.003 hereinbrechen zu lassen, sondern dessen ursächliche Begründung mit pba_600.004 sorgfältigstem Bedacht aus der Hamartie der Handelnden herzuleiten. pba_600.005 Jäher Zorn, leidenschaftlich rascher Sinn (der θυμὸς ὀξύς) und die pba_600.006 so gern sich ihnen als Begleiterin zugesellt, die Heimlichkeit, das sind pba_600.007 die verhängnisvollen Wirkungen des Fluchs, Wirkungen, die in dem pba_600.008 freien Willen der Handelnden ihr Korrektiv finden könnten und die pba_600.009 ohne dasselbe als Jrrtümer und Fehler der Handelnden sich darstellen. pba_600.010 Sie entziehen ihnen nichts von der Achtung, auf der unser tiefes pba_600.011 Mitleid mit ihnen beruht, wir sehen sie unverschuldet leiden, aber pba_600.012 ihr Leiden erfüllt uns nicht mehr mit dem grauenvollen Entsetzen vor pba_600.013 grausamer Willkür eines unbegreiflichen Fatums, sondern wir erkennen pba_600.014 seinen Zusammenhang und fürchten das Schicksal, dessen hohe Gesetzlichkeit pba_600.015 wir verehren.
pba_600.016 Jn dem frevelhaft geschlossenen Ehebund Jsabellas fehlte das Vertrauen; pba_600.017 dem aus Gewissensangst entsprungenen grausamen Befehl des pba_600.018 Gatten die neugeborene Tochter zu töten, setzt sie Täuschung und eine pba_600.019 für das ganze Leben dauernde Verstellung entgegen, die ihr mehr und pba_600.020 mehr den Gemahl entfremden:
pba_600.021
Der von des Argwohns ruheloser Peinpba_600.022 Und finster grübelndem Verdacht genagtpba_600.023 Auf allen Schritten ihr die Späher pflanzte.
pba_600.024 Dieser Sinn ist auf den erstgeborenen Sohn übergegangen, der, pba_600.025 wie der Vater, „von jeher es liebte, sich verborgen in sich selbst zu pba_600.026 spinnen und den Ratschluß zu bewahren im unzugangbar fest verschlossenen pba_600.027 Gemüte!“ Vor allem aber ist „aus diesem verhängnisvollen pba_600.028 Samen der unsel'ge Bruderhaß emporgewachsen“, der den Boden bildet, pba_600.029 auf dem allein die Handlung sich so ereignen kann.
pba_600.030 Diesen Verhältnissen entstammen die Äußerungen banger Furcht, pba_600.031 mit denen der Chor gleich bei seinem ersten Auftreten sein Lied beschließt:
pba_600.032
Ungleich verteilt sind des Lebens Güterpba_600.033 Unter der Menschen flücht'gem Geschlecht;pba_600.034 Aber die Natur, sie ist ewig gerecht.pba_600.035 Uns verlieh sie das Mark und die Fülle,pba_600.036 Die sich immer erneuend erschafft;pba_600.037 Jenen ward der gewaltige Willepba_600.038 Und die unzerbrechliche Kraft.pba_600.039 Mit der furchtbaren Stärke gerüstet
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pba_600.001
Vorgeschichte seines Stücks unausgesetzt über dem Ganzen schwebend zu pba_600.002
zeigen und doch nun nicht etwa von dorther mechanisch das Verderbliche pba_600.003
hereinbrechen zu lassen, sondern dessen ursächliche Begründung mit pba_600.004
sorgfältigstem Bedacht aus der Hamartie der Handelnden herzuleiten. pba_600.005
Jäher Zorn, leidenschaftlich rascher Sinn (der θυμὸς ὀξύς) und die pba_600.006
so gern sich ihnen als Begleiterin zugesellt, die Heimlichkeit, das sind pba_600.007
die verhängnisvollen Wirkungen des Fluchs, Wirkungen, die in dem pba_600.008
freien Willen der Handelnden ihr Korrektiv finden könnten und die pba_600.009
ohne dasselbe als Jrrtümer und Fehler der Handelnden sich darstellen. pba_600.010
Sie entziehen ihnen nichts von der Achtung, auf der unser tiefes pba_600.011
Mitleid mit ihnen beruht, wir sehen sie unverschuldet leiden, aber pba_600.012
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grausamer Willkür eines unbegreiflichen Fatums, sondern wir erkennen pba_600.014
seinen Zusammenhang und fürchten das Schicksal, dessen hohe Gesetzlichkeit pba_600.015
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dem aus Gewissensangst entsprungenen grausamen Befehl des pba_600.018
Gatten die neugeborene Tochter zu töten, setzt sie Täuschung und eine pba_600.019
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auf dem allein die Handlung sich so ereignen kann.
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mit denen der Chor gleich bei seinem ersten Auftreten sein Lied beschließt:
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/618>, abgerufen am 22.11.2024.
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