Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_044.001 Nicht in mir selber leb' ich; nein, ich werde pba_044.008 pba_044.016Ein Teil der Welt umher. Gebirg' und Flur pba_044.009 Sind mir Gefühl, die Städte dieser Erde pba_044.010 Sind Folter mir. Jch find' in der Natur pba_044.011 Nichts, was mir widrig ist, als eines nur, pba_044.012 Des Fleisches Kette, die auch mich umflicht, pba_044.013 Jndes die Seele flieh'n kann zum Azur, pba_044.014 Zum Berg, zum Ocean, zum Sternenlicht, pba_044.015 Und sich versenkt ins All -- und, o, vergebens nicht! oder der folgenden: pba_044.017Sind nicht die Himmel, Meer' und Berg' ein Stück pba_044.018 Von meiner Seele, wie von ihnen ich? pba_044.019 Jst sie zu lieben nicht mein reinstes Glück? pba_044.020 Und alles, was ich ihnen je verglich, pba_044.021 Sollt' ich es nicht verachten? Soll ich mich pba_044.022 Aus Furcht vor Schmerzen dieser Lieb' entschlagen? pba_044.023 Soll dieses Herz in stummes Phlegma sich pba_044.024 Weltlich versenken, wie die Feigen, Zagen, pba_044.025 Die stets zu Boden schau'n und zu erglüh'n nicht wagen? pba_044.026 pba_044.032 hinauf und hinab. Eine stürmende See im Sausen des Windes! Und wenn dann pba_044.033 der Mond wieder hervortrat und über der schwarzen Wolke ruhte, und vor mir hinaus pba_044.034 die Flut in fürchterlich-herrlichem Wiederschein rollte und klang, da überfiel mich ein pba_044.035 Schauer und wieder ein Sehnen! Ach, mit offenen Armen stand ich gegen den Abgrund pba_044.036 und atmete hinab! hinab! und verlor mich in der Wonne, meine Qualen, meine pba_044.037 Leiden da hinabzustürmen! dahinzubrausen wie die Wellen. Oh! -- ..... Wie gerne pba_044.038 hätte ich mein Menschsein drum gegegeben, mit jenem Sturmwinde die Wolken zu zerreißen, pba_044.039 die Fluten zu fassen! Ha! Und wird nicht vielleicht dem Eingekerkerten einmal pba_044.040 diese Wonne zu teil? --" 1 pba_044.041
Vgl. Übersetzung von O. Gildemeister, Bd II. Harold, Ges. III, St. 72, 75. pba_044.001 Nicht in mir selber leb' ich; nein, ich werde pba_044.008 pba_044.016Ein Teil der Welt umher. Gebirg' und Flur pba_044.009 Sind mir Gefühl, die Städte dieser Erde pba_044.010 Sind Folter mir. Jch find' in der Natur pba_044.011 Nichts, was mir widrig ist, als eines nur, pba_044.012 Des Fleisches Kette, die auch mich umflicht, pba_044.013 Jndes die Seele flieh'n kann zum Azur, pba_044.014 Zum Berg, zum Ocean, zum Sternenlicht, pba_044.015 Und sich versenkt ins All — und, o, vergebens nicht! oder der folgenden: pba_044.017Sind nicht die Himmel, Meer' und Berg' ein Stück pba_044.018 Von meiner Seele, wie von ihnen ich? pba_044.019 Jst sie zu lieben nicht mein reinstes Glück? pba_044.020 Und alles, was ich ihnen je verglich, pba_044.021 Sollt' ich es nicht verachten? Soll ich mich pba_044.022 Aus Furcht vor Schmerzen dieser Lieb' entschlagen? pba_044.023 Soll dieses Herz in stummes Phlegma sich pba_044.024 Weltlich versenken, wie die Feigen, Zagen, pba_044.025 Die stets zu Boden schau'n und zu erglüh'n nicht wagen? pba_044.026 pba_044.032 hinauf und hinab. Eine stürmende See im Sausen des Windes! Und wenn dann pba_044.033 der Mond wieder hervortrat und über der schwarzen Wolke ruhte, und vor mir hinaus pba_044.034 die Flut in fürchterlich-herrlichem Wiederschein rollte und klang, da überfiel mich ein pba_044.035 Schauer und wieder ein Sehnen! Ach, mit offenen Armen stand ich gegen den Abgrund pba_044.036 und atmete hinab! hinab! und verlor mich in der Wonne, meine Qualen, meine pba_044.037 Leiden da hinabzustürmen! dahinzubrausen wie die Wellen. Oh! — ..... Wie gerne pba_044.038 hätte ich mein Menschsein drum gegegeben, mit jenem Sturmwinde die Wolken zu zerreißen, pba_044.039 die Fluten zu fassen! Ha! Und wird nicht vielleicht dem Eingekerkerten einmal pba_044.040 diese Wonne zu teil? —“ 1 pba_044.041
Vgl. Übersetzung von O. Gildemeister, Bd II. Harold, Ges. III, St. 72, 75. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0062" n="44"/><lb n="pba_044.001"/> klassisches Beispiel vor Augen zu stellen, hier einige Stanzen aus <hi rendition="#g">Byrons</hi> <lb n="pba_044.002"/> „<hi rendition="#g">Harold</hi>“ stehen. Jn seinem Munde erreicht jenes specifisch moderne <lb n="pba_044.003"/> Naturgefühl, welches die vertrauten Wechselbeziehungen zu der Natur <lb n="pba_044.004"/> weit über den Umgang mit den Menschen stellt, den höchst gesteigerten <lb n="pba_044.005"/> Ausdruck; so namentlich in der folgenden Strophe des dritten Gesanges <lb n="pba_044.006"/> von „Harolds Pilgerfahrt“:<note xml:id="pba_044_1" place="foot" n="1"><lb n="pba_044.041"/> Vgl. Übersetzung von O. Gildemeister, Bd II. Harold, Ges. III, St. 72, 75.</note></p> <lb n="pba_044.007"/> <lg> <l>Nicht in mir selber leb' ich; nein, ich werde</l> <lb n="pba_044.008"/> <l>Ein Teil der Welt umher. <hi rendition="#g">Gebirg' und Flur</hi></l> <lb n="pba_044.009"/> <l><hi rendition="#g">Sind mir Gefühl,</hi> die Städte dieser Erde</l> <lb n="pba_044.010"/> <l>Sind Folter mir. Jch find' in der Natur</l> <lb n="pba_044.011"/> <l>Nichts, was mir widrig ist, als <hi rendition="#g">eines</hi> nur,</l> <lb n="pba_044.012"/> <l>Des Fleisches Kette, die auch mich umflicht,</l> <lb n="pba_044.013"/> <l> <hi rendition="#g">Jndes die Seele flieh'n kann zum Azur,</hi> </l> <lb n="pba_044.014"/> <l> <hi rendition="#g">Zum Berg, zum Ocean, zum Sternenlicht,</hi> </l> <lb n="pba_044.015"/> <l>Und <hi rendition="#g">sich versenkt ins All</hi> — und, o, vergebens nicht!</l> </lg> <lb n="pba_044.016"/> <p>oder der folgenden:</p> <lb n="pba_044.017"/> <lg> <l> <hi rendition="#g">Sind nicht die Himmel, Meer' und Berg' ein Stück</hi> </l> <lb n="pba_044.018"/> <l> <hi rendition="#g">Von meiner Seele, wie von ihnen ich?</hi> </l> <lb n="pba_044.019"/> <l>Jst sie zu lieben nicht mein reinstes Glück?</l> <lb n="pba_044.020"/> <l>Und alles, was ich ihnen je verglich,</l> <lb n="pba_044.021"/> <l>Sollt' ich es nicht verachten? Soll ich mich</l> <lb n="pba_044.022"/> <l>Aus Furcht vor Schmerzen dieser Lieb' entschlagen?</l> <lb n="pba_044.023"/> <l>Soll dieses Herz in stummes Phlegma sich</l> <lb n="pba_044.024"/> <l>Weltlich versenken, wie die Feigen, Zagen,</l> <lb n="pba_044.025"/> <l>Die stets zu Boden schau'n und zu erglüh'n nicht wagen?</l> </lg> <p><lb n="pba_044.026"/> Diesem selben heißen, leidenschaftlichen Verschmelzen mit der Natur <lb n="pba_044.027"/> zu unauflöslichem Bunde entströmen auch die hinreißenden Stanzen, <lb n="pba_044.028"/> die schönsten, die je zu ihrem Lobe gesungen sind, — in denen er die <lb n="pba_044.029"/> zauberische Schönheit des Genfer Sees schildert oder die grandiosen <lb n="pba_044.030"/> Schrecken der umgebenden Alpenwelt (vgl. Ges. III, St. 85 ff.); nur zwei <lb n="pba_044.031"/> daraus mögen hier noch folgen:</p> <note xml:id="pba_043_1b" prev="#pba_043_1a" place="foot" n="1"><lb n="pba_044.032"/> hinauf und hinab. Eine stürmende See im Sausen des Windes! Und wenn dann <lb n="pba_044.033"/> der Mond wieder hervortrat und über der schwarzen Wolke ruhte, und vor mir hinaus <lb n="pba_044.034"/> die Flut in fürchterlich-herrlichem Wiederschein rollte und klang, da überfiel mich ein <lb n="pba_044.035"/> Schauer und wieder ein Sehnen! Ach, mit offenen Armen stand ich gegen den Abgrund <lb n="pba_044.036"/> und atmete hinab! hinab! und verlor mich in der Wonne, meine Qualen, meine <lb n="pba_044.037"/> Leiden da hinabzustürmen! dahinzubrausen wie die Wellen. Oh! — ..... Wie gerne <lb n="pba_044.038"/> hätte ich mein Menschsein drum gegegeben, mit jenem Sturmwinde die Wolken zu zerreißen, <lb n="pba_044.039"/> die Fluten zu fassen! Ha! Und wird nicht vielleicht dem Eingekerkerten einmal <lb n="pba_044.040"/> diese Wonne zu teil? —“</note> </div> </body> </text> </TEI> [44/0062]
pba_044.001
klassisches Beispiel vor Augen zu stellen, hier einige Stanzen aus Byrons pba_044.002
„Harold“ stehen. Jn seinem Munde erreicht jenes specifisch moderne pba_044.003
Naturgefühl, welches die vertrauten Wechselbeziehungen zu der Natur pba_044.004
weit über den Umgang mit den Menschen stellt, den höchst gesteigerten pba_044.005
Ausdruck; so namentlich in der folgenden Strophe des dritten Gesanges pba_044.006
von „Harolds Pilgerfahrt“: 1
pba_044.007
Nicht in mir selber leb' ich; nein, ich werde pba_044.008
Ein Teil der Welt umher. Gebirg' und Flur pba_044.009
Sind mir Gefühl, die Städte dieser Erde pba_044.010
Sind Folter mir. Jch find' in der Natur pba_044.011
Nichts, was mir widrig ist, als eines nur, pba_044.012
Des Fleisches Kette, die auch mich umflicht, pba_044.013
Jndes die Seele flieh'n kann zum Azur, pba_044.014
Zum Berg, zum Ocean, zum Sternenlicht, pba_044.015
Und sich versenkt ins All — und, o, vergebens nicht!
pba_044.016
oder der folgenden:
pba_044.017
Sind nicht die Himmel, Meer' und Berg' ein Stück pba_044.018
Von meiner Seele, wie von ihnen ich? pba_044.019
Jst sie zu lieben nicht mein reinstes Glück? pba_044.020
Und alles, was ich ihnen je verglich, pba_044.021
Sollt' ich es nicht verachten? Soll ich mich pba_044.022
Aus Furcht vor Schmerzen dieser Lieb' entschlagen? pba_044.023
Soll dieses Herz in stummes Phlegma sich pba_044.024
Weltlich versenken, wie die Feigen, Zagen, pba_044.025
Die stets zu Boden schau'n und zu erglüh'n nicht wagen?
pba_044.026
Diesem selben heißen, leidenschaftlichen Verschmelzen mit der Natur pba_044.027
zu unauflöslichem Bunde entströmen auch die hinreißenden Stanzen, pba_044.028
die schönsten, die je zu ihrem Lobe gesungen sind, — in denen er die pba_044.029
zauberische Schönheit des Genfer Sees schildert oder die grandiosen pba_044.030
Schrecken der umgebenden Alpenwelt (vgl. Ges. III, St. 85 ff.); nur zwei pba_044.031
daraus mögen hier noch folgen:
1
1 pba_044.041
Vgl. Übersetzung von O. Gildemeister, Bd II. Harold, Ges. III, St. 72, 75.
1 pba_044.032
hinauf und hinab. Eine stürmende See im Sausen des Windes! Und wenn dann pba_044.033
der Mond wieder hervortrat und über der schwarzen Wolke ruhte, und vor mir hinaus pba_044.034
die Flut in fürchterlich-herrlichem Wiederschein rollte und klang, da überfiel mich ein pba_044.035
Schauer und wieder ein Sehnen! Ach, mit offenen Armen stand ich gegen den Abgrund pba_044.036
und atmete hinab! hinab! und verlor mich in der Wonne, meine Qualen, meine pba_044.037
Leiden da hinabzustürmen! dahinzubrausen wie die Wellen. Oh! — ..... Wie gerne pba_044.038
hätte ich mein Menschsein drum gegegeben, mit jenem Sturmwinde die Wolken zu zerreißen, pba_044.039
die Fluten zu fassen! Ha! Und wird nicht vielleicht dem Eingekerkerten einmal pba_044.040
diese Wonne zu teil? —“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |