pba_670.001 Lachen, als eine Unterart der Hedone, mit dieser nicht auf gleiche pba_670.002 Linie gestellt werden könne, daß diese zudem, als auch der Tragödie zukommend, pba_670.003 keine unterscheidende Eigentümlichkeit der Komödie sein könne.
pba_670.004 Hier darf im Jnteresse der Sache die schärfste Verurteilung nicht pba_670.005 zurückgehalten werden: diese Bernays'sche Kritik gibt Zeugnis davon, pba_670.006 daß ihm das Verständnis der Begriffe, von denen er spricht, absolut pba_670.007 fehlt. Um das zu beweisen bedarf es keines ausgedehnten philologischen pba_670.008 Apparates; es ist angänglich hier mit wenigen Sätzen auszukommen.
pba_670.009 "Pathema" nennt Aristoteles einen jeden Veränderungsvorgang, pba_670.010 wie oben schon erörtert, auf psychologischem Gebiet einen jeden Veränderungsvorgang pba_670.011 in der Seele. Statt hundert Stellen nur pba_670.012 eine zum Zeugnis aus de interpret. c. I: esti men oun ta en te phone pba_670.013 ton en te psukhe pathematon sumbola.1 "Was die Stimme ausdrückt pba_670.014 ist Zeichen der -- Pathemata -- Veränderungsvorgänge in der Seele." pba_670.015 Wer wollte behaupten, daß Lachen und Freude nicht zu diesen "Pathemata", pba_670.016 diesen Veränderungen der Seele gehörten? Ferner aber pba_670.017 heißt es in der Psychologie des Aristoteles (vgl. peri psukhes, II, 2, pba_670.018 S. 413b 23 und 414b 4) opou aisthesis kai lupe te kai edone. pba_670.019 "wo Empfindungsvermögen vorhanden ist, da findet auch Schmerz und pba_670.020 Freude statt". Also nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. pba_670.021 Die Hedone, die Freude, ist also mit dem, was wir im Deutschen pba_670.022 im engeren Sinne "Empfindungsvorgänge" nennen, und was auch pba_670.023 Aristoteles in der Ethik im engeren Sinne mit Pathos bezeichnet, pba_670.024 allerdings nicht auf eine Linie zu stellen -- und etwas Ähnliches mag pba_670.025 Bernays vorgeschwebt haben --, aber sie hat mit der lupe, dem pba_670.026 Schmerz, die gemeinsame Stellung, daß diese beiden Veränderungsvorgänge, pba_670.027 Pathemata, der Seele mit Notwendigkeit als Begleiterscheinungenpba_670.028 bei einem jeden Empfindungsvorgang sich einstellen. pba_670.029 Jn der Nikomachischen Ethik heißt es II, 6 (1105b 21) lego de pathe pba_670.030 .... olos ois epetai edone kai lupe "unter Empfindungen verstehe pba_670.031 ich überhaupt alle die Vorgänge, die von Freude und Schmerz pba_670.032 begleitet sind". Aus den ferneren Ausführungen des Aristoteles pba_670.033 erhellt, was übrigens an sich keines weiteren Beweises bedarf, daß die pba_670.034 "Empfindungen" sich nicht allein untereinander nach diesem Gesichtspunkte pba_670.035 unterscheiden, daß den einen schmerzliche, den andern freudige pba_670.036 "Pathemata" entsprechen, sondern daß auch eine und dieselbepba_670.037 Empfindung unter Umständen bald den einen bald den andern Charakter pba_670.038 annehmen kann.
1pba_670.039 S. Aristot. peri ermeneias, S. 16a 3.
pba_670.001 Lachen, als eine Unterart der Hedone, mit dieser nicht auf gleiche pba_670.002 Linie gestellt werden könne, daß diese zudem, als auch der Tragödie zukommend, pba_670.003 keine unterscheidende Eigentümlichkeit der Komödie sein könne.
pba_670.004 Hier darf im Jnteresse der Sache die schärfste Verurteilung nicht pba_670.005 zurückgehalten werden: diese Bernays'sche Kritik gibt Zeugnis davon, pba_670.006 daß ihm das Verständnis der Begriffe, von denen er spricht, absolut pba_670.007 fehlt. Um das zu beweisen bedarf es keines ausgedehnten philologischen pba_670.008 Apparates; es ist angänglich hier mit wenigen Sätzen auszukommen.
pba_670.009 „Pathema“ nennt Aristoteles einen jeden Veränderungsvorgang, pba_670.010 wie oben schon erörtert, auf psychologischem Gebiet einen jeden Veränderungsvorgang pba_670.011 in der Seele. Statt hundert Stellen nur pba_670.012 eine zum Zeugnis aus de interpret. c. I: ἔστι μὲν οὖν τὰ ἐν τῇ φωνῇ pba_670.013 τῶν ἐν τῇ ψυχῆ παθημάτων σύμβολα.1 „Was die Stimme ausdrückt pba_670.014 ist Zeichen der — Pathemata — Veränderungsvorgänge in der Seele.“ pba_670.015 Wer wollte behaupten, daß Lachen und Freude nicht zu diesen „Pathemata“, pba_670.016 diesen Veränderungen der Seele gehörten? Ferner aber pba_670.017 heißt es in der Psychologie des Aristoteles (vgl. περὶ ψυχῆς, II, 2, pba_670.018 S. 413b 23 und 414b 4) ὅπου αἴσθησις καὶ λύπη τε καὶ ἡδονή. pba_670.019 „wo Empfindungsvermögen vorhanden ist, da findet auch Schmerz und pba_670.020 Freude statt“. Also nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. pba_670.021 Die Hedone, die Freude, ist also mit dem, was wir im Deutschen pba_670.022 im engeren Sinne „Empfindungsvorgänge“ nennen, und was auch pba_670.023 Aristoteles in der Ethik im engeren Sinne mit Pathos bezeichnet, pba_670.024 allerdings nicht auf eine Linie zu stellen — und etwas Ähnliches mag pba_670.025 Bernays vorgeschwebt haben —, aber sie hat mit der λύπη, dem pba_670.026 Schmerz, die gemeinsame Stellung, daß diese beiden Veränderungsvorgänge, pba_670.027 Pathemata, der Seele mit Notwendigkeit als Begleiterscheinungenpba_670.028 bei einem jeden Empfindungsvorgang sich einstellen. pba_670.029 Jn der Nikomachischen Ethik heißt es II, 6 (1105b 21) λέγω δὲ πάθη pba_670.030 .... ὅλως οἷς ἕπεται ἡδονὴ καὶ λύπη „unter Empfindungen verstehe pba_670.031 ich überhaupt alle die Vorgänge, die von Freude und Schmerz pba_670.032 begleitet sind“. Aus den ferneren Ausführungen des Aristoteles pba_670.033 erhellt, was übrigens an sich keines weiteren Beweises bedarf, daß die pba_670.034 „Empfindungen“ sich nicht allein untereinander nach diesem Gesichtspunkte pba_670.035 unterscheiden, daß den einen schmerzliche, den andern freudige pba_670.036 „Pathemata“ entsprechen, sondern daß auch eine und dieselbepba_670.037 Empfindung unter Umständen bald den einen bald den andern Charakter pba_670.038 annehmen kann.
1pba_670.039 S. Aristot. περὶ ἑρμηνείας, S. 16a 3.
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pba_670.001
Lachen, als eine Unterart der Hedone, mit dieser nicht auf gleiche pba_670.002
Linie gestellt werden könne, daß diese zudem, als auch der Tragödie zukommend, pba_670.003
keine unterscheidende Eigentümlichkeit der Komödie sein könne.
pba_670.004
Hier darf im Jnteresse der Sache die schärfste Verurteilung nicht pba_670.005
zurückgehalten werden: diese Bernays'sche Kritik gibt Zeugnis davon, pba_670.006
daß ihm das Verständnis der Begriffe, von denen er spricht, absolut pba_670.007
fehlt. Um das zu beweisen bedarf es keines ausgedehnten philologischen pba_670.008
Apparates; es ist angänglich hier mit wenigen Sätzen auszukommen.
pba_670.009
„Pathema“ nennt Aristoteles einen jeden Veränderungsvorgang, pba_670.010
wie oben schon erörtert, auf psychologischem Gebiet einen jeden Veränderungsvorgang pba_670.011
in der Seele. Statt hundert Stellen nur pba_670.012
eine zum Zeugnis aus de interpret. c. I: ἔστι μὲν οὖν τὰ ἐν τῇ φωνῇ pba_670.013
τῶν ἐν τῇ ψυχῆ παθημάτων σύμβολα. 1 „Was die Stimme ausdrückt pba_670.014
ist Zeichen der — Pathemata — Veränderungsvorgänge in der Seele.“ pba_670.015
Wer wollte behaupten, daß Lachen und Freude nicht zu diesen „Pathemata“, pba_670.016
diesen Veränderungen der Seele gehörten? Ferner aber pba_670.017
heißt es in der Psychologie des Aristoteles (vgl. περὶ ψυχῆς, II, 2, pba_670.018
S. 413b 23 und 414b 4) ὅπου αἴσθησις καὶ λύπη τε καὶ ἡδονή. pba_670.019
„wo Empfindungsvermögen vorhanden ist, da findet auch Schmerz und pba_670.020
Freude statt“. Also nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. pba_670.021
Die Hedone, die Freude, ist also mit dem, was wir im Deutschen pba_670.022
im engeren Sinne „Empfindungsvorgänge“ nennen, und was auch pba_670.023
Aristoteles in der Ethik im engeren Sinne mit Pathos bezeichnet, pba_670.024
allerdings nicht auf eine Linie zu stellen — und etwas Ähnliches mag pba_670.025
Bernays vorgeschwebt haben —, aber sie hat mit der λύπη, dem pba_670.026
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Pathemata, der Seele mit Notwendigkeit als Begleiterscheinungen pba_670.028
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Jn der Nikomachischen Ethik heißt es II, 6 (1105b 21) λέγω δὲ πάθη pba_670.030
.... ὅλως οἷς ἕπεται ἡδονὴ καὶ λύπη „unter Empfindungen verstehe pba_670.031
ich überhaupt alle die Vorgänge, die von Freude und Schmerz pba_670.032
begleitet sind“. Aus den ferneren Ausführungen des Aristoteles pba_670.033
erhellt, was übrigens an sich keines weiteren Beweises bedarf, daß die pba_670.034
„Empfindungen“ sich nicht allein untereinander nach diesem Gesichtspunkte pba_670.035
unterscheiden, daß den einen schmerzliche, den andern freudige pba_670.036
„Pathemata“ entsprechen, sondern daß auch eine und dieselbe pba_670.037
Empfindung unter Umständen bald den einen bald den andern Charakter pba_670.038
annehmen kann.
1 pba_670.039
S. Aristot. περὶ ἑρμηνείας, S. 16a 3.
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/688>, abgerufen am 31.10.2024.
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