pba_052.001 großen Raum ein; wo immer der Volksgesang durch die Kunstpoesie pba_052.002 verfälscht oder gar ganz verdrängt ist, sind dies die Kennzeichen der pba_052.003 Entartung. Dagegen dort an Stelle der Vollständigkeit der Handlung pba_052.004 die sprung- und lückenhafteste Skizze des Verlaufs, anstatt sorgfältiger pba_052.005 psychologischer Charakteristik die schroffste Einseitigkeit und die grellste pba_052.006 Betonung immer nur des einzigen Motivs und zwar bis zu einem Grade pba_052.007 der Herbigkeit und äußerster Uebertreibung, welcher in der Erzählung,pba_052.008 und mag sie immerhin das Reich des Wunderbaren umschließen, niemals pba_052.009 ertragen wird, weil dadurch das Jnteresse und damit ihr Zweck pba_052.010 vernichtet würde, sondern der einzig und allein als ein Mittel die pba_052.011 Stimmungsgewalt nachzuahmen verstanden und ertragen werden kann. pba_052.012 Endlich die Dekorationsmalerei, worin die Kunstballade luxuriert, kennt pba_052.013 die Volksballade gar nicht.
pba_052.014 Man vergleiche auf alle diese Kennzeichen hin nicht allein Stücke pba_052.015 wie "Herr Oloff", "Wassermann", "Ulrich und Aennchen", sondern auch pba_052.016 solche wie "Das nußbraune Mädchen", "Das Lied vom jungen Grafen", pba_052.017 "Die Nonne", "Vom eifersüchtigen Knaben", oder "Das Lied vom Pfalzgrafen pba_052.018 oder dem grausamen Bruder", "Graf Friedrich" und unzählige pba_052.019 andere, während solche wie "Albertus Magnus" oder "Die Herzogin pba_052.020 von Orlamunt" in ihrer Breite und Umständlichkeit und freilich auch in pba_052.021 ihrer ganzen sonstigen Haltung schon die deutlichen Spuren einer ihres pba_052.022 Zieles nicht mehr gewissen Kunstrichtung tragen.1 Ein sehr interessantes pba_052.023 Beispiel ist Bürgers "dem Altenglischen nachgedichtete" Ballade "Graf pba_052.024 Walter", welche zwar alle Merkzeichen der echten Volksballade an sich pba_052.025 trägt, aber durch die übel angebrachte Sorgfalt des alle Gelegenheit zum pba_052.026 Effekt ausnutzenden Dichters allenthalben in epische Breite gewandelt und pba_052.027 mit störendem Detail belastet.
pba_052.028 Eben wegen seiner Anlehnung an den alt-englischen Volksgesang pba_052.029 ist Bürger in einigen seiner Dichtungen der echten Balladen nahe gekommen, pba_052.030 doch bleiben auch diese auf der Grenze stehen. Der "wilde pba_052.031 Jäger" ist solch ein Stück; wie die Sage jener fürchterlichen Ausartung pba_052.032 der Jagdlust entsprungen ist, die unter all seinen unerträglichen Lasten pba_052.033 den mittelalterlichen Bauernstand am heftigsten empörte, so ist es dem pba_052.034 Dichter in der That gelungen, jenen bis zum grausigen Wahnwitz erhitzten, pba_052.035 wildesten Frevelmut in ergreifender Nachahmung darzustellen, aber pba_052.036 doch nur an einzelnen Stellen. Statt nach dieser einzigen Richtung auf pba_052.037 sein Ziel loszugehen, hierzu alle stärksten Züge, in kürzester Andeutung
1pba_052.038 Vgl. Herder: "Stimmen der Völker in Liedern" und "Des Knaben pba_052.039 Wunderhorn", bearbeitet von Birlinger und Crecelius.
pba_052.001 großen Raum ein; wo immer der Volksgesang durch die Kunstpoesie pba_052.002 verfälscht oder gar ganz verdrängt ist, sind dies die Kennzeichen der pba_052.003 Entartung. Dagegen dort an Stelle der Vollständigkeit der Handlung pba_052.004 die sprung- und lückenhafteste Skizze des Verlaufs, anstatt sorgfältiger pba_052.005 psychologischer Charakteristik die schroffste Einseitigkeit und die grellste pba_052.006 Betonung immer nur des einzigen Motivs und zwar bis zu einem Grade pba_052.007 der Herbigkeit und äußerster Uebertreibung, welcher in der Erzählung,pba_052.008 und mag sie immerhin das Reich des Wunderbaren umschließen, niemals pba_052.009 ertragen wird, weil dadurch das Jnteresse und damit ihr Zweck pba_052.010 vernichtet würde, sondern der einzig und allein als ein Mittel die pba_052.011 Stimmungsgewalt nachzuahmen verstanden und ertragen werden kann. pba_052.012 Endlich die Dekorationsmalerei, worin die Kunstballade luxuriert, kennt pba_052.013 die Volksballade gar nicht.
pba_052.014 Man vergleiche auf alle diese Kennzeichen hin nicht allein Stücke pba_052.015 wie „Herr Oloff“, „Wassermann“, „Ulrich und Aennchen“, sondern auch pba_052.016 solche wie „Das nußbraune Mädchen“, „Das Lied vom jungen Grafen“, pba_052.017 „Die Nonne“, „Vom eifersüchtigen Knaben“, oder „Das Lied vom Pfalzgrafen pba_052.018 oder dem grausamen Bruder“, „Graf Friedrich“ und unzählige pba_052.019 andere, während solche wie „Albertus Magnus“ oder „Die Herzogin pba_052.020 von Orlamunt“ in ihrer Breite und Umständlichkeit und freilich auch in pba_052.021 ihrer ganzen sonstigen Haltung schon die deutlichen Spuren einer ihres pba_052.022 Zieles nicht mehr gewissen Kunstrichtung tragen.1 Ein sehr interessantes pba_052.023 Beispiel ist Bürgers „dem Altenglischen nachgedichtete“ Ballade „Graf pba_052.024 Walter“, welche zwar alle Merkzeichen der echten Volksballade an sich pba_052.025 trägt, aber durch die übel angebrachte Sorgfalt des alle Gelegenheit zum pba_052.026 Effekt ausnutzenden Dichters allenthalben in epische Breite gewandelt und pba_052.027 mit störendem Detail belastet.
pba_052.028 Eben wegen seiner Anlehnung an den alt-englischen Volksgesang pba_052.029 ist Bürger in einigen seiner Dichtungen der echten Balladen nahe gekommen, pba_052.030 doch bleiben auch diese auf der Grenze stehen. Der „wilde pba_052.031 Jäger“ ist solch ein Stück; wie die Sage jener fürchterlichen Ausartung pba_052.032 der Jagdlust entsprungen ist, die unter all seinen unerträglichen Lasten pba_052.033 den mittelalterlichen Bauernstand am heftigsten empörte, so ist es dem pba_052.034 Dichter in der That gelungen, jenen bis zum grausigen Wahnwitz erhitzten, pba_052.035 wildesten Frevelmut in ergreifender Nachahmung darzustellen, aber pba_052.036 doch nur an einzelnen Stellen. Statt nach dieser einzigen Richtung auf pba_052.037 sein Ziel loszugehen, hierzu alle stärksten Züge, in kürzester Andeutung
1pba_052.038 Vgl. Herder: „Stimmen der Völker in Liedern“ und „Des Knaben pba_052.039 Wunderhorn“, bearbeitet von Birlinger und Crecelius.
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großen Raum ein; wo immer der Volksgesang durch die Kunstpoesie pba_052.002
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Vgl. Herder: „Stimmen der Völker in Liedern“ und „Des Knaben pba_052.039
Wunderhorn“, bearbeitet von Birlinger und Crecelius.
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/70>, abgerufen am 24.11.2024.
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