Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

pba_700.001
Form, den Stoff gibt ihm die Welt nur allzu freigebig, der Gehalt pba_700.002
entspringt freiwillig aus der Fülle seines Jnnern; bewußtlos begegnen pba_700.003
beide einander, und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichtum pba_700.004
angehöre."

pba_700.005
"Aber die Form, ob sie schon vorzüglich im Genie liegt, will pba_700.006
erkannt, will bedacht sein,
und hier wird Besonnenheit gefordert, pba_700.007
daß Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich ineinander pba_700.008
fügen, sich einander durchdringen."

pba_700.009
Dazu der sich daranschließende Spruch:

pba_700.010
"Der Dichter steht viel zu hoch, als daß er Partei machen sollte. pba_700.011
Heiterkeit und Bewußtsein sind die schönen Gaben, für die er pba_700.012
dem Schöpfer dankt: Bewußtsein, daß er vor dem Furchtbaren pba_700.013
nicht erschrecke, Heiterkeit,
daß er alles erfreulich pba_700.014
darzustellen wisse."

pba_700.015
Jn echt goethescher, ebenso einfacher als eigentümlicher Weise ist pba_700.016
damit die schöne, mittlere Haltung bezeichnet, die der wahre Dichter pba_700.017
zwischen den tragischen und den komischen Eindrücken des Lebens selbst pba_700.018
zu behaupten und eben dadurch in seinen Schöpfungen andern mitzuteilen pba_700.019
weiß.

pba_700.001
Form, den Stoff gibt ihm die Welt nur allzu freigebig, der Gehalt pba_700.002
entspringt freiwillig aus der Fülle seines Jnnern; bewußtlos begegnen pba_700.003
beide einander, und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichtum pba_700.004
angehöre.“

pba_700.005
„Aber die Form, ob sie schon vorzüglich im Genie liegt, will pba_700.006
erkannt, will bedacht sein,
und hier wird Besonnenheit gefordert, pba_700.007
daß Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich ineinander pba_700.008
fügen, sich einander durchdringen.“

pba_700.009
Dazu der sich daranschließende Spruch:

pba_700.010
„Der Dichter steht viel zu hoch, als daß er Partei machen sollte. pba_700.011
Heiterkeit und Bewußtsein sind die schönen Gaben, für die er pba_700.012
dem Schöpfer dankt: Bewußtsein, daß er vor dem Furchtbaren pba_700.013
nicht erschrecke, Heiterkeit,
daß er alles erfreulich pba_700.014
darzustellen wisse.“

pba_700.015
Jn echt goethescher, ebenso einfacher als eigentümlicher Weise ist pba_700.016
damit die schöne, mittlere Haltung bezeichnet, die der wahre Dichter pba_700.017
zwischen den tragischen und den komischen Eindrücken des Lebens selbst pba_700.018
zu behaupten und eben dadurch in seinen Schöpfungen andern mitzuteilen pba_700.019
weiß.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0718" n="700"/><lb n="pba_700.001"/><hi rendition="#g">Form,</hi> den Stoff gibt ihm die Welt nur allzu freigebig, der Gehalt <lb n="pba_700.002"/>
entspringt freiwillig aus der Fülle seines Jnnern; bewußtlos begegnen <lb n="pba_700.003"/>
beide einander, und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichtum <lb n="pba_700.004"/>
angehöre.&#x201C;</p>
        <p><lb n="pba_700.005"/>
&#x201E;Aber die <hi rendition="#g">Form,</hi> ob sie schon vorzüglich im Genie liegt, <hi rendition="#g">will <lb n="pba_700.006"/>
erkannt, will bedacht sein,</hi> und hier wird Besonnenheit gefordert, <lb n="pba_700.007"/>
daß Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich ineinander <lb n="pba_700.008"/>
fügen, sich einander durchdringen.&#x201C;</p>
        <p><lb n="pba_700.009"/>
Dazu der sich daranschließende Spruch:</p>
        <p><lb n="pba_700.010"/>
&#x201E;Der Dichter steht viel zu hoch, als daß er Partei machen sollte. <lb n="pba_700.011"/> <hi rendition="#g">Heiterkeit</hi> und <hi rendition="#g">Bewußtsein</hi> sind die schönen Gaben, für die er <lb n="pba_700.012"/>
dem Schöpfer dankt: <hi rendition="#g">Bewußtsein,</hi> daß er <hi rendition="#g">vor dem Furchtbaren <lb n="pba_700.013"/>
nicht erschrecke, Heiterkeit,</hi> daß er <hi rendition="#g">alles erfreulich</hi> <lb n="pba_700.014"/>
darzustellen wisse.&#x201C;</p>
        <p><lb n="pba_700.015"/>
Jn echt goethescher, ebenso einfacher als eigentümlicher Weise ist <lb n="pba_700.016"/>
damit die schöne, mittlere Haltung bezeichnet, die der wahre Dichter <lb n="pba_700.017"/>
zwischen den tragischen und den komischen Eindrücken des Lebens selbst <lb n="pba_700.018"/>
zu behaupten und eben dadurch in seinen Schöpfungen andern mitzuteilen <lb n="pba_700.019"/>
weiß.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[700/0718] pba_700.001 Form, den Stoff gibt ihm die Welt nur allzu freigebig, der Gehalt pba_700.002 entspringt freiwillig aus der Fülle seines Jnnern; bewußtlos begegnen pba_700.003 beide einander, und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichtum pba_700.004 angehöre.“ pba_700.005 „Aber die Form, ob sie schon vorzüglich im Genie liegt, will pba_700.006 erkannt, will bedacht sein, und hier wird Besonnenheit gefordert, pba_700.007 daß Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich ineinander pba_700.008 fügen, sich einander durchdringen.“ pba_700.009 Dazu der sich daranschließende Spruch: pba_700.010 „Der Dichter steht viel zu hoch, als daß er Partei machen sollte. pba_700.011 Heiterkeit und Bewußtsein sind die schönen Gaben, für die er pba_700.012 dem Schöpfer dankt: Bewußtsein, daß er vor dem Furchtbaren pba_700.013 nicht erschrecke, Heiterkeit, daß er alles erfreulich pba_700.014 darzustellen wisse.“ pba_700.015 Jn echt goethescher, ebenso einfacher als eigentümlicher Weise ist pba_700.016 damit die schöne, mittlere Haltung bezeichnet, die der wahre Dichter pba_700.017 zwischen den tragischen und den komischen Eindrücken des Lebens selbst pba_700.018 zu behaupten und eben dadurch in seinen Schöpfungen andern mitzuteilen pba_700.019 weiß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/718
Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/718>, abgerufen am 22.11.2024.