pba_059.001 Aus den verschiedenartigen Kombinationen charakteristischer Eigenart pba_059.002 des Empfindens und vorwaltender Stimmungen ergeben sich ferner pba_059.003 Gefühlsweisen und -Richtungen, wie sie ganze Epochen, sie vor allen pba_059.004 andern kennzeichnend, beherrschen. Auch diese fallen unter den Begriff des pba_059.005 Ethos: so das Romantische, das Naive und Sentimentale, Jdyllische und pba_059.006 Heroische, Satire und Jronie, künstlerischer oder religiöser Enthusiasmus, pba_059.007 Fanatismus, Askese und wieder auf der andern Seite Skepsis und Rationalismus pba_059.008 und vieles ähnliche, sofern nämlich alles dieses außer in dem pba_059.009 Verstande auch im Gemüte seinen Sitz hat und als Gesinnung sich äußert.
pba_059.010 Die Menge dieser gesamten unter den Begriff des Ethos zu rechnenden pba_059.011 Gemütsvorgänge mit allen ihren verschiedenen Graden, Färbungen, pba_059.012 Ausartungen nach der einen und der andern Seite hin, die unendliche pba_059.013 Zahl der hier möglichen und vorhandenen Erscheinungsformen, hat bei pba_059.014 weitem nicht die entsprechende Anzahl von Bezeichnungen in den Sprachen pba_059.015 gefunden, vieles ist "anonym" geblieben, unnennbar oder doch unbenannt, pba_059.016 obwohl die Sprachen, je nach dem verschiedenen Genius der Nationen, auf pba_059.017 diesem Gebiete sich ergänzen. Um nur ein Beispiel hervorzuheben: man pba_059.018 denke an die große Mannigfaltigkeit der Gestaltungen, welche das eine Ethos pba_059.019 der Andacht anzunehmen fähig ist, wie verschieden es bei Juden, Griechen pba_059.020 und Römern erscheint und bezeichnet wird, wie wechselvoll in seiner Entwickelung, pba_059.021 Entartung und Wiedererweckung bei den modernen Völkern!
pba_059.022 Wie unendlich weit ist das Gebiet, welches in diesem drittenpba_059.023 Gegenstande der Nachahmung für alle Künste offen steht! Und wenn pba_059.024 es dem Künstler gelingt mit den Mitteln, welche ihm seine specielle Kunst pba_059.025 gewährt, das ihn selbst erfüllende Ethos nachahmend darzustellen, so pba_059.026 muß es wenigstens vorübergehend bei jedem irgend Empfänglichen durch pba_059.027 seine Darstellung erweckt werden, stärker natürlich bei den ohnehin schon pba_059.028 entsprechend disponierten, um so sicherer aber und um so bedeutender in pba_059.029 seiner Wirkung bei allen, je höher geartet es ist und je mehr in Uebereinstimmung pba_059.030 mit der vollkommensten Ausgestaltung des seelischen Lebens.
pba_059.031 Es ist klar, daß der Poesie das ganze weite Feld der Nachahmung pba_059.032 sowohl von Handlungen als von Empfindungen und pba_059.033 Ethos jeder Art zugehört; dagegen werden die bildenden Künste ihre pba_059.034 Hauptstärke in der Nachahmung der beiden letzteren haben und nur bedingungsweise pba_059.035 auch die ersten umfassen können, während die Musikpba_059.036 vorzugsweise Ethos nachzuahmen und erst unter gewissen Bedingungen pba_059.037 auch die Empfindungen in ihren Bereich zu ziehen vermag.1
1pba_059.038 Die Musik an und für sich, mousike psile, bloße Musik, also die instrumentalepba_059.039 oder auch die vokale, sofern dieselbe selbständig, ohne Worte, auftritt, vermag
pba_059.001 Aus den verschiedenartigen Kombinationen charakteristischer Eigenart pba_059.002 des Empfindens und vorwaltender Stimmungen ergeben sich ferner pba_059.003 Gefühlsweisen und -Richtungen, wie sie ganze Epochen, sie vor allen pba_059.004 andern kennzeichnend, beherrschen. Auch diese fallen unter den Begriff des pba_059.005 Ethos: so das Romantische, das Naive und Sentimentale, Jdyllische und pba_059.006 Heroische, Satire und Jronie, künstlerischer oder religiöser Enthusiasmus, pba_059.007 Fanatismus, Askese und wieder auf der andern Seite Skepsis und Rationalismus pba_059.008 und vieles ähnliche, sofern nämlich alles dieses außer in dem pba_059.009 Verstande auch im Gemüte seinen Sitz hat und als Gesinnung sich äußert.
pba_059.010 Die Menge dieser gesamten unter den Begriff des Ethos zu rechnenden pba_059.011 Gemütsvorgänge mit allen ihren verschiedenen Graden, Färbungen, pba_059.012 Ausartungen nach der einen und der andern Seite hin, die unendliche pba_059.013 Zahl der hier möglichen und vorhandenen Erscheinungsformen, hat bei pba_059.014 weitem nicht die entsprechende Anzahl von Bezeichnungen in den Sprachen pba_059.015 gefunden, vieles ist „anonym“ geblieben, unnennbar oder doch unbenannt, pba_059.016 obwohl die Sprachen, je nach dem verschiedenen Genius der Nationen, auf pba_059.017 diesem Gebiete sich ergänzen. Um nur ein Beispiel hervorzuheben: man pba_059.018 denke an die große Mannigfaltigkeit der Gestaltungen, welche das eine Ethos pba_059.019 der Andacht anzunehmen fähig ist, wie verschieden es bei Juden, Griechen pba_059.020 und Römern erscheint und bezeichnet wird, wie wechselvoll in seiner Entwickelung, pba_059.021 Entartung und Wiedererweckung bei den modernen Völkern!
pba_059.022 Wie unendlich weit ist das Gebiet, welches in diesem drittenpba_059.023 Gegenstande der Nachahmung für alle Künste offen steht! Und wenn pba_059.024 es dem Künstler gelingt mit den Mitteln, welche ihm seine specielle Kunst pba_059.025 gewährt, das ihn selbst erfüllende Ethos nachahmend darzustellen, so pba_059.026 muß es wenigstens vorübergehend bei jedem irgend Empfänglichen durch pba_059.027 seine Darstellung erweckt werden, stärker natürlich bei den ohnehin schon pba_059.028 entsprechend disponierten, um so sicherer aber und um so bedeutender in pba_059.029 seiner Wirkung bei allen, je höher geartet es ist und je mehr in Uebereinstimmung pba_059.030 mit der vollkommensten Ausgestaltung des seelischen Lebens.
pba_059.031 Es ist klar, daß der Poesie das ganze weite Feld der Nachahmung pba_059.032 sowohl von Handlungen als von Empfindungen und pba_059.033 Ethos jeder Art zugehört; dagegen werden die bildenden Künste ihre pba_059.034 Hauptstärke in der Nachahmung der beiden letzteren haben und nur bedingungsweise pba_059.035 auch die ersten umfassen können, während die Musikpba_059.036 vorzugsweise Ethos nachzuahmen und erst unter gewissen Bedingungen pba_059.037 auch die Empfindungen in ihren Bereich zu ziehen vermag.1
1pba_059.038 Die Musik an und für sich, μουσικὴ ψιλή, bloße Musik, also die instrumentalepba_059.039 oder auch die vokale, sofern dieselbe selbständig, ohne Worte, auftritt, vermag
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Aus den verschiedenartigen Kombinationen charakteristischer Eigenart pba_059.002
des Empfindens und vorwaltender Stimmungen ergeben sich ferner pba_059.003
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Die Menge dieser gesamten unter den Begriff des Ethos zu rechnenden pba_059.011
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pba_059.031
Es ist klar, daß der Poesie das ganze weite Feld der Nachahmung pba_059.032
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/77>, abgerufen am 21.11.2024.
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