pba_077.001 der Dichtung, dessen Definition und Grenzen sehr unsicher und schwankend pba_077.002 sind, mit größerer Sicherheit zu bestimmen sein dürften: der didaktischen pba_077.003 Poesie und der sogenannten Reflexionsdichtung.
pba_077.004 Wie sehr der Vortrag von Lehrsätzen, positiven, systematisch geordneten pba_077.005 Kenntnissen und abstrakten Gedanken dem Wesen der Poesie pba_077.006 widersprechend ist, hat Lessing erwiesen; wie andrerseits durch die Vorführung pba_077.007 selbst der schwierigsten Gedankenreihen die höchsten dichterischen pba_077.008 Zwecke erreicht werden können, das liegt in einem Kreise der wundervollsten pba_077.009 Schillerschen Gedichte vor aller Augen klar zu Tage.
pba_077.010 Noch weniger aber als auf irgend einem andern Gebiete kann pba_077.011 man hier mit Lessings Satze auskommen: die Poesie stellt Handlungen pba_077.012 dar, d. h. Gegenstände, die eine Folge bilden.
pba_077.013 Wie anders, wenn man die im Obigen entwickelte Theorie auf pba_077.014 diese Gattung der Poesie anwendet. Es ergibt sich dann sofort, daß, pba_077.015 wie die Erzählung von äußeren Handlungen und wie die Vorführung pba_077.016 des Körperlichen, so auch die Darstellung von Gedanken, die Bezugnahme pba_077.017 auf Lehren und Begriffszusammenhänge nur eines von den pba_077.018 Mitteln sein kann, deren sich die Poesie zu ihren ewig identischen pba_077.019 Zwecken bedient, niemals aber Selbstzweck.
pba_077.020 Es würde sich dann weiter fragen, welches der Nachahmungsobjekte pba_077.021 das diesem Mittel verwandte und also durch dasselbe darstellbar pba_077.022 sei, und es möchte ein abermaliges Zeugnis für jene Theorie sein, wenn pba_077.023 die Antwort darauf sich einfach und mit Notwendigkeit aus derselben pba_077.024 ergäbe.
pba_077.025 So weit getrennt die Thätigkeit des reinen Denkens von den pba_077.026 übrigen Bethätigungen des Geistes ist, wie Phantasie und Empfindung, pba_077.027 und so scharf gesondert sie auf ihrem Wege sich von jenen und von jeder pba_077.028 Beeinflussung durch die wechselnden Gemütszustände in eifersüchtigster pba_077.029 Selbständigkeit halten muß, so gilt doch auch für sie das unverbrüchliche pba_077.030 Gesetz des Geistes, welches Einheit und Totalität für alle seine pba_077.031 Aeußerungen fordert und welches ungestraft niemals verletzt werden kann. pba_077.032 Die Punkte, wo auch für die reine Denkthätigkeit -- dianoia -- jene pba_077.033 Einheit vorhanden ist oder sich wiederherstellt, sind genau zu bestimmen; pba_077.034 sie liegen an ihrem Anfang und an ihrem Ende, dazwischen liegt der pba_077.035 Weg, den sie gesondert zurückzulegen hat. Auf jenem Wege gehört der pba_077.036 Gedanke allein der Wissenschaft, an jenem Anfangs- und Endpunkte pba_077.037 kann sich die Kunst seiner bemächtigen.
pba_077.038 Von den tausend Sinneseindrücken, die unaufhörlich von allen pba_077.039 Seiten auf die Seele eindringen, sind es einzelne, welche vermöge der pba_077.040 Vorgänge, welche sie in der Empfindung -- den pathe -- hervorbringen,
pba_077.001 der Dichtung, dessen Definition und Grenzen sehr unsicher und schwankend pba_077.002 sind, mit größerer Sicherheit zu bestimmen sein dürften: der didaktischen pba_077.003 Poesie und der sogenannten Reflexionsdichtung.
pba_077.004 Wie sehr der Vortrag von Lehrsätzen, positiven, systematisch geordneten pba_077.005 Kenntnissen und abstrakten Gedanken dem Wesen der Poesie pba_077.006 widersprechend ist, hat Lessing erwiesen; wie andrerseits durch die Vorführung pba_077.007 selbst der schwierigsten Gedankenreihen die höchsten dichterischen pba_077.008 Zwecke erreicht werden können, das liegt in einem Kreise der wundervollsten pba_077.009 Schillerschen Gedichte vor aller Augen klar zu Tage.
pba_077.010 Noch weniger aber als auf irgend einem andern Gebiete kann pba_077.011 man hier mit Lessings Satze auskommen: die Poesie stellt Handlungen pba_077.012 dar, d. h. Gegenstände, die eine Folge bilden.
pba_077.013 Wie anders, wenn man die im Obigen entwickelte Theorie auf pba_077.014 diese Gattung der Poesie anwendet. Es ergibt sich dann sofort, daß, pba_077.015 wie die Erzählung von äußeren Handlungen und wie die Vorführung pba_077.016 des Körperlichen, so auch die Darstellung von Gedanken, die Bezugnahme pba_077.017 auf Lehren und Begriffszusammenhänge nur eines von den pba_077.018 Mitteln sein kann, deren sich die Poesie zu ihren ewig identischen pba_077.019 Zwecken bedient, niemals aber Selbstzweck.
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pba_077.038 Von den tausend Sinneseindrücken, die unaufhörlich von allen pba_077.039 Seiten auf die Seele eindringen, sind es einzelne, welche vermöge der pba_077.040 Vorgänge, welche sie in der Empfindung — den πάθη — hervorbringen,
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der Dichtung, dessen Definition und Grenzen sehr unsicher und schwankend pba_077.002
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/95>, abgerufen am 21.11.2024.
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