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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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reifte Gedanke im Verein mit dem durch ihn erhöhten Empfinden pba_080.002
sich erzeugt hat. Dieses letztere aber ist es, was aus der Aufnahme pba_080.003
jener Vorstellungen unmittelbar und mit Gewißheit auf alle Empfangenden pba_080.004
übergeht; nicht also Kenntnisse kann und will der Dichter pba_080.005
verbreiten, sondern mit dem Ethos des Denkers erfüllt er seine pba_080.006
Hörer, welches von höherem Werte ist als das einzelne Wissen, weil es pba_080.007
den Samen ausstreut, aus welchem der Trieb des Erkennens erwächst.

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Solche Dichtungen bezeichneten die Alten mit dem Namen der pba_080.009
gnomischen, und ein großer Teil der griechischen Elegie trägt pba_080.010
genau diesen Charakter. Der Gegenstand der Nachahmung darin pba_080.011
ist, abgesehen von vereinzelten Fällen, in denen die Vorführung von Gedanken pba_080.012
dazu benutzt ist, um für bestimmte Situationen bestimmte einzelne pba_080.013
Empfindungen hervorzubringen, das den Dichter bewegende Ethos; als pba_080.014
Mittel dazu dient ihm die Darstellung seines Denkens, aber nicht pba_080.015
die abstrakte Darstellung des reinen Denkens, welche der Anschauung pba_080.016
unfaßbar sein und das Gemüt nicht erregen würde, sondern die Mitteilung pba_080.017
desselben durch die Vorstellungswelt, die es sich erschafft, und pba_080.018
in der es darum sich wiederspiegelt.

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Diese Dichtungsart kann also bald sich dem rein lyrischen pba_080.020
Charakter nähern, bald kann sie eine entschieden paränetische Färbung pba_080.021
annehmen, immer aber wird das weitaus darin Ueberwiegende die Nachahmung pba_080.022
jener stillen, aber darum nicht minder mächtigen ethischen pba_080.023
Stimmungen sein, die für den Denker selbst das höchste Glück und der pba_080.024
schönste Lohn seiner Mühen sind.

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Das Bedürfnis, solchen Stimmungen und Gemütszuständen vollen pba_080.026
Ausdruck zu geben, liegt zu tief in der menschlichen Natur begründet, pba_080.027
als daß zu irgend einer Zeit, in der überhaupt die Dichtung zu ihrem pba_080.028
Rechte gelangte, diese poetische Gattung zum Schweigen verurteilt gewesen pba_080.029
wäre; als Beispiel mögen, vom Altertum abgesehen, die Sirventes pba_080.030
der Provencalen und die Spruchdichtungen des deutschen Mittelalters pba_080.031
dienen. Aber zu ihrer vollsten Blüte gelangte sie doch erst zu der Zeit pba_080.032
der höchsten Entfaltung intellektuellen Lebens, als im achtzehnten Jahrhundert pba_080.033
bei den Führern des deutschen Klassizismus mit der höchsten pba_080.034
Geistesbildung sich die höchste dichterische Anlage verband; am schönsten pba_080.035
bei Schiller, dessen überragende Größe hierin zumeist ihr Fundament pba_080.036
hat. Jn dem Schlußgedanken seiner "Künstler" hat er dieser Anschauungsweise pba_080.037
den schwungvollsten dichterischen Ausdruck verliehen:

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Wenn auf des Denkens freigegebnen Bahnen pba_080.039
Der Forscher jetzt mit kühnem Glücke schweift pba_080.040
Und, trunken von siegrufenden Päanen,

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reifte Gedanke im Verein mit dem durch ihn erhöhten Empfinden pba_080.002
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den Samen ausstreut, aus welchem der Trieb des Erkennens erwächst.

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Solche Dichtungen bezeichneten die Alten mit dem Namen der pba_080.009
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in der es darum sich wiederspiegelt.

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Diese Dichtungsart kann also bald sich dem rein lyrischen pba_080.020
Charakter nähern, bald kann sie eine entschieden paränetische Färbung pba_080.021
annehmen, immer aber wird das weitaus darin Ueberwiegende die Nachahmung pba_080.022
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Das Bedürfnis, solchen Stimmungen und Gemütszuständen vollen pba_080.026
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als daß zu irgend einer Zeit, in der überhaupt die Dichtung zu ihrem pba_080.028
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/98>, abgerufen am 21.11.2024.