Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_081.001 Mit rascher Hand schon nach der Krone greift; pba_081.002 Wenn er mit niederm Söldnerslohne pba_081.003 Den edlen Führer zu entlassen glaubt pba_081.004 Und neben dem geträumten Throne pba_081.005 Der Kunst den ersten Sklavenplatz erlaubt: -- pba_081.006 Verzeiht ihm -- der Vollendung Krone pba_081.007 Schwebt glänzend über eurem Haupt. pba_081.008 Mit euch, des Frühlings erster Pflanze, pba_081.009 Begann die seelenbildende Natur; pba_081.010 Mit euch, dem freud'gen Erntekranze, pba_081.011 Schließt die vollendende Natur. pba_081.012 Die von dem Thon, dem Stein bescheiden aufgestiegen, pba_081.013 Die schöpferische Kunst, umschließt mit stillen Siegen pba_081.014 Des Geistes unermess'nes Reich. pba_081.015 Was in des Wissens Land Entdecker nur ersiegen, pba_081.016 Entdecken sie, ersiegen sie für euch. pba_081.017 Der Schätze, die der Denker aufgehäufet, pba_081.018 Wird er in euren Armen erst sich freun, pba_081.019 Wenn seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet, pba_081.020 Zum Kunstwerk wird geadelt sein -- pba_081.021 Wenn er auf einen Hügel mit euch steiget, pba_081.022 Und seinem Auge sich, in mildem Abendschein, pba_081.023 Das malerische Thal auf einmal zeiget. pba_081.024 Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget, pba_081.025 Je höh're, schön're Ordnungen der Geist pba_081.026 Jn einem Zauberbund durchflieget, pba_081.027 Jn einem schwelgenden Genuß umkreist; pba_081.028 Je weiter sich Gedanken und Gefühle pba_081.029 Dem üppigeren Harmonieenspiele, pba_081.030 Dem reichern Strom der Schönheit aufgethan -- pba_081.031 Je schön're Glieder aus dem Weltenplan, pba_081.032 Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden, pba_081.033 Sieht er die hohen Formen dann vollenden, pba_081.034 Je schön're Rätsel treten aus der Nacht, pba_081.035 Je reicher wird die Welt, die er umschließet, pba_081.036 Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet, pba_081.037 Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht, pba_081.038 Je höher streben seine Triebe, pba_081.039 Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe. pba_081.040 pba_081.001 Mit rascher Hand schon nach der Krone greift; pba_081.002 Wenn er mit niederm Söldnerslohne pba_081.003 Den edlen Führer zu entlassen glaubt pba_081.004 Und neben dem geträumten Throne pba_081.005 Der Kunst den ersten Sklavenplatz erlaubt: — pba_081.006 Verzeiht ihm — der Vollendung Krone pba_081.007 Schwebt glänzend über eurem Haupt. pba_081.008 Mit euch, des Frühlings erster Pflanze, pba_081.009 Begann die seelenbildende Natur; pba_081.010 Mit euch, dem freud'gen Erntekranze, pba_081.011 Schließt die vollendende Natur. pba_081.012 Die von dem Thon, dem Stein bescheiden aufgestiegen, pba_081.013 Die schöpferische Kunst, umschließt mit stillen Siegen pba_081.014 Des Geistes unermess'nes Reich. pba_081.015 Was in des Wissens Land Entdecker nur ersiegen, pba_081.016 Entdecken sie, ersiegen sie für euch. pba_081.017 Der Schätze, die der Denker aufgehäufet, pba_081.018 Wird er in euren Armen erst sich freun, pba_081.019 Wenn seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet, pba_081.020 Zum Kunstwerk wird geadelt sein — pba_081.021 Wenn er auf einen Hügel mit euch steiget, pba_081.022 Und seinem Auge sich, in mildem Abendschein, pba_081.023 Das malerische Thal auf einmal zeiget. pba_081.024 Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget, pba_081.025 Je höh're, schön're Ordnungen der Geist pba_081.026 Jn einem Zauberbund durchflieget, pba_081.027 Jn einem schwelgenden Genuß umkreist; pba_081.028 Je weiter sich Gedanken und Gefühle pba_081.029 Dem üppigeren Harmonieenspiele, pba_081.030 Dem reichern Strom der Schönheit aufgethan — pba_081.031 Je schön're Glieder aus dem Weltenplan, pba_081.032 Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden, pba_081.033 Sieht er die hohen Formen dann vollenden, pba_081.034 Je schön're Rätsel treten aus der Nacht, pba_081.035 Je reicher wird die Welt, die er umschließet, pba_081.036 Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet, pba_081.037 Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht, pba_081.038 Je höher streben seine Triebe, pba_081.039 Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe. pba_081.040 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0099" n="81"/> <lb n="pba_081.001"/> <lg> <l>Mit rascher Hand schon nach der Krone greift;</l> <lb n="pba_081.002"/> <l>Wenn er mit niederm Söldnerslohne</l> <lb n="pba_081.003"/> <l>Den edlen Führer zu entlassen glaubt</l> <lb n="pba_081.004"/> <l>Und neben dem geträumten Throne</l> <lb n="pba_081.005"/> <l>Der Kunst den ersten Sklavenplatz erlaubt: —</l> <lb n="pba_081.006"/> <l>Verzeiht ihm — der Vollendung Krone</l> <lb n="pba_081.007"/> <l>Schwebt glänzend über eurem Haupt.</l> <lb n="pba_081.008"/> <l>Mit euch, des Frühlings erster Pflanze,</l> <lb n="pba_081.009"/> <l>Begann die seelenbildende Natur;</l> <lb n="pba_081.010"/> <l>Mit euch, dem freud'gen Erntekranze,</l> <lb n="pba_081.011"/> <l>Schließt die vollendende Natur. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_081.012"/> <l>Die von dem Thon, dem Stein bescheiden aufgestiegen,</l> <lb n="pba_081.013"/> <l>Die schöpferische Kunst, umschließt mit stillen Siegen</l> <lb n="pba_081.014"/> <l>Des Geistes unermess'nes Reich.</l> <lb n="pba_081.015"/> <l>Was in des Wissens Land Entdecker nur ersiegen,</l> <lb n="pba_081.016"/> <l>Entdecken sie, ersiegen sie für euch.</l> <lb n="pba_081.017"/> <l>Der Schätze, die der Denker aufgehäufet,</l> <lb n="pba_081.018"/> <l>Wird er in euren Armen erst sich freun,</l> <lb n="pba_081.019"/> <l>Wenn seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet,</l> <lb n="pba_081.020"/> <l>Zum Kunstwerk wird geadelt sein —</l> <lb n="pba_081.021"/> <l>Wenn er auf einen Hügel mit euch steiget,</l> <lb n="pba_081.022"/> <l>Und seinem Auge sich, in mildem Abendschein,</l> <lb n="pba_081.023"/> <l>Das malerische Thal auf einmal zeiget.</l> <lb n="pba_081.024"/> <l>Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget,</l> <lb n="pba_081.025"/> <l>Je höh're, schön're Ordnungen der Geist</l> <lb n="pba_081.026"/> <l>Jn einem Zauberbund durchflieget,</l> <lb n="pba_081.027"/> <l>Jn einem schwelgenden Genuß umkreist;</l> <lb n="pba_081.028"/> <l>Je weiter sich Gedanken und Gefühle</l> <lb n="pba_081.029"/> <l>Dem üppigeren Harmonieenspiele,</l> <lb n="pba_081.030"/> <l>Dem reichern Strom der Schönheit aufgethan —</l> <lb n="pba_081.031"/> <l>Je schön're Glieder aus dem Weltenplan,</l> <lb n="pba_081.032"/> <l>Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden,</l> <lb n="pba_081.033"/> <l>Sieht er die hohen Formen dann vollenden,</l> <lb n="pba_081.034"/> <l>Je schön're Rätsel treten aus der Nacht,</l> <lb n="pba_081.035"/> <l>Je reicher wird die Welt, die er umschließet,</l> <lb n="pba_081.036"/> <l>Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet,</l> <lb n="pba_081.037"/> <l>Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht,</l> <lb n="pba_081.038"/> <l>Je höher streben seine Triebe,</l> <lb n="pba_081.039"/> <l>Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe.</l> </lg> <p><lb n="pba_081.040"/> Niemand hat so wie <hi rendition="#g">Schiller</hi> es verstanden, die Resultate der <lb n="pba_081.041"/> intensivsten Gedankenarbeit als Mittel echt dichterischer Wirkung zu verwenden, <lb n="pba_081.042"/> während umgekehrt jeder Versuch die Belehrung zum <hi rendition="#g">Zwecke</hi> <lb n="pba_081.043"/> der Dichtung zu machen, die künstlerische Wirkung völlig aufhebt. Das <lb n="pba_081.044"/> <hi rendition="#g">Lehrgedicht</hi> scheitert somit an derselben Klippe wie auch die sogenannte <lb n="pba_081.045"/> <hi rendition="#g">Schilderungspoesie</hi> oder die <hi rendition="#g">bloße gereimte Erzählung,</hi> wie </p> </div> </body> </text> </TEI> [81/0099]
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Mit rascher Hand schon nach der Krone greift; pba_081.002
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Den edlen Führer zu entlassen glaubt pba_081.004
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Mit euch, dem freud'gen Erntekranze, pba_081.011
Schließt die vollendende Natur.
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Die schöpferische Kunst, umschließt mit stillen Siegen pba_081.014
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Je schön're Glieder aus dem Weltenplan, pba_081.032
Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden, pba_081.033
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Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe.
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Niemand hat so wie Schiller es verstanden, die Resultate der pba_081.041
intensivsten Gedankenarbeit als Mittel echt dichterischer Wirkung zu verwenden, pba_081.042
während umgekehrt jeder Versuch die Belehrung zum Zwecke pba_081.043
der Dichtung zu machen, die künstlerische Wirkung völlig aufhebt. Das pba_081.044
Lehrgedicht scheitert somit an derselben Klippe wie auch die sogenannte pba_081.045
Schilderungspoesie oder die bloße gereimte Erzählung, wie
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