Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

zweiten sehe ich bei den gegenwärtigen so sehr mißlichen Umständen der Familie, und den Unglücksfällen und Widerwärtigkeiten, welche dieselben betroffen haben, allerdings keinen Rath, doch hoffe ich noch ein kleines Kapital von etwa fünfzehntausend Gulden anzuschaffen. Da Excellenz mit der Frau Gräfin Lynden wie mit deren Frau Tochter selbst im Briefwechsel stehen, so bescheide ich mich des Weiteren, und bin zu Höchstdero Füßen der alte Windt."

Mit Antwortschreiben an den gräflichen Intendanten empfing auch Ludwig eine Zuschrift der Großmutter, deren Inhalt für ihn später noch ungleich wichtiger werden sollte, als er es im Augenblick war. Wie oft hängt an einem armseligen Blatt Papier eines Menschen Lebensloos und das Wohl und Wehe seiner Zukunft!

Die alte Reichsgräfin schrieb ihrem Enkel freundlich und vertraulich, und hatte in ihren Brief einige andere Blätter eingelegt.

"Du glaubst nicht, lieber Ludwig," schrieb die Großmutter, "wie sehr mir das Glück meiner Enkel am Herzen liegt, wenn auch nicht alle in dem Maaß meine Liebe verdienen, wie du, mein Liebling! Ich kann nicht ruhig zusehen, daß fort und fort über dem Haupte deines gefangenen Vetters das Schwert des Damocles schwebt, und biete daher im Stillen Alles auf, zu seiner Befreiung mitzuwirken. Niemand weiß, welche Fäden ich anknüpfe, wie ich sie weiter spinne, oft kommt mir der Wunsch, ich möchte noch einmal jung sein; ich wollte meine Lebenstage dann gewiß nicht mit Sammlung alter Münzen vertreiben, sondern ich würde der Länder und Menschen Loose lenken und leiten helfen, nicht eine Münznärrin würde ich dann geworden sein, sondern eine Diplomatin, und unendlich bedauere ich, daß deine Eigenthümlichkeit, mein Ludwig, dich nicht eine Bahn auf die Dauer beschreiten ließ, die Ehre, Macht, Ansehen und irdische Mittel vollauf gewährt. Mag den Staatsmann auch manche Verkennung, Zurücksetzung und die Folge manchen Irrthums treffen, immer ist es etwas Hohes, nach dem Höchsten gestrebt und dieses Ziel erreicht zu haben, selbst um den Preis, nach einer kurzen Zeit von der erklommenen Höhe wieder herabzusteigen. Man bleibt nicht ewig auf hohen Bergen, man baut nicht Hütten auf dem Montblanc und dem Chimborasso, aber das stolze Gefühl: ich war droben, das gibt dem Leben Halt und Höhe bis an die Grabestiefe. Ich habe mich nach London gewendet an meinen Freund,

zweiten sehe ich bei den gegenwärtigen so sehr mißlichen Umständen der Familie, und den Unglücksfällen und Widerwärtigkeiten, welche dieselben betroffen haben, allerdings keinen Rath, doch hoffe ich noch ein kleines Kapital von etwa fünfzehntausend Gulden anzuschaffen. Da Excellenz mit der Frau Gräfin Lynden wie mit deren Frau Tochter selbst im Briefwechsel stehen, so bescheide ich mich des Weiteren, und bin zu Höchstdero Füßen der alte Windt.“

Mit Antwortschreiben an den gräflichen Intendanten empfing auch Ludwig eine Zuschrift der Großmutter, deren Inhalt für ihn später noch ungleich wichtiger werden sollte, als er es im Augenblick war. Wie oft hängt an einem armseligen Blatt Papier eines Menschen Lebensloos und das Wohl und Wehe seiner Zukunft!

Die alte Reichsgräfin schrieb ihrem Enkel freundlich und vertraulich, und hatte in ihren Brief einige andere Blätter eingelegt.

„Du glaubst nicht, lieber Ludwig,“ schrieb die Großmutter, „wie sehr mir das Glück meiner Enkel am Herzen liegt, wenn auch nicht alle in dem Maaß meine Liebe verdienen, wie du, mein Liebling! Ich kann nicht ruhig zusehen, daß fort und fort über dem Haupte deines gefangenen Vetters das Schwert des Damocles schwebt, und biete daher im Stillen Alles auf, zu seiner Befreiung mitzuwirken. Niemand weiß, welche Fäden ich anknüpfe, wie ich sie weiter spinne, oft kommt mir der Wunsch, ich möchte noch einmal jung sein; ich wollte meine Lebenstage dann gewiß nicht mit Sammlung alter Münzen vertreiben, sondern ich würde der Länder und Menschen Loose lenken und leiten helfen, nicht eine Münznärrin würde ich dann geworden sein, sondern eine Diplomatin, und unendlich bedauere ich, daß deine Eigenthümlichkeit, mein Ludwig, dich nicht eine Bahn auf die Dauer beschreiten ließ, die Ehre, Macht, Ansehen und irdische Mittel vollauf gewährt. Mag den Staatsmann auch manche Verkennung, Zurücksetzung und die Folge manchen Irrthums treffen, immer ist es etwas Hohes, nach dem Höchsten gestrebt und dieses Ziel erreicht zu haben, selbst um den Preis, nach einer kurzen Zeit von der erklommenen Höhe wieder herabzusteigen. Man bleibt nicht ewig auf hohen Bergen, man baut nicht Hütten auf dem Montblanc und dem Chimborasso, aber das stolze Gefühl: ich war droben, das gibt dem Leben Halt und Höhe bis an die Grabestiefe. Ich habe mich nach London gewendet an meinen Freund,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0305" n="301"/>
zweiten sehe ich bei den gegenwärtigen so sehr mißlichen Umständen der Familie, und den Unglücksfällen und Widerwärtigkeiten, welche dieselben betroffen haben, allerdings keinen Rath, doch hoffe ich noch ein kleines Kapital von etwa fünfzehntausend Gulden anzuschaffen. Da Excellenz mit der Frau Gräfin Lynden wie mit deren Frau Tochter selbst im Briefwechsel stehen, so bescheide ich mich des Weiteren, und bin zu Höchstdero Füßen der alte Windt.&#x201C; </p>
          <p>Mit Antwortschreiben an den gräflichen Intendanten empfing auch Ludwig eine Zuschrift der Großmutter, deren Inhalt für ihn später noch ungleich wichtiger werden sollte, als er es im Augenblick war. Wie oft hängt an einem armseligen Blatt Papier eines Menschen Lebensloos und das Wohl und Wehe seiner Zukunft!</p>
          <p>Die alte Reichsgräfin schrieb ihrem Enkel freundlich und vertraulich, und hatte in ihren Brief einige andere Blätter eingelegt.</p>
          <p>&#x201E;Du glaubst nicht, lieber Ludwig,&#x201C;  schrieb die Großmutter, &#x201E;wie sehr mir das Glück meiner Enkel am Herzen liegt, wenn auch nicht alle in dem Maaß meine Liebe verdienen, wie du, mein Liebling! Ich kann nicht ruhig zusehen, daß fort und fort über dem Haupte deines gefangenen Vetters das Schwert des Damocles schwebt, und biete daher im Stillen Alles auf, zu seiner Befreiung mitzuwirken. Niemand weiß, welche Fäden ich anknüpfe, wie ich sie weiter spinne, oft kommt mir der Wunsch, ich möchte noch einmal jung sein; ich wollte meine Lebenstage dann gewiß nicht mit Sammlung alter Münzen vertreiben, sondern ich würde der Länder und Menschen Loose lenken und leiten helfen, nicht eine Münznärrin würde ich dann geworden sein, sondern eine Diplomatin, und unendlich bedauere ich, daß deine Eigenthümlichkeit, mein Ludwig, dich nicht eine Bahn auf die Dauer beschreiten ließ, die Ehre, Macht, Ansehen und irdische Mittel vollauf gewährt. Mag den Staatsmann auch manche Verkennung, Zurücksetzung und die Folge manchen Irrthums treffen, immer ist es etwas Hohes, nach dem Höchsten gestrebt und dieses Ziel erreicht zu haben, selbst um den Preis, nach einer kurzen Zeit von der erklommenen Höhe wieder herabzusteigen. Man bleibt nicht ewig auf hohen Bergen, man baut nicht Hütten auf dem Montblanc und dem Chimborasso, aber das stolze Gefühl: ich war droben, das gibt dem Leben Halt und Höhe bis an die Grabestiefe. Ich habe mich nach London gewendet an meinen Freund,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0305] zweiten sehe ich bei den gegenwärtigen so sehr mißlichen Umständen der Familie, und den Unglücksfällen und Widerwärtigkeiten, welche dieselben betroffen haben, allerdings keinen Rath, doch hoffe ich noch ein kleines Kapital von etwa fünfzehntausend Gulden anzuschaffen. Da Excellenz mit der Frau Gräfin Lynden wie mit deren Frau Tochter selbst im Briefwechsel stehen, so bescheide ich mich des Weiteren, und bin zu Höchstdero Füßen der alte Windt.“ Mit Antwortschreiben an den gräflichen Intendanten empfing auch Ludwig eine Zuschrift der Großmutter, deren Inhalt für ihn später noch ungleich wichtiger werden sollte, als er es im Augenblick war. Wie oft hängt an einem armseligen Blatt Papier eines Menschen Lebensloos und das Wohl und Wehe seiner Zukunft! Die alte Reichsgräfin schrieb ihrem Enkel freundlich und vertraulich, und hatte in ihren Brief einige andere Blätter eingelegt. „Du glaubst nicht, lieber Ludwig,“ schrieb die Großmutter, „wie sehr mir das Glück meiner Enkel am Herzen liegt, wenn auch nicht alle in dem Maaß meine Liebe verdienen, wie du, mein Liebling! Ich kann nicht ruhig zusehen, daß fort und fort über dem Haupte deines gefangenen Vetters das Schwert des Damocles schwebt, und biete daher im Stillen Alles auf, zu seiner Befreiung mitzuwirken. Niemand weiß, welche Fäden ich anknüpfe, wie ich sie weiter spinne, oft kommt mir der Wunsch, ich möchte noch einmal jung sein; ich wollte meine Lebenstage dann gewiß nicht mit Sammlung alter Münzen vertreiben, sondern ich würde der Länder und Menschen Loose lenken und leiten helfen, nicht eine Münznärrin würde ich dann geworden sein, sondern eine Diplomatin, und unendlich bedauere ich, daß deine Eigenthümlichkeit, mein Ludwig, dich nicht eine Bahn auf die Dauer beschreiten ließ, die Ehre, Macht, Ansehen und irdische Mittel vollauf gewährt. Mag den Staatsmann auch manche Verkennung, Zurücksetzung und die Folge manchen Irrthums treffen, immer ist es etwas Hohes, nach dem Höchsten gestrebt und dieses Ziel erreicht zu haben, selbst um den Preis, nach einer kurzen Zeit von der erklommenen Höhe wieder herabzusteigen. Man bleibt nicht ewig auf hohen Bergen, man baut nicht Hütten auf dem Montblanc und dem Chimborasso, aber das stolze Gefühl: ich war droben, das gibt dem Leben Halt und Höhe bis an die Grabestiefe. Ich habe mich nach London gewendet an meinen Freund,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/305
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/305>, abgerufen am 01.06.2024.