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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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nahe, und es wundert mich gar nicht, wenn Einige glauben, daß der Blick in eine Zukunft, die aller Hoffnung beraubt ist, mich verleiten könnte, mich mit den Feinden unseres Hauses in Verträge einzulassen; Andere hingegen, daß ich Tag und Nacht darauf sänne, eine Lage, die mich niederdrückt und völlig lähmt, zu verändern. Der Sold Englands brennt mir in der Hand! Wann war England Frankreichs wahrer Freund? Aus Haß gegen Frankreich unterstützt es jetzt uns, und stempelt uns zu Feinden Frankreichs, uns, die wir unser geliebtes Vaterland so heiß, so innig lieben! Ist das nicht fürchterlich? Mein Vater -- fuhr der Herzog fort, kennt mich besser. Er schreibt über den ersterwähnten Verdacht, daß er ihn nicht theile, aber daß die Gefahr mir sehr nahe liege. "Hüte dich," schreibt er, "und vernachlässige keine Vorsicht, um dich rechtzeitig zu sichern, im Fall der erste Consul beabsichtigten sollte, dich aufheben zu lassen."

O, mein Henri! rief Charlotte: Verachte nicht die Warnung deines treuen Vaters! Mir zittert das Herz, laß uns fliehen, weit fort von der Ufernähe des Rheins, wir sind hier Frankreich allzunahe!

Und doch so schrecklich fern! seufzte der Herzog. Wollten wir uns noch weiter von dem theuern Lande entfernen? -- Der Herzog blieb, aber die Prinzessin sann im Stillen darauf, einen andern Zufluchtsort zu nehmen. Eine Jugendfreundin, eine deutsche Fürstin, deren Residenzschloß in der romantischen Künzelsau im Jaxtkreis des Landes Würtemberg gelegen war, sollte ein neues Asyl gewähren; in jene anmuthigen und reizvollen Thäler des Kocher und der Jaxt wollte man sich zurückziehen, und dort unter den Schleiern des tiefsten Geheimnisses friedlich wohnen. Der Mensch baut Pläne, damit das Schicksal sie vereitle.

An einem überaus schönen Morgen ergingen sich Sophie, Anges und Ludwig unter der gewöhnlichen Begleitung ihrer männlichen Bedienung in der Nähe von dem Münster und Münchweiler, und ruhten dort aus an einer von uralten Bäumen umschatteten Stelle, auf einer Steinbank, über der ein Crucifix von dunkelem Marmor sich erhob, neben diesem standen Marie und der Jünger, den Jesus lieb hatte. Dicht daneben stand eine uralte Martyrsäule. Trunknes Entzücken sog Ludwig aus jedem Blick Sophiens, die in lieblicher Jugendschöne ihm gegenübersaß, in ihren Blicken jene Verklärung, welche das erste

nahe, und es wundert mich gar nicht, wenn Einige glauben, daß der Blick in eine Zukunft, die aller Hoffnung beraubt ist, mich verleiten könnte, mich mit den Feinden unseres Hauses in Verträge einzulassen; Andere hingegen, daß ich Tag und Nacht darauf sänne, eine Lage, die mich niederdrückt und völlig lähmt, zu verändern. Der Sold Englands brennt mir in der Hand! Wann war England Frankreichs wahrer Freund? Aus Haß gegen Frankreich unterstützt es jetzt uns, und stempelt uns zu Feinden Frankreichs, uns, die wir unser geliebtes Vaterland so heiß, so innig lieben! Ist das nicht fürchterlich? Mein Vater — fuhr der Herzog fort, kennt mich besser. Er schreibt über den ersterwähnten Verdacht, daß er ihn nicht theile, aber daß die Gefahr mir sehr nahe liege. „Hüte dich,“ schreibt er, „und vernachlässige keine Vorsicht, um dich rechtzeitig zu sichern, im Fall der erste Consul beabsichtigten sollte, dich aufheben zu lassen.“

O, mein Henri! rief Charlotte: Verachte nicht die Warnung deines treuen Vaters! Mir zittert das Herz, laß uns fliehen, weit fort von der Ufernähe des Rheins, wir sind hier Frankreich allzunahe!

Und doch so schrecklich fern! seufzte der Herzog. Wollten wir uns noch weiter von dem theuern Lande entfernen? — Der Herzog blieb, aber die Prinzessin sann im Stillen darauf, einen andern Zufluchtsort zu nehmen. Eine Jugendfreundin, eine deutsche Fürstin, deren Residenzschloß in der romantischen Künzelsau im Jaxtkreis des Landes Würtemberg gelegen war, sollte ein neues Asyl gewähren; in jene anmuthigen und reizvollen Thäler des Kocher und der Jaxt wollte man sich zurückziehen, und dort unter den Schleiern des tiefsten Geheimnisses friedlich wohnen. Der Mensch baut Pläne, damit das Schicksal sie vereitle.

An einem überaus schönen Morgen ergingen sich Sophie, Angés und Ludwig unter der gewöhnlichen Begleitung ihrer männlichen Bedienung in der Nähe von dem Münster und Münchweiler, und ruhten dort aus an einer von uralten Bäumen umschatteten Stelle, auf einer Steinbank, über der ein Crucifix von dunkelem Marmor sich erhob, neben diesem standen Marie und der Jünger, den Jesus lieb hatte. Dicht daneben stand eine uralte Martyrsäule. Trunknes Entzücken sog Ludwig aus jedem Blick Sophiens, die in lieblicher Jugendschöne ihm gegenübersaß, in ihren Blicken jene Verklärung, welche das erste

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[364/0368] nahe, und es wundert mich gar nicht, wenn Einige glauben, daß der Blick in eine Zukunft, die aller Hoffnung beraubt ist, mich verleiten könnte, mich mit den Feinden unseres Hauses in Verträge einzulassen; Andere hingegen, daß ich Tag und Nacht darauf sänne, eine Lage, die mich niederdrückt und völlig lähmt, zu verändern. Der Sold Englands brennt mir in der Hand! Wann war England Frankreichs wahrer Freund? Aus Haß gegen Frankreich unterstützt es jetzt uns, und stempelt uns zu Feinden Frankreichs, uns, die wir unser geliebtes Vaterland so heiß, so innig lieben! Ist das nicht fürchterlich? Mein Vater — fuhr der Herzog fort, kennt mich besser. Er schreibt über den ersterwähnten Verdacht, daß er ihn nicht theile, aber daß die Gefahr mir sehr nahe liege. „Hüte dich,“ schreibt er, „und vernachlässige keine Vorsicht, um dich rechtzeitig zu sichern, im Fall der erste Consul beabsichtigten sollte, dich aufheben zu lassen.“ O, mein Henri! rief Charlotte: Verachte nicht die Warnung deines treuen Vaters! Mir zittert das Herz, laß uns fliehen, weit fort von der Ufernähe des Rheins, wir sind hier Frankreich allzunahe! Und doch so schrecklich fern! seufzte der Herzog. Wollten wir uns noch weiter von dem theuern Lande entfernen? — Der Herzog blieb, aber die Prinzessin sann im Stillen darauf, einen andern Zufluchtsort zu nehmen. Eine Jugendfreundin, eine deutsche Fürstin, deren Residenzschloß in der romantischen Künzelsau im Jaxtkreis des Landes Würtemberg gelegen war, sollte ein neues Asyl gewähren; in jene anmuthigen und reizvollen Thäler des Kocher und der Jaxt wollte man sich zurückziehen, und dort unter den Schleiern des tiefsten Geheimnisses friedlich wohnen. Der Mensch baut Pläne, damit das Schicksal sie vereitle. An einem überaus schönen Morgen ergingen sich Sophie, Angés und Ludwig unter der gewöhnlichen Begleitung ihrer männlichen Bedienung in der Nähe von dem Münster und Münchweiler, und ruhten dort aus an einer von uralten Bäumen umschatteten Stelle, auf einer Steinbank, über der ein Crucifix von dunkelem Marmor sich erhob, neben diesem standen Marie und der Jünger, den Jesus lieb hatte. Dicht daneben stand eine uralte Martyrsäule. Trunknes Entzücken sog Ludwig aus jedem Blick Sophiens, die in lieblicher Jugendschöne ihm gegenübersaß, in ihren Blicken jene Verklärung, welche das erste

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/368>, abgerufen am 28.09.2024.